1979 brachten Terroristen Zehntausende Gläubige in ihre Gewalt
Istanbul. Die Attentäter kamen im Morgengrauen. Am 20. November 1979 hatten sich Zehntausende in der Großen Moschee der saudischen Stadt Mekka rund um die Kaaba versammelt, den heiligsten Ort des Islam. Am letzten Tag der Pilgerfahrt warteten sie gegen 5 Uhr auf den Beginn des Frühgebets. Doch dazu sollte es nicht kommen.
Mehrere Hundert Attentäter unter den Massen zogen Waffen, die sie in die Moschee geschmuggelt hatten. Sie erschossen die Wachen, schlossen die Türen und brachten die Gläubigen in ihre Gewalt. So wollten sie das für sie korrupte saudische Königshaus stürzen. Mehr als zwei Wochen brauchte die saudische Armee, um die Geiselnahme in blutigen Kämpfen zu beenden. Hunderte starben, darunter viele Unschuldige.
Die Geiselnahme war die Geburtsstunde des modernen Dschihad, der vor allem auf Gewalt setzt, um seine Ziele durchzusetzen. Von dem Terrorakt in Saudi-Arabien führt eine direkte Linie zum Angriff auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris. Für einen damals jungen Mann war die Geiselnahme ein Schlüsselerlebnis auf dem Weg in den Krieg gegen Ungläubige. Sein Name: Osama Bin Laden.
Der Dschihad-Experte Guido Steinberg bezeichnet das ganze Jahr 1979 in einem seiner Bücher als „epochemachend für die islamische Welt“. Denn zwei weitere Ereignisse gaben radikalen islamischen Bewegungen Auftrieb: die Machtübernahme Ajatollah Khomeinis im Iran und der Einmarsch russischer Truppen in Afghanistan.
Vor allem Moskaus Invasion am Hindukusch trug zum Erfolg des Dschihadismus bei. Einmarschiert war die Sowjetarmee, um das kommunistische Regime in Kabul zu stützen. Doch dort formierte sich schnell Widerstand gegen die Russen. Auch zahlreiche Muslime aus anderen Ländern – darunter viele Araber – folgten dem Ruf, die Ungläubigen von afghanischem Boden zu vertreiben.
Der Dschihad in Afghanistan führte viele von den militanten Islamisten zusammen, die später als Top-Terroristen Schlagzeilen machten. Der prominenteste Name aus der späteren Terror-Riege: Al-Qaida-Chef Bin Laden. Er ging als Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington in die Geschichte ein. Dabei hatten die Amerikaner selber den Dschihad in Afghanistan massiv gefördert – und einen Sieg der Mudschaheddin über die Rote Armee wohl erst möglich gemacht. Für die USA organisiert ihr Geheimdienst CIA den Stellvertreterkrieg gegen die Sowjets auf afghanischem Boden.
1989 zogen die Sowjets gedemütigt aus Afghanistan ab. Auch die USA kehrten der Region den Rücken, die im Chaos versank. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in Kabul 1992 brach Bürgerkrieg in Afghanistan aus, 1996 kamen die von Pakistan unterstützten radikalislamischen Taliban an die Macht. Sie boten einem prominenten Gast Zuflucht: Bin Laden, der 1996 nach Afghanistan zurückkehrte. 1998 verübte al-Qaida Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Nairobi, im Jahr 2000 dann auf den Zerstörer „USS Cole“ im Jemen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 weigerten sich die Taliban, Bin Laden an die USA auszuliefern. Sie läuteten damit den Sturz ihres eigenen Regimes Ende desselben Jahres ein, nachdem US-geführte Truppen in Afghanistan einmarschiert waren. Bin Laden fand – wie viele Taliban-Führer auch – in Pakistan Schutz, US-Soldaten gelang es erst 2011, ihn aufzuspüren und zu töten.
Von Afghanistan führt die Spur des Dschihad weiter in den Irak. Am Hindukusch soll in den 80er-Jahren ein Mann gekämpft haben, der später im Zweistromland zu unrühmlicher Prominenz kam: Abu Mussab al-Sarkawi. Nach der US-Invasion 2003 führte er im Irak die militante Gruppe an, aus der später die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hervorging. Mittlerweile beherrscht der IS große Teile des Iraks und Syriens – ideale Rückzugsräume für die Planung von Anschlägen.