Morgen soll das Ergebnis verkündet werden - der Spielraum für Entlastungen scheint enger denn je. Die SPD spricht von Wahlbetrug
Berlin. Noch bis morgen wird in Berlin munter drauflos spekuliert, wie sie genau ausfällt, die Prognose für die staatlichen Einnahmen, von der die Bundesregierung den Umfang der geplanten Entlastungen abhängig machen will. Dann - am Ende dreitägiger Beratungen - wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verkünden, zu welchem Ergebnis der Arbeitskreis der Steuerschätzer gekommen ist, der sich gestern in Lübeck zum ersten Mal getroffen hat.
Sicher ist aber schon jetzt, dass Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren mit erheblich weniger Geld auskommen müssen als bisher erwartet. Die Debatte darüber, ob sich vor diesem Hintergrund die von der Koalition verabredeten Steuersenkungen noch realisieren lassen, dürfte nach Schäubles Auftritt in Berlin erneut an Fahrt gewinnen. Mit konkreten Entlastungsversprechen noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag sei deshalb nicht zu rechnen, heißt es. Die Zahlen, die bereits kursieren, sind jedenfalls düster. Gegenüber der letzten Prognose von November 2009 seien aufgrund des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes Ausfälle von sechs bis sieben Milliarden Euro zu erwarten, sagte etwa der Vertreter des saarländischen Finanzministeriums, Klaus-Peter Fox, vor Beginn der Beratungen. Auch im Bundesfinanzministerium, das mit einem eigenen Prognosevorschlag in die Beratungen gegangen ist, hat man die Einnahmeerwartungen für die kommenden Jahre offenbar drastisch nach unten korrigiert. Wie die "Berliner Zeitung" berichtete, rechnen die Experten des Schäuble-Ministeriums bis 2013 mit Steuermindereinnahmen von insgesamt bis zu 40 Milliarden Euro.
Nach Informationen des Blatts geht man an der Berliner Wilhelmstraße davon aus, dass im laufenden Jahr ein Minus von etwa zwei Milliarden Euro verzeichnet wird. Ab 2011 erwarten die Experten jedoch einen Ausfall von jährlich rund 14 Milliarden Euro auf der Basis früherer Schätzungen. Auch nach der Prognose des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wird das Steueraufkommen in diesem Jahr trotz der wirtschaftlichen Erholung weiter sinken. Bund, Länder und Gemeinden, meinen diese Experten, werden 2010 knapp 510 Milliarden Euro einnehmen, drei Prozent oder 14 Milliarden weniger als 2009. Für den Zeitraum bis 2013 sagt das IMK insgesamt Einnahmeeinbußen gegenüber den bisherigen Steuerschätzungen von 25,3 Milliarden Euro voraus. Besonders harte Einbußen erwartet es für die Gemeinden - für die von Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag verankerten weiteren Steuersenkungen im Umfang von 16 Milliarden Euro wird es vor dem Hintergrund dieser Prognosen so eng, dass die oppositionelle SPD der Koalition bereits jetzt Wahlbetrug vorwirft. "Das Aussitzen hat alles nichts genützt. Das ist nun endgültig der Tag der Wahrheit für Frau Merkel und Herrn Westerwelle. Steuersenkungen sind nicht finanzierbar und erhöhen nur unseren Schuldenberg", sagte Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, dem Hamburger Abendblatt. Sein Kollege Johannes Kahrs ging noch einen Schritt weiter: "Angela Merkel und Guido Westerwelle wussten seit Monaten, welche Zahlen sie zu erwarten haben. Das ganze Gerede von der Steuerschätzung, die angeblich noch abgewartet werden müsse, war Taktik, um vor der Landtagswahl in NRW nicht mehr in Aktion treten zu müssen. Ein Spiel auf Zeit." Kahrs ist sich sicher: "Es wird keine Steuersenkungen geben. Schäuble kann kein Geld ausgeben. Er muss es einsammeln."
Ähnlich hatte sich zuvor pikanterweise allerdings auch schon der Saarländer Klaus-Peter Fox geäußert: "Die Aussagen von Merkel und Westerwelle, sie könnten nichts tun und müssten auf die Ergebnisse der Steuerschätzung warten, sind eine faule Ausrede", ließ sich der Spitzenbeamte aus dem von der CDU geführten saarländischen Finanzministerium zitieren. Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger hielt dagegen. "Wir wissen genau, dass hier Anstrengungen notwendig sind", sagte sie gestern in Bezug auf Steuersenkungen. Im Bundeshaushalt müsse der Spielraum dafür "erst erarbeitet" werden. "Aber wir sind zu diesen Anstrengungen bereit, und deshalb gehe ich davon aus, dass wir gemeinsam dieses Projekt auch verwirklichen." Als realistisch gilt in Berlin allerdings nur noch eine Abmilderung der kalten Progression.