Bachmut/Moskau. Die Schlacht um Bachmut gilt als längste und blutigste des Krieges in der Ukraine. Nun behauptet die russische Seite, die weitgehend zerstörte Stadt erobert zu haben. Selenskyj äußert sich nicht eindeutig.
Russland hat die monatelange Schlacht um Bachmut für entschieden erklärt und die vollständige Einnahme der Stadt im Osten der Ukraine verkündet. Die Privatarmee Wagner habe die Stadt mithilfe der Artillerie- und Luftunterstützung der russischen Streitkräfte komplett erobert, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau in der Nacht mit.
Zuvor hatte bereits der Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, die Einnahme der seit Monaten äußerst hart umkämpften und inzwischen fast völlig zerstörten Stadt verkündet. Das ukrainische Militär hält nach eigenen Angaben aber weiter Teile der Stadt unter seiner Kontrolle.
Kremlchef Wladimir Putin sprach den Wagner-Truppen und der russischen Armee Glückwünsche aus. Die russischen Streitkräfte hätten Wagner den nötigen Schutz an den Flanken garantiert, sagte Putin nach Angaben seines Pressedienstes. „Alle herausragenden Kämpfer werden mit staatlichen Auszeichnungen geehrt.“
Bachmut weitgehend in Trümmern
Die Schlacht um Bachmut gilt als längste und verlustreichste des russischen Angriffskriegs, der vor 15 Monaten mit dem Einmarsch ins Nachbarland begann. Damals hatte die Stadt noch 70.000 Einwohner, inzwischen liegt sie weitgehend in Trümmern. Die Ukraine gab Bachmut trotzdem nicht verloren, um einen Durchbruch der russischen Truppen weiter ins Landesinnere zu verhindern. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte befohlen, die symbolträchtige Stadt nicht aufzugeben.
Der Sprecher der ukrainischen Armeegruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, dementierte im Radio in Kiew, dass Bachmut erobert sei. Vielmehr seien Prigoschins Truppen am Ende und wollten aufgeben: Sie müssten befürchten, eingekesselt zu werden von den ukrainischen Verteidigern, sagte Tscherewatyj.
Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) mit Sitz in Washington teilte mit, es handele sich allenfalls um einen symbolischen Erfolg Prigoschins, wenn seine Darstellung denn stimme. Strategisch habe Bachmut keinen Nutzen, die ukrainischen Truppen setzten zudem die nördlichen und südlichen Flanken der Stadt unter Druck.
Wagner-Chef Prigoschin dankt Putin
Bachmut ist der Hauptteil der nach der russischen Eroberung von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk etablierten Verteidigungslinie zwischen den Städten Siwersk und Bachmut im Donezker Gebiet. Sollte die Stadt tatsächlich an die Besatzer gefallen sein, würde sich für die russischen Truppen der Weg zu den Großstädten Slowjansk und Kramatorsk eröffnen. Damit würde eine von Russland geplante vollständige Eroberung des Donezker Gebiets näherrücken.
Prigoschin hatte gestern in Uniform und mit der russischen Flagge in der Hand die Eroberung von Bachmut verkündet. Zugleich kritisierte er einmal mehr die russische Militärführung: „Wir haben nicht nur mit den Streitkräften der Ukraine gekämpft, sondern auch mit der russischen Bürokratie, die uns Knüppel zwischen die Beine geworfen hat“, sagte Prigoschin in einem Video. Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow hätten den „Krieg zu ihrem persönlichen Vergnügen“ gemacht. Ihre Launen und die Militärbürokratie hätten dazu geführt, „dass fünf Mal so viele Soldaten gestorben sind wie hätten sterben müssen“.
Bei Präsident Putin bedankte er sich hingegen dafür, dass dieser den Wagner-Kämpfern Gelegenheit gegeben habe, für Russland zu kämpfen. Das sei eine „große Ehre“ gewesen, betonte Prigoschin, der als enger Vertrauter Putins gilt. Die Wagner-Truppe habe der „zerzausten russischen Armee geholfen, wieder zu sich zu finden“. Er wolle Bachmut nun den regulären Truppen überlassen. Nach Darstellung Prigoschins kämpften die Wagner-Truppen seit dem 8. Oktober um die Kontrolle über Bachmut - nun stehe eine Erholungsphase an. Seine Männer seien aber bereit, weiter für Russland zu kämpfen.
