Bundesregierung legt Wachstumsplan vor, um europäische Konjunktur anzukurbeln. Streit mit Opposition um Finanztransaktionssteuer.
Berlin. Acht DIN-A4-Seiten. Das ist die, wie es ein Regierungsvertreter nennt, "Brücke für die Opposition". Darin aufgelistet sind die Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung die europäische Konjunktur ankurbeln will. Und mit denen sie SPD und Grüne überzeugen will, dem Fiskalpakt zuzustimmen. Der Titel des Papiers: "Mehr Wachstum für Europa: Beschäftigung - Investitionen - Innovationen".
Damit reagiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die anhaltende Kritik im In- und Ausland, sie kenne nur eine Medizin gegen die Euro-Krise: Sparen. Um diesem Vorwurf zu begegnen, wurde nun der Wachstumsplan entwickelt, federführend von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Nun liegt er als Angebot vor - an die europäischen Partner, zunächst aber an SPD und Grüne. Die Regierung ist auf die Stimmen der Opposition angewiesen, denn der Fiskalpakt, der allen EU-Staaten strenge Haushaltsregeln vorschreibt, muss mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden.
Bisher drohen SPD und Grüne mit Blockade.
Und bisher hat sich Merkel den Wünschen verweigert. Auch das neue Konzept beginnt auf der ersten Seite mit ihrem alten Ansatz: "Dauerhaftes Wachstum lässt sich weder über öffentliche Ausgabenprogramme noch über den Wettbewerb verzerrende Staatseingriffe oder eine zu expansive Geldpolitik erkaufen." Und weiter: "Stattdessen müssen öffentliche Schulden abgebaut und die Wachstumskräfte durch Strukturreformen gestärkt werden." Mit diesen zwei Sätzen ist Merkels bisherige Euro-Rettungsstrategie gut beschrieben. Bei den dann folgenden Vorschlägen klingt aber teilweise eine andere Tonlage durch. So dreht sich gleich der erste Punkt um ein Kernanliegen der Sozialdemokraten: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen. "Es ist nicht hinnehmbar, dass in Europa fast jeder vierte Jugendliche ohne Arbeit ist." Also sollen bisher nicht genutzte EU-Mittel umgewidmet werden. Mit 7,3 Milliarden Euro könne man mindestens 460 000 Jugendlichen helfen, so die Rechnung in dem Papier. Wie genau, bleibt offen.
Die Mittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) müssten "prioritär dem Ausbau der betriebsnahen Aus- und Weiterbildung zugutekommen", so eine weitere Idee. Deutschland könne mit seiner "erfolgreichen dualen Ausbildung" gern Tipps geben. Frisches Staatsgeld - diese Linie hält Merkel auch im Papier durch - soll es nicht geben. Einzige Ausnahme: Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll eine Kapitalspritze von zehn Milliarden Euro erhalten, um "eine noch größere Rolle bei der Stärkung des Wachstums zu spielen". Damit könnte die EIB in den kommenden vier Jahren jeweils 15 Milliarden Euro zusätzliche Kredite pro Jahr ausreichen.
+++ Merkel plant Wachstumsprogramm gegen die Euro-Krise +++
Ansonsten finden sich auf den acht Seiten viele Ideen, die die Bundesregierung schon lange propagiert - bisher wurden sie unter dem Label "Wettbewerbsfähigkeit stärken" verkauft, nun werden sie als wachstumsfreundlich etikettiert. So schlägt das Wirtschaftsministerium vor, mit Bürokratieabbau oder einer schlanken Verwaltung ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen. Dazu soll auch eine "beschäftigungsfreundliche" Lohnfindung dienen. Im Klartext: Lohnzurückhaltung.
In der Koalition rechnen die Experten damit, dass SPD und Grüne dem Fiskalpakt zustimmen werden, wenn sich die Regierung gleichzeitig zu der Wachstumsstrategie bekennt. "In dem Papier werden viele Wünsche der Opposition aufgegriffen", sagt Norbert Barthle (CDU), haushaltspolitischer Sprecher der Union, der in einer der Arbeitsgruppen sitzt. "Das halte ich für konsensfähig."
Ohnehin glaubt man in der Bundesregierung nicht, dass die Opposition ernsthaft den Fiskalpakt blockieren würde. Schließlich sind die strengen Sparvorschriften für die EU-Staaten in Deutschland populär. Letztlich gehe es für SPD und Grüne darum, ihren eigenen Leuten einen Erfolg verkaufen zu können. Den medial wichtigeren Sieg möchten SPD und Grüne bei einem zweiten Punkt erzielen: Sie fordern von Merkel, sich auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer festzulegen. Zu dieser Frage findet sich auf den acht Seiten kein einziger Satz - im Gegensatz zu einer früheren Version. Vor allem die FDP hat Bedenken gegen eine solche Steuer auf Börsengeschäfte. Offiziell will sie diese akzeptieren, wenn sie in allen 27 EU-Staaten eingeführt wird - wohlwissend, dass das aufgrund des Widerstands aus Großbritannien ausgeschlossen ist. Möglicherweise geben Union und FDP gegenüber der Opposition aber nach, da sie damit rechnen, dass die Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene sowieso verschleppt wird.
Bei einem Treffen am Montagabend im Kanzleramt hatten sich Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach Darstellung der EU-Behörde auf die Schaffung der von Barroso vorgeschlagenen Bankenunion mit einer verstärkten Aufsicht über systemrelevante Banken und größerer Kapazität zur Einlagensicherung geeinigt. Die Währungsunion müsse durch eine vertiefte Wirtschaftsunion vervollständigt werden. Die beiden Politiker wollten auch weiterhin darauf dringen, dass es für eine dauerhafte Wachstumsstrategie einer Haushaltskonsolidierung bedürfe.
Wie dringend das ist, zeigt der Fall Spaniens, das auf dem Kapitalmarkt keine Kredite mehr aufnehmen kann. Finanzminister Cristobal Montoro rief die EU zu direkten Hilfen für die spanischen Banken auf: "Das europäische Projekt des Euros steht auf dem Spiel."
Für die Vize-Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, ist die Sparpolitik der Kanzlerin bereits gescheitert: "Merkels Brandmauern sind wirkungslos, wir müssen endlich den Brand löschen und die Spekulationsmaschine abschalten. Die Finanzmärkte sind zu einer unkontrollierbaren Gefahr geworden", sagte sie dem Abendblatt. "Die EZB muss die Euro-Staaten ab sofort direkt mit Krediten versorgen. Außerdem muss Schluss sein mit der Strangulierung der europäischen Wirtschaft durch barbarische Kürzungsprogramme. Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre besteuern und nicht Arbeitslose und Rentner in Armut stürzen."