Islamischer Staat trotz Luftschlägen auf Vormarsch. Uno-Generalsekretär Ban beklagt Zunahme menschlichen Leids: „als falle die Welt auseinander“
New York/Genf. US-Präsident Barack Obama will die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) vernichtend schlagen. Das „Netzwerk des Todes“ in Syrien und im Irak müsse zerstört werden, sagte Obama am Mittwoch vor der Uno-Vollversammlung in New York. Zuvor hatte Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon mit drastischen Worten die Zunahme von Kriegen, Gewalt und menschlichem Leid in der Welt beklagt. Es scheine so, als ob „die Welt auseinanderfalle“, sagte Ban zum Auftakt der jährlichen Aussprache der Staats- und Regierungschefs.
Obama erklärte, dass es keine Verhandlungen mit den Terroristen geben könne. Stärke sei die einzige Sprache, die Gewalttäter verstünden. Obama forderte, dass weitere Länder der Allianz gegen den IS beitreten sollten. Mehr als 40 Staaten haben sich der Koalition gegen die Terrormilizen angeschlossen, auch viele muslimische Länder. Unter Führung der US-Streitkräfte beteiligten sich einige an Luftschlägen gegen IS-Stellungen im Irak und in Syrien. Der Uno-Sicherheitsrat hat zudem die von den USA eingebrachte Resolution zu ausländischen Terrorkämpfern angenommen. Das mächtigste Uno-Gremium billigte die Resolution am Mittwoch in einer Sondersitzung unter Vorsitz von US-Präsident Barack Obama einstimmig. Alle Länder werden damit verpflichtet, durch schärfere Gesetze das Reisen zu terroristischen Zwecken zu unterbinden. Die Resolution richtet sich vor allem gegen ausländische Kämpfer, die sich dem IS anschließen. Schätzungen des in London ansässigen Politikinstituts International Center for the Study of Radicalisation (ICSR) zufolge sind rund 12.000 Menschen aus 74 Ländern nach Syrien und in den Irak gereist, um in den Reihen der IS-Miliz zu kämpfen. Der überwiegende Teil von ihnen stammt aus dem Nahen Osten und arabischen Staaten.
Der US-Präsident verurteilte die Gräueltaten der IS-Kämpfer wie Vergewaltigungen, Erschießungen von Kindern und Enthauptungen von Geiseln. Die Terroristen versuchten mit unvorstellbarer Brutalität ihre „albtraumhafte Vision“ durchzusetzen. Der US-Präsident betonte gleichzeitig, dass der Islam eine Religion des Friedens sei. Kein Gott würde die Gewalttaten des IS gutheißen. „Wir sind nicht im Krieg mit dem Islam“, sagte Obama.
Der amerikanische Staatschef rief die muslimische Welt auf, sich eindeutig von den Gewalttaten zu distanzieren. Die Staaten müssten ihre Kinder zu Frieden und Toleranz erziehen. „Keine Kinder werden als Hasser geboren.“
Uno-Generalsekretär Ban erklärte, das vergangene Jahr sei „schrecklich“ für die Prinzipien der Uno-Charta gewesen. „Die Diplomatie ist in der Defensive.“ Der Irak und Syrien rutschten immer tiefer in die Barbarei ab. Ban beklagte zudem die Gewalt und Gräuel in anderen Konflikten wie in Mali, Nigeria, Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und in Somalia.
In Syrien rückten unterdessen die Extremisten trotz der US-Luftangriffe weiter vor. Im Norden des Landes zogen sie nach kurdischen Angaben den Ring um die Stadt Kobani zusammen. Der IS habe seine Truppen am Mittwoch in der umkämpften Region an der türkischen Grenze verstärkt, berichteten Vertreter kurdischer Milizen. Die USA und ihre Verbündeten flogen am zweiten Tag in Folge Angriffe auf IS-Stellungen in Syrien. Ein Sprecher des US-Militärs erklärte: „Dies ist erst der Anfang.“
Am Dienstag hatte die US-geführte Koalition erstmals Stellungen des IS in Syrien bombardiert. Die USA hatten Anfang August ihre militärische Zurückhaltung aufgegeben, ihre Angriffe jedoch auf IS-Truppen im Irak begrenzt. Der IS hat in den von ihm beherrschten Gebieten in Syrien und im Irak ein Kalifat ausgerufen, in dem sich die Bewohner der orthodoxen sunnitischen Glaubensauslegung unterwerfen müssen.
Nach Angaben der syrischen Opposition griffen Kampfflugzeuge IS-Stellungen westlich von Kobani an. Sie sollen aus Richtung der Türkei gekommen sein. Allerdings sagten zwei Mitarbeiter des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu der Nachrichtenagentur Reuters, die Luftschläge gegen den IS seien weder vom US-Stützpunkt im türkischen Incirlik noch vom türkischen Luftraum ausgegangen. Die USA bestätigten zunächst nur fünf Luftangriffe auf den IS in Syrien und im Irak.
Auch Vertreter der Kurden im Kampfgebiet um Kobani bestätigten zunächst die Luftangriffe nicht und warnten vor einer erdrückenden Übermacht der IS-Milizen. „Die Zahl ihrer Kämpfer ist gewachsen, die Zahl ihrer Panzer ist gewachsen, seitdem Rakka bombardiert wurde“, sagte der stellvertretende Kommandant der kurdischen Kräfte, Ocalan Iso. „Kobani ist in Gefahr“, meinte er. Die USA sollten die Stellungen der IS vor der Stadt aus der Luft angreifen. Die IS-Milizen hätten sich bis auf acht Kilometer an die südlichen Vororte von Kobani herangekämpft – so nahe wie nie zuvor.
Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht die amerikanischen Luftangriffe durch das Völkerrecht gedeckt. Er verwies darauf, dass die USA und der Irak die Bombardements mit Artikel 51 der Uno-Charta begründen, dem Recht eines angegriffenen Staates auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Der IS dürfe „keine Rückzugsräume“ in Syrien bekommen. „Deshalb scheint mir die Berufung auf Artikel 51 geeignet.“