Forderung an Moskau
Mit Blick auf den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beim G7-Gipfel der führenden demokratischen Wirtschaftsnationen in Japan sagte Prigoschin, Kiews Truppen hätten „tapfer und gut“ gekämpft. Selenskyj solle US-Präsident Joe Biden Grüße ausrichten von der Wagner-Armee, der besten der Welt. In Richtung Moskau adressierte er die Forderung, jene zur Verantwortung zu ziehen, die die Schlacht um Bachmut durch das Zurückhalten von Munition, Material und Kämpfern in die Länge gezogen hätten.
Zur Verstärkung für die Schlacht hatte Prigoschin auch verurteilte Straftäter in russischen Gefängnissen angeworben. Er sagte, dass 23 Mal mehr Personal und 27 Mal mehr Munition nötig gewesen wären, um die Stadt schneller einzunehmen. Prigoschin erinnerte auch an die vielen Gefallenen, ohne Zahlen zu nennen. Wegen der auf beiden Seiten hohen Verluste hatte der Söldnerchef die Schlacht um Bachmut als „Fleischwolf“ bezeichnet.
Ukrainische Vize-Verteidigungsministerin: „Lage ist kritisch“
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar widersprach Prigoschins Worten am Samstagnachmittag mit den Worten, die „schweren Kämpfe“ in Bachmut dauerten an. Zugleich räumte sie ein: „Die Lage ist kritisch.“ Die ukrainischen Streitkräfte verteidigten aber ihre Stellungen und kontrollierten noch einzelne Industrie- und Infrastrukturobjekte. Auf die Sieges-Verkündung der russischen Regierung reagierte sie zunächst nicht.
Maljar hatte zuvor gesagt, das russische Militär habe Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Bachmut verlegt und greife weiter „unter hohen Verlusten an, die unsere Verluste unverhältnismäßig übersteigen“. Auch das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von schweren Verlusten des Gegners. Die Angaben beider Seiten zum Kampfgeschehen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Selenskyj äußert sich
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist die seit Monaten umkämpfte Stadt Bachmut nicht vollständig unter russischer Kontrolle. Nach dem G7-Gipfel im japanischen Hiroshima sagte Selenskyj: „Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden.“
Selenskyj stellte damit missverständliche, nicht eindeutige Aussagen von ihm zur militärischen Situation nach einem Treffen mit US-Präsidenten Joe Biden klar.
Ein Reporter hatte ihn gefragt, ob Bachmut noch in ukrainischer Hand sei. Der Journalist schob nach, die Russen hätten gesagt, dass sie Bachmut eingenommen hätten. Der ukrainische Präsident antwortete mit den Worten: „Ich denke nicht.“
Kiew: Ukraine hält weiter Teile im Südwesten Bachmuts
Das ukrainische Militär hält nach eigenen Angaben weiter Teile der Stadt Bachmut unter seiner Kontrolle. „Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen und einige Räumlichkeiten im Südwesten der Stadt“, sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen. Er räumte allerdings ein, dass die Lage kritisch sei und es schwere Kämpfe gebe. Am Samstag hatte das russische Militär bereits die Eroberung der Stadt verkündet. Unabhängig lassen sich die Angaben der Kriegsparteien nicht überprüfen.
Tscherewatyj nahm auch Stellung zu den missverständlichen Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj, die zunächst als Bestätigung für die russische Eroberung Bachmuts gewertet wurden, ehe Kiew sie dementierte. „Der Präsident hat es richtig gesagt - die Stadt ist praktisch dem Boden gleichgemacht“, sagte Tscherewatyj. Selbst bei einer Eroberung hätte die Stadt weder militärischen noch politischen Nutzen für die Russen, „aber sie führen sich auf, als hätten sie Dnipro eingenommen.“ Die Millionenstadt Dnipro ist das wichtigste Industrie- und Rüstungszentrum im Südosten der Ukraine.
Später teilte die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar mit, dass den ukrainischen Truppen an den Flanken weitere Vorstöße gelungen seien. Das Militär habe mehrere Höhenzüge eingenommen, was es den Russen schwer mache, in Bachmut zu bleiben. Die ukrainischen Kräfte hätten bereits einen Halbkreis um die Stadt gebildet, schrieb sie am Sonntag auf Telegram.
„Wir rücken weiter an den Flanken in den Vororten von Bachmut vor und kommen der taktischen Einkesselung der Stadt tatsächlich näher“, sagte der Chef der Heeresstreitkräfte, Olexander Syrskyj. Auch wenn die Ukrainer in der Stadt nur noch einen „unbedeutenden Teil“ hielten, sei es wichtig, diesen weiter zu verteidigen, um bei einer Lageänderung schnell vorstoßen zu können, sagte er.