Berlin. Reykjavik, Hiroshima, Seoul: Etwa 33 Stunden verbringt der Kanzler innerhalb einer Woche im Flieger. Erstmals ist eine ganz besondere Begleiterin dabei - zumindest teilweise.

Mit dem Flüchtlingsgipfel und dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Kanzler Olaf Scholz ereignisreiche Tage in Berlin hinter sich gebracht. Jetzt ist er erst mal für fast eine Woche weg, auf Dienstreise im Ausland - so lange wie noch nie.

Auf seinem Programm stehen zwei Gipfeltreffen an zwei fast 9000 Kilometer voneinander entfernten Orten und ein Abstecher in ein wichtiges fernöstliches Partnerland. An die 40 Staats- und Regierungschefs trifft er auf der Tour und verbringt dafür etwa 33 Stunden im Regierungsflieger. Immerhin mit einem kurzen Zwischenstopp in Berlin - zum Umpacken.

Station 1: Reykjavik, Gipfel des Europarats

Den Europäischen Rat kennt man. Das sind die Staats- und Regierungschef der 27 EU-Staaten, die mehrmals im Jahr zu Gipfeltreffen zusammenkommen. Aber was ist eigentlich der Europarat? Das Gremium wurde 1949 nur vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als Hüter von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat in Europa gegründet.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat das Gremium in eine Krise gestürzt. Russland wurde ausgeschlossen, Belarus darf nur noch als Beobachter dabei sein. Der Gipfel in Reykjavik dient nun quasi der Selbstfindung nach dem Schock des russischen Angriffskriegs - er ist der erste seit 18 Jahren.

Scholz brach am Dienstagnachmittag nach Reykjavik auf. Etwa 30 Staats- und Regierungschef aus den 46 Mitgliedstaaten haben ihre Teilnahme an den Beratungen in der Hauptstadt Islands zugesagt. Am Ende soll es ein Bekenntnis zur Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine geben und zu den Grundwerten des Europarats. Wichtigstes konkretes Projekt: Es soll ein Register zur Erfassung der Kriegsschäden in der Ukraine geschaffen werden.

Station 2: Berlin, Personalwechsel

Scholz bleibt nur gut 18 Stunden in Island, um dann am Mittwoch wieder dreieinhalb Stunden zurück nach Berlin zu fliegen. Dort wird seine Delegation weitgehend ausgetauscht: Anderer Gipfel, andere Themen, anderes Personal. Außerdem steigt noch ein ganz besonderer Passagier zu: Scholz' Ehefrau Britta Ernst begleitet den Kanzler zum ersten Mal auf einer offiziellen Dienstreise. Beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau im vergangenen Jahr hatte sie das Partnerprogramm geleitet. Das hat ihr offensichtlich so gut gefallen, dass sie jetzt mit nach Japan kommt.

Station 3: Hiroshima, Gipfel der G7

Als Veranstaltungsort für das G7-Treffen haben die japanischen Gastgeber Hiroshima gewählt. Ein stärkeres Symbol gibt es für einen Gipfel in Kriegszeiten eigentlich nicht. Am Morgen des 6. August 1945 zerstörte eine von dem US-Flugzeug „Enola Gay“ abgeworfene Atombombe mit dem harmlos klingenden Namen „Little Boy“ die japanische Großstadt zu 80 Prozent. Schätzungsweise mehr als 70.000 Menschen wurden auf einen Schlag getötet, Zehntausende weitere starben noch Wochen, Monate und Jahre später. Es war der erste Atomwaffeneinsatz der Geschichte, drei Tage später wurde eine weitere Bombe über Nagasaki abgeworfen.

Gleich zu Beginn des Gipfels am Freitagvormittag werden die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten Japan, USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada das Friedensmuseum in Hiroshima besuchen und den Opfern der Angriffe in einer Schweigeminute gedenken. Die gemeinsame Gipfelerklärung zur nuklearen Abrüstung wird vor allem eine Botschaft haben: Nie wieder. Damit wird sich die G7 in erster Linie an den russischen Präsidenten Wladimir Putin richten, der wiederholt mehr oder weniger deutlich mit einem Atomschlag gedroht hat. Putins Angriffskrieg wird einen großen Teil des Gipfels bestimmen. Das sind die wichtigsten Themen:

- Solidarität mit der Ukraine: Unterstützung für den Abwehrkampf gegen Russland, solange wie es nötig ist - dieses Versprechen an die Regierung in Kiew werden die westlichen Demokratien in Hiroshima erneuern. Es wird aber auch um ein paar konkrete Fragen gehen: Wie kann verhindert werden, dass Sanktionen gegen Russland umgangen werden? Wie kann Russland für Kriegsschäden und Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden? Und wie kann der Wiederaufbau der Ukraine vorangetrieben werden?

- Umgang mit China: Wie halten es die großen westlichen Demokratien mit der aufstrebenden Supermacht? Diese Frage wird gleich in mehreren Arbeitssitzungen mitschwingen - ob es nun um die weltwirtschaftliche Lage geht oder den russischen Angriffskrieg. Einig sind sich alle, dass China Partner, Wettbewerber, aber auch Systemrivale ist. Die Frage ist, wie diese Ansätze ausbalanciert werden. Da gibt es zwischen den USA und der EU, aber auch unter den Europäern und selbst innerhalb der Bundesregierung noch keine Klarheit.

- Dauerthema Klima: Der Kampf gegen den Klimawandel darf auf keinem G7-Gipfel fehlen. Scholz will eins seiner Lieblingsprojekte, den Klimaclub, weiter voranbringen. Dafür will er die Staaten gewinnen, die sich besonders ehrgeizige Ziele bei der Drosselung der Erderwärmung setzen. Beim G7-Gipfel auf dem bayerischen Schloss Elmau wurde der erste Aufschlag dafür gemacht, inzwischen haben einige Länder in Südamerika, Afrika und Asien ihren Beitritt erklärt.

Wer alles an dem Gipfel teilnimmt, ist noch nicht so ganz klar. US-Präsident Joe Biden sorgte vorab für etwas Aufregung mit seiner Aussage, eventuell müsse er dem Gipfel fernbleiben wegen innenpolitischer Probleme daheim. Das sei „möglich, aber nicht wahrscheinlich“, sagte er. Der Hintergrund: Anfang Juni droht ein Zahlungsausfall der US-Regierung, sofern sich Bidens Team nicht bis dahin mit den Republikanern im Kongress auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze verständigt. Der US-Präsident dürfte mit aller Kraft zu verhindern versuchen, dass er wegen der Haushaltskrise in letzter Minute absagen muss. Schließlich würde es nach außen hin kein gutes Bild abgeben, wenn der US-Präsident einen wichtigen internationalen Gipfel schwänzen muss, weil er die Lage im eigenen Land nicht im Griff hat.

Station 4: Seoul, Antrittsbesuch

Auf dem Rückweg nach Berlin schaut Scholz für wenige Stunden in Südkorea vorbei, nach China, Japan und Indien die viertstärkste Volkswirtschaft in Asien. Es ist der erste rein bilaterale Besuch eines Kanzlers in dem Land seit 30 Jahren; danach war Angela Merkel 2010 nur noch einmal für einen G20-Gipfel dort.

Hauptgrund für die Visite: Scholz will die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China mindern und die Beziehungen zu Asien breiter aufstellen. Höhepunkt des Kurzaufenthalts neben den politischen Gesprächen: ein Besuch der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea.