Die Bundeswehr solle sich weiterhin auf den Norden des Landes am Hindukusch konzentrieren, erklärt der Minister. Keine deutschen Soldaten zum Einsatz in Gaza.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Es wird erwartet, dass Barack Obama auf dem Nato-Gipfel Anfang April ein noch stärkeres Engagement der Bundeswehr in Afghanistan fordert. Was können Sie ihm bieten?

Franz Josef Jung:

Zunächst einmal begrüße ich das Engagement von Präsident Barack Obama sehr, um schnell eine Stabilisierung und eine politische Perspektive für Afghanistan zu schaffen. Daher auch das zusätzliche Engagement, das die Vereinigten Staaten von Amerika hier signalisieren. Ich betone allerdings: Wir haben dann zusammen mit den afghanischen Streitkräften Ende dieses Jahres 163 000 Soldaten in Afghanistan, ich denke, das ist ausreichend, um unseren Auftrag gegenwärtig militärisch zu erfüllen. Denn nur militärisch werden wir in Afghanistan nicht gewinnen. Wir werden in Afghanistan nur erfolgreich sein, wenn wir militärische Sicherheit und zivilen Wiederaufbau zusammenfügen und das Vertrauen der Bevölkerung weiter gewinnen. Das ist das Entscheidende. Unser Ziel muss es sein, die selbsttragende Sicherheit in Afghanistan zu erreichen.



Abendblatt:

Woran hat es denn bisher gehapert in Afghanistan?

Jung:

Wir haben eine lange Diskussion darüber geführt, welche Strategie die richtige für Afghanistan ist. Und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir Deutschen einen erheblichen Beitrag dazu geleistet haben, dass es jetzt einen umfassenden Ansatz der Nato gibt. Wir haben bereits 2003 in Kundus und 2004 in Faisabad Wiederaufbauteams eingerichtet und haben so unsere Strategie umgesetzt, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Mehr als 90 Prozent der Menschen dort stehen an unserer Seite; bei meinem letzten Besuch haben mir das Gouverneure und Stammesälteste sehr deutlich bestätigt. Wir haben 830 Projekte im Norden Afghanistans umgesetzt - Straßenbau, Kindergärten, Schulen - und haben so eine Vertrauensposition aufgebaut. Deshalb wäre es ein großer Fehler, wenn wir unser Engagement vernachlässigen würden. Diesen Weg sollten wir in ganz Afghanistan weiterhin beschreiten.



Abendblatt:

Aber es bleibt dabei: Keine deutschen Truppen in den Süden?

Jung:

Wir nehmen jetzt schon unsere Verantwortung für Gesamtafghanistan insofern wahr, als die Luftaufklärung von unseren Tornados geleistet wird - etwa 70 Prozent aller Aufklärungsflüge unserer Tornados finden außerhalb des Nordens, also unseres Verantwortungsbereiches, statt. Darüber hinaus leisten wir mehr als 50 Prozent der Transportflüge in ganz Afghanistan. Wir erfüllen unseren Beitrag bereits für Gesamtafghanistan - aber es ist trotzdem richtig, weiterhin unsere Verantwortung im Norden zu konzentrieren.



Abendblatt:

Es ist der Bundespräsident, der versucht, die Deutschen auf die zunehmende Zahl von Opfern vorzubereiten, die ihnen Afghanistan noch abverlangen wird. Horst Köhler sagt: Wir werden "Schmerzen aushalten" müssen. Wäre das nicht Ihre Aufgabe gewesen?

Jung:

Ich sehe, dass die Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan steigt. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Bürgerinnen und Bürger öfter von dem erfolgreichen Vorgehen in Afghanistan Kenntnis erhalten anstatt immer nur von Anschlägen. Was bekommen die Leute denn von Afghanistan mit? Wenn ein Anschlag passiert oder wenn deutsche Soldaten fallen. Das sind zweifellos wichtige Nachrichten, aber das ist eben nicht die ganze Wahrheit. Schauen Sie, wir haben 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft der Taliban befreit. Wir haben dort ein gewähltes Parlament, mit einem Frauenanteil von 28 Prozent. Das ist so viel wie im Hessischen Landtag auch. Statt einer Million Kinder gehen inzwischen sieben Millionen Kinder zur Schule. Die medizinische Grundversorgung erfasst 85 Prozent der Bevölkerung. Und inzwischen sind sogar fünf Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt. Ich zähle das auf, um zu verdeutlichen, dass wir einen erfolgreichen Prozess vorangetrieben haben.



