Moskau/Kiew. Trotz aller internationalen Appelle stoppt Russland das internationale Getreideabkommen mit der Ukraine. Mit einem neuen Angriff auf die Krim-Brücke soll das nichts zu tun haben.
Russland hat das internationale Abkommen zum Export von ukrainischem Getreide übers Schwarze Meer aufgekündigt. Der Kreml begründete den Ausstieg aus der auch für andere Länder wichtigen Vereinbarung damit, dass eigene Forderungen nach einer Ausfuhrerlaubnis für russisches Getreide nicht erfüllt werden.
Das Abkommen hatte es der Ukraine seit knapp einem Jahr ermöglicht, trotz des russischen Angriffskriegs mehr als 30 Millionen Tonnen Weizen, Mais und anderes Getreide ins Ausland zu verkaufen. Zudem drohte Kremlchef Wladimir Putin der Ukraine mit militärischer Vergeltung wegen eines neuen Angriffs auf die Brücke zur russisch besetzten Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Internationale Reaktionen und Kritik
Das Getreideabkommen war zwischenzeitlich mehrfach verlängert worden. Putin hatte in den vergangenen Tagen aber schon deutlich gemacht, dass er über die letzte Frist nicht mehr hinausgehen will. Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte an, dass Moskau die Abmachungen wieder einhalten werde, wenn seine Forderungen erfüllt seien.
International gab es viel Kritik. UN-Generalsekretär António Guterres nannte das Abkommen einen „Leuchtturm der Hoffnung in einer aufgewühlten Welt“. Der Stopp werde weltweit negative Auswirkungen auf die Ernährungslage haben. Vor allem in Afrika wird befürchtet, dass Getreide nun noch knapper wird.
Die USA forderten Russland auf, sofort wieder Exporte aus der Ukraine zuzulassen. „Wir fordern Russland mit Nachdruck dazu auf, seine Entscheidung unverzüglich zu revidieren“, so ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „schlechten Botschaft“ nicht nur für die Ukraine. Dies zeige, „dass Russland sich nicht verantwortlich fühlt für ein gutes Miteinander in der Welt“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, Putin umstimmen zu wollen.
Angriff auf Krim-Brücke nicht ausschlaggebend für Entscheidung
Peskow bestritt, dass der neue Angriff auf die 19 Kilometer lange Brücke zur besetzten Krim-Halbinsel den Ausschlag für die Entscheidung gab. „Das sind zwei nicht miteinander verbundene Ereignisse.“
Moskau machte die Ukraine, zu der die Krim gehört, für die Explosion mit zwei Todesopfern verantwortlich. Putin sagte am Abend: „Natürlich wird es von Seiten Russlands eine Antwort geben.“ Das Verteidigungsministerium bereite Vorschläge vor. Nach russischen Angaben hatten unbemannte ferngesteuerte Boote am Morgen Sprengstoff an dem Bauwerk gezündet. Ein Teil der Fahrbahn sackte dadurch ab. Aus Kiew gab es keine Bestätigung für eine Beteiligung.
Das russische Außenministerium gab der Ukraine, dem Westen und den Vereinten Nationen die Schuld daran, dass das Getreideabkommen nicht verlängert wird. „Entgegen den Erklärungen zu den humanitären Zielen wurde die Ausfuhr ukrainischer Lebensmittel praktisch sofort auf rein kommerzielle Basis gestellt und richtete sich bis zuletzt auf die Erfüllung selbstsüchtiger Interessen Kiews und des Westens“, hieß es in einer Erklärung. Zudem sei der eingerichtete Korridor für Getreidefrachter im Schwarzen Meer mehrfach für den Beschuss russischer Ziele missbraucht worden.
Moskau fordert Erleichterungen bei den Sanktionen
Mit dem Auslaufen des Abkommens kommt der Transport von ukrainischem Getreide über den Seeweg praktisch zum Erliegen, obwohl die Ausfuhren vor allem für ärmere Länder wichtig sind. Seit Beginn des Abkommens haben etwa 1000 Schiffe aus drei ukrainischen Häfen russischen Angaben zufolge rund 32,8 Millionen Tonnen Getreide ausgeführt.
Als Gegenleistung für eine Verlängerung hatte Moskau Erleichterungen bei den Sanktionen für seine Dünge- und Lebensmittelexporte gefordert - etwa bei Versicherungen, Fracht und auch der Finanzierung. Konkret ging es darum, dass die staatliche Landwirtschaftsbank von Sanktionen des Westens befreit wird. Zudem wollte Russland die Wiederinbetriebnahme einer Ammoniak-Pipeline von seinem Staatsgebiet in den ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa forcieren, von wo aus das für die Düngemittelproduktion nötige Gas verschifft werden sollte.
Erdogan zeigt sich zuversichtlich
Der türkische Präsident Erdogan geht trotzdem davon aus, dass eine Verlängerung des Abkommens später wieder möglich ist. „Ich denke, dass der russische Präsident Putin trotz der heutigen Mitteilung für eine Fortsetzung dieser humanitären Brücke ist.“ Erdogan verwies auf einen möglichen Türkei-Besuch des Kremlchefs im nächsten Monat. Die Türkei war vergangenes Jahr entscheidend am Zustandekommen des Abkommens beteiligt.
Russland hatte nach Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2021 auch die Seehäfen des Nachbarlands blockiert. Nach fünf Monaten einigte man sich dann auf ein Abkommen. Es ermöglichte der Ukraine eine Ausfuhr übers Schwarze Meer, allerdings nur in beschränktem Umfang. Vertreter der UN, Russlands, der Ukraine und der Türkei kontrollierten die Schiffsladungen in Istanbul. Das Abkommen wurde mehrfach verlängert, zuletzt Mitte Mai um zwei Monate.
Die Ukraine und Russland sind wichtige Lieferanten von Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und anderen Nahrungsmitteln für Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Vor Kriegsbeginn lieferten sie fast ein Viertel der Getreideexporte weltweit. Russland war außerdem der weltweit größte Exporteur von Düngemitteln.
2022 konnte die Ukraine trotz des Krieges auch dank des Getreidedeals mehr als 38 Millionen Tonnen Getreide exportieren und dabei Erlöse von umgerechnet über 8 Milliarden Euro erzielen. Die Einnahmen sind wichtig für den Staatshaushalt des Landes, das sich gegen den russischen Angriffskrieg zur Wehr setzt. Knapp 75 Prozent der Exporte gingen über die Häfen am Schwarzen Meer und der Donau ins Ausland. Gegenüber 2021 ging der Seeexport damit um etwa 23 Prozent zurück.