Washington. Unweit jenes Ortes, an dem die US-Demokratie ins Wanken geriet, sitzt Donald Trump nun auf der Anklagebank. Damals hetzte er seine Anhänger auf, nun muss er sich dem Prozedere der Justiz unterwerfen.
Es ist ein seltener Anblick von Donald Trump, der sich vor Gericht in Washington bietet. Der Ex-Präsident, der mit seinem ewigen Krawall auch Menschen jenseits des Atlantiks verschreckt, hört zu, folgt aufmerksam den Ausführungen der Richterin Moxila Upadhyaya.
Zumindest für die Dauer der Sitzung, eine knappe halbe Stunde, scheint der Rechtsstaat dem Republikaner Einhalt zu gebieten. Trump, wie üblich in dunkelblauem Anzug und roter Krawatte, erhebt sich, legt mit erhobener rechter Hand einen Eid ab, die Wahrheit zu sagen.
Vor Gericht wird der 77-Jährige an diesem Donnerstag erstmals offiziell mit den bislang schwerwiegendsten Vorwürfen der Justiz gegen ihn konfrontiert. Dem Mann, der vier Jahre lang das höchste Amt der Vereinigten Staaten innehatte und bei der Präsidentenwahl 2024 erneut antreten will, wird vorgeworfen, er habe eine Verschwörung gegen den Staat orchestriert. Er habe versucht, Wählern ihr Wahlrecht zu entziehen und ein offizielles Verfahren zu behindern. Zum ersten Mal in der US-Geschichte ist ein Ex-Präsident wegen möglicher Vergehen während seiner Amtszeit angeklagt. „Nicht schuldig“, sagt Trump mit klarer Stimme vor Gericht zu den Vorwürfen gegen ihn.
Die Lüge von der gestohlenen Wahl
Beim Blick aus dem Fenster des Gerichts in Washington ist das ab 1793 errichtete Kapitol zu sehen. Ehrwürdig thront die weiße Kuppel auf dem grünen Hügel im weitläufigen Regierungsviertel der US-Hauptstadt. An diesem schwülen Sommertag ist dort nicht viel los. Das Parlament hat Sommerpause. Ein paar Touristen tummeln sich auf der National Mall zwischen dem Kongresssitz und dem Weißen Haus. Beamte der Kapitol-Polizei fahren ihre üblichen Runden. Alles hat seine Ordnung, ist gut bewacht, statisch, friedlich.
Kaum vorstellbar sind die Szenen, die sich dort vor knapp zweieinhalb Jahren abspielten. Das Chaos, das damals unvermittelt und mit einer ungeahnten Wucht über den Parlamentssitz, das Herzstück der US-amerikanischen Demokratie, hereinbrach. Damals, am 6. Januar 2021, hatten sich das Repräsentantenhaus und der Senat im Kapitol versammelt, um die Ergebnisse der US-Präsidentenwahl vom November - und den Sieg von Trumps Herausforderer Joe Biden - offiziell zu bestätigen. Tausende Trump-Anhänger aber strömten in die US-Hauptstadt, um genau dagegen zu protestieren.
In einer ausschweifenden Rede vor Anhängern wiederholte Trump an jenem Tag ein ums andere Mal seine Lüge von der gestohlenen Wahl. In aller Ausführlichkeit beschrieb er, wie das US-amerikanische Volk betrogen worden sei, von den Wahlaufsehern in den Bundesstaaten, dem Establishment in Washington, den mächtigen Demokraten und Biden selbst. Und er rief zum Widerstand auf: „Wenn Ihr nicht wie der Teufel kämpft, werdet Ihr kein Land mehr haben“, sagte er unter anderem und schürte Hoffnung, das Ergebnis doch noch kippen zu können. Die Masse verwandelte sich in einen wütenden Mob, Randalierer stürmten schließlich gewaltsam das Kongressgebäude.
Senat und Repräsentantenhaus mussten ihre Sitzungen unterbrechen, Parlamentssäle wurden geräumt. Abgeordnete kauerten unter Schreibtischen und fürchteten um ihr Leben. Mehrere Menschen starben in Folge der Krawalle. Nur etwa 500 Meter Luftlinie trennen den Ort der damaligen Ereignisse von jenem, an den der Ex-Präsident nun als Angeklagter zurückgekehrt ist.