Abendblatt:

Wie nehmen die Afghanen die deutschen Soldaten wahr?

Jung:

Sehr positiv. Es gab leider im letzten Jahr die tragische Situation, dass bei einer Straßenkontrolle in unserem Zuständigkeitsbereich eine Frau und zwei Kinder ums Leben gekommen sind. Ich habe mit dem Stammesältesten gesprochen, und das war bewegend, aber auch wieder hoffnungsvoll. Es ist nämlich deutlich geworden, wie positiv die Afghanen unsere Soldaten aufnehmen, wie dankbar sie sind für das, was bereits erreicht wurde. Die Leute haben mir gesagt: "Es gibt keinen einzigen Bereich, in dem eure Soldaten nicht etwas Positives für die Bevölkerung gemacht haben."



Abendblatt:

Sie weigern sich, das Wort "Krieg" anzuwenden..

Jung:

Unsere Strategie der vernetzten Sicherheit ist genau kein Krieg. Krieg ist immer allein militärisch. Auch in der deutschen Bevölkerung versteht man unter Krieg ja etwas ganz anderes. Bei Krieg denken die Menschen sofort an Bombennächte und ähnliche Szenarien. Aber das ist nicht die Situation in Afghanistan. Da haben wir es auf der Gegenseite nicht mit Soldaten zu tun, sondern mit Terroristen. Das sind hinterhältige, feige Anschläge, die dort von ihnen ausgeführt werden.



Abendblatt:

Ihre Amtsvorgänger Struck, Scharping und Rühe sind inzwischen dazu übergegangen, von Krieg zu sprechen...

Jung:

Ich habe das zur Kenntnis genommen, und ich halte es für falsch.



Abendblatt:

Eine Frage nicht an den Politiker Franz Josef Jung, sondern an den Menschen und dreifachen Vater: Was empfinden Sie, wenn Sie die Nachricht vom Tod deutscher Soldaten erreicht?

Jung:

Das geht einem schon an die Nieren. Die Gespräche mit den Angehörigen sind schwere Gänge.



Abendblatt:

Im Oktober hat der Vater eines gefallenen Soldaten den Vorwurf erhoben, sein Sohn sei unzureichend ausgerüstet gewesen. Was haben Sie gesagt?

Jung:

Ich könnte den Vorwurf in allen Einzelheiten widerlegen, aber ich bitte um Verständnis, wenn ich das hier nicht tue. Ich habe mit dem Mann gesprochen, und ich verstehe seine Verbitterung. Aber ich bleibe dabei: Unsere Soldaten sind gut ausgebildet und gut ausgerüstet.



Abendblatt:

Im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt wird immer wieder über eine Uno-Friedenstruppe gesprochen, an der sich auch deutsche Soldaten beteiligen könnten. Halten Sie das für sinnvoll?

Jung:

Es gibt keine Anforderungen für deutsche Soldaten für den Gazastreifen - und ich halte es auch nicht für richtig. Deshalb sollen wir diese Diskussion auch nicht führen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir in der Region bereits unseren Beitrag durch die Unifil-Mission vor dem Libanon leisten. Und wir haben dort schon 21 000 Schiffe kontrolliert, 170 Schiffe in libanesische Häfen überführt und gewährleisten damit, dass kein Waffenschmuggel stattfindet. Und: Die Waffenruhe hält.



Abendblatt:

Wohin wird sich die Nato künftig entwickeln?

Jung:

Ich denke, dass wir auf dem Nato-Gipfel auch beschließen werden, eine neue Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Die Situation des Kalten Krieges bis 1989 war ja eine völlig andere; die Bedrohungslage hat sich geändert. Wir haben es heute mit dem internationalen Terrorismus zu tun, mit der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und mit Konflikt- und Krisenszenarien. Die Nato muss auch weiterhin ihre Beistandsverpflichtungen aus dem Artikel 5 erfüllen. Wir brauchen aber eine richtige Balance und eine bessere Abstimmung der Nato auf Krisensituationen.