München und Berlin ringen um richtigen Kurs. Röttgen bleibt Umweltminister. Merkel entschlossen, Streit über Betreuungsgeld zu beenden.
Berlin. Nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen stellt sich die Union neu auf: In Berlin und München beschränkt sich dies - noch - auf dieInhalte. In Düsseldorf geht es um die wenigen Posten, die noch zu vergeben sind. Die erste Botschaft: Norbert Röttgen, der unmittelbar nach der Wahl seinen Rückzug vom Landesvorsitz der CDU ankündigte, darf Umweltminister bleiben. Zwar lobte ihn Kanzlerin Angela Merkel nur sehr schmallippig, deutete aber an, im Kabinett auf "Kontinuität" setzen zu wollen. Röttgen ist jetzt nur noch ein Politiker von Merkels Gnaden. Seinen stellvertretenden Bundesvorsitz wird er nicht zurückgeben müssen - im Herbst wird der auf einem Parteitag sowieso neu gewählt.
Merkel ist indes fest entschlossen, den seit Monaten schwelenden Streit über das Betreuungsgeld jetzt zu beenden: Noch in diesem Monat soll ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, dass Mütter und Väter, die ihre Kleinstkinder nicht in eine Krippe geben, mit zunächst 100 Euro im Monat unterstützt werden. Den Widerstand aus der CDU gegen das Vorhaben will Merkel ablenken, indem sie von Familienministerin Kristina Schröder gleichzeitig einen Plan zur Beschleunigung des Kita-Ausbaus vorstellen lässt. Der Umgang mit dem Betreuungsgeld wird von einigen Granden der CDU mittlerweile zu den schweren strategischen Fehlern Röttgens gezählt.
Der hatte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Ingrid Fischbach aus Herne im Ruhrgebiet, zu seiner Schatten-Familienministerin gemacht. Fischbach wiederum initiierte zu Beginn des Wahlkampfes einen Brief von 23 Bundestagsabgeordneten an den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder mit der Ankündigung, man werde nicht für das Betreuungsgeld stimmen. So blieb die Haltung der CDU diffus, was von Röttgen durchaus gewünscht war. Er wollte so Angriffen von SPD und Grünen auf die sogenannte Herdprämie ausweichen. Im Wahlkampf passierte allerdings der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft der einzige Fehler - ausgerechnet in diesem Themenfeld. Sie sagte im Fernsehduell mit Röttgen, ein Staat, der Krippen baue, müsse auch "sicherstellen, dass alle Kinder da sind". Christdemokraten warnten daraufhin vor einem "Krippenzwang", den Kraft propagiere.
In Düsseldorf hat derweil der Kampf um das Erbe Röttgens begonnen. Beste Hoffnungen macht sich der ehemalige Integrationsminister des Landes, Armin Laschet. Der sich vorallem an ein liberal-großstädtischesPublikum wendende Aachener hatte vor zwei Jahren in einer Urabstimmung an der Parteibasis gegen Röttgen verloren. "Ich glaube schon, dass man auf Dauer eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nur gewinnen kann, wenn man im Land Verantwortung trägt", sagte Laschet. Er rechnet sich diesmal bessere Chancen aus, denn heute wie damals ruht das Auge der Berliner Parteiführung mit Wohlwollen auf ihm. Zwar betonte Merkel, sie mische sich nicht in die Personalfindung in NRW ein. Jedoch trommeln ihr Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und ihr Vertrauter Peter Hintze laut für Laschet.
Es gibt allerdings einen Gegenkandidaten: Der Fraktionsvorsitzende Karl-Josef Laumann, ein Politiker mit konservativ-sozialem Profil, greift auch nach dem Vorsitz. Er bedient das an der Basis verbreitete Bedürfnis nach einer handfesteren CDU. Seit Röttgens Rückzug am Sonntag haben sich auch die Reste seiner Anhänger auf Laumanns Seite geschlagen - allen voran Oliver Wittke, Noch-Generalsekretär und Bezirksvorsitzender im Ruhrgebiet. Unklar blieb, wohin der in Nordrhein-Westfalen lagerübergreifend angesehene Norbert Lammert tendiert. Vor zwei Jahren hatte er sich gegen die Merkel-Rheinländer für Röttgen starkgemacht.
Wittke wies auf Defizite in der Bundespartei hin: "36 Prozent derer, die uns nicht mehr gewählt haben, führen Wirtschaftspolitik als Grund an", sagte er und forderte, die CDU dürfe künftig nicht ausschließlich auf Modernisierungsthemen wie Integration oder Energiewende setzen. Andere wollten hingegen alle Schuld auf Röttgen schieben. Der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete Olaf Lehne forderte Röttgen gar auf, als Bundesumweltminister zurückzutreten. Er sei eine "lame duck" (lahme Ente) und schade dem Kabinett.
Andere im Landesverband wollen eine selbstkritischere Debatte führen. So sagte der stellvertretende Landesvorsitzende und Chef der Jungen Union in NRW, Sven Volmering, der "Welt": "Wir machen uns große Sorgen um den Bestand der CDU als Volkspartei. Das desaströse Ergebnis ist ein K.-o.-Schlag, der dringend aufgearbeitet werden muss." Die Landespartei solle sich ein eigenes, "wertebasiertes Grundsatzprogramm" geben. Volmering warnte zudem vor einer Machtteilung zwischen Laschet und Laumann: "Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass es durchaus sinnvoll ist, Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand zu legen." So wird es bald heißen: zweiPosten, zwei Kandidaten - doch es kann nur einen Sieger geben.