Trump-Wähler „sehr wütend“
Draußen vor dem Gerichtsgebäude steht Dion Cini, braun gebrannt, mit Trump-Käppi, Sonnenbrille, rot-blau-weißem Outfit und schwenkt eine gewaltige Fahne mit dem Konterfei des Ex-Präsidenten. Auch er sei am 6. Januar dabei gewesen, sagt der 54-Jährige. Er habe Trumps Rede an jenem Tag angehört und sei auch zum Kapitol marschiert, „friedlich“ - so wie es Trump gesagt habe. Ob er auch in das Kongressgebäude eingedrungen sei? „Sie wissen, dass ich darauf nicht antworten kann“, entgegnet er vielsagend, während ihm seine Riesenflagge ins Gesicht weht.
Solle die Justiz Trump doch ins Gefängnis werfen, sagt er trotzig. „Das wäre der größte Fehler, den sie je machen könnten.“ 70 bis 80 Millionen Menschen - etwa die Zahl der Trump-Wähler von 2020 - wären dann „sehr wütend“, sagt Cini. Das würde nicht gut ausgehen, warnt er und schiebt nach: „Was passieren würde, wenn sie Donald Trump ins Gefängnis stecken, wäre schlimmer als der 6. Januar.“
Ein Berg an juristischen Problemen
Bis eine Entscheidung über eine mögliche Verurteilung Trumps fallen könnte, dürfte sehr viel Zeit vergehen. Dennoch wirkt es, als mache Trump der wachsende Berg an juristischen Problemen allmählich zu schaffen. Bei dem jüngsten Gerichtstermin in Miami gab er sich noch trotziger, genervter. Nach der Anklageverlesung dort im Zusammenhang mit der Dokumentenaffäre feierte im Anschluss sogar mit Anhängern in einem kubanischen Restaurant. Am Donnerstag in Washington wirkt er gedimmter und verlässt nach der Anklageverlesung auf schnellstem Wege die Stadt.
Sonderermittler Jack Smith, der in beiden Fällen die Ermittlungen leitet, ist auch am Donnerstag wieder im Gerichtssaal anwesend - er sitzt nur etwa vier Meter von Trump entfernt. Der Ex-Präsident schaut den Mann, den er bei Wahlkampfveranstaltungen und in sozialen Medien gern als „gestört“ oder als „Verbrecher“ beschimpft, nur einmal länger an - konzentriert sich ansonsten auf die Richterin.
Kurz vor dem Abflug aus Washington mit seinem Privatjet äußert sich Trump nur kurz. Inzwischen hat es begonnen zu regnen, Trump hält einen Schirm. „Dies ist ein sehr trauriger Tag für Amerika“, sagt er da. Es sei auch sehr traurig gewesen, durch Washington zu fahren und all den „Dreck“ und „Verfall“, zerstörte Gebäude und Graffiti zu sehen. „Dies ist nicht der Ort, den ich verlassen habe“, schiebt er nach mit Blick auf seinen Abschied aus dem Weißen Haus 2021. Er will wiederkommen nach Washington. Dann aber als Präsident, nicht als Angeklagter.
Trump liegt in Umfragen vorne
Die Anklage in Washington ist bereits die dritte gegen Trump, und eine vierte könnte womöglich bald folgen. Doch seiner Beliebtheit scheint all das keinen Abbruch zu tun. Trump liegt in Umfragen weit, weit vor allen anderen republikanischen Präsidentschaftsbewerbern. All den Anschuldigungen zum Trotz - oder vielleicht gerade deswegen. Seine hartgesottensten Anhänger scheint er mit jeder neuen Anklage stärker an sich zu binden. „Ich brauche eine weitere Anklage, um meine Wiederwahl zu sichern“, schreibt Trump bei Truth Social.
Was als Scherz anmutet, trägt möglicherweise einen Hauch bitteren Ernstes in sich. Denn Hardcore-Trump-Anhänger wie Dion Cini sind durch nichts, aber auch rein gar nichts von ihrem Idol abzubringen. Trump habe einmal gesagt, dass ihn die Leute auch wählen würden, wenn er jemanden auf der Flaniermeile Fifth Avenue in New York erschießen würde, sagt der eiserne Trump-Fan Cini: „Ich stimme ihm da zu.“