Enttäuschung nach Ukraine-Gipfel in Minsk. Berichte über russische Soldaten im Nachbarland verschärfen die Lage
Kiew. Dunkle Ringe zeichnen sich unter den Augen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ab. Bis tief in die Nacht hinein hat der prowestliche Politiker mit Kremlchef Wladimir Putin um das Schicksal der umkämpften Ostukraine gerungen. Doch ein Durchbruch bleibt bei dem Krisentreffen in Minsk aus. Keine Waffenruhe, kein Gefangenenaustausch, kein Ende des Gasstreits: Für Poroschenko wird es nicht die erhoffte freudige Rückkehr in die Ukraine. Reichlich übernächtigt steht er am Mittwoch am Rednerpult einer Parteiversammlung in Kiew.
Das Ergebnis der Verhandlungen in der weißrussischen Hauptstadt ist mager. Putin habe „keinen Deut nachgegeben“, kritisieren Medien in Kiew. Die ukrainische Währung rutscht am Folgetag auf ein neues Rekordtief. Doch Poroschenko rennt die Zeit davon. Längst verstrichen ist eine zweimonatige Frist zur Befriedung des Donbass, die er sich selbst gesetzt hat. Und an diesem Freitag will der Internationale Währungsfonds (IWF) über weitere Kredite für das nahezu bankrotte Land entscheiden. Die Voraussetzung dafür sind Reformen. Doch Poroschenko fehlt immer noch die Parlamentsmehrheit dafür, und bis zu Neuwahlen am 26. Oktober sind es noch zwei Monate.
Durch die Kämpfe mit mittlerweile mehr als 2000 Toten im Donbass steht das „Ruhrgebiet der Ukraine“ nahezu still. Der dringend nötige Strukturwandel kommt nicht von der Stelle. Entnervt gibt die Korruptionsbekämpferin Tatjana Tschernowol vor wenigen Tagen das extra für sie geschaffene Regierungsamt auf. Der Wille für einen kompromisslosen Kampf gegen Bestechung reiche in ihrem Land nicht aus, schreibt die bekannte Journalistin zur Begründung. Poroschenko steht weiter unter Druck – während Putin am Tag nach dem Krisengipfel Normalität demonstriert. Der Kremlchef hat 2018 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland die Welt zu Gast und besichtigt in Moskau ein Milliarden teures Stadion für das Turnier. Zusammen mit Ex-Profispieler Wladimir Bestschastnych, der einst bei Werder Bremen spielte, spaziert der Präsident durch die neue Arena.
Doch regierungskritische Medien stellen Putin unbequeme Fragen. So veröffentlicht die Zeitung „Nowaja Gaseta“ Fotos von frischen Gräbern, in denen offenbar russische Soldaten ruhen. Recherchen des Magazins, für das einst die ermordete Reporterin Anna Politkowskaja arbeitete, ergeben, dass die Fallschirmjäger bei Geheimeinsätzen in der Ukraine ums Leben gekommen sein sollen. Der Kreml weist stets zurück, dass russische Soldaten in der Ukraine aufseiten der Separatisten kämpfen. Doch auch die Tageszeitung „Wedomosti“ fragt: „Führt Russland Krieg gegen die Ukraine? Und wenn ja, warum?“ Die prowestliche Regierung in Kiew wirft Moskau seit Monaten vor, den Aufstand der Separatisten im Osten mit Waffen und Soldaten zu unterstützen. Auf einer bizarren „Pressekonferenz“ präsentieren die Ukrainer mehrere gefangen genommene russische Fallschirmjäger wie Trophäen. Sichtlich eingeschüchtert sitzen die Männer an einem langen Tisch. Putin räumt in Minsk zwar ein, dass sich die zehn Soldaten in der Ukraine befinden. Der Grenzübertritt sei aber „versehentlich“ geschehen: „Ich hoffe sehr, das wird jetzt nicht problematisiert.“
Experten sprechen nach dem ersten Treffen der beiden Präsidenten seit knapp drei Monaten von einer eher verschärften Lage. Putin und Poroschenko hätten in Minsk zwar russisch miteinander gesprochen, schreibt die Moskauer Zeitung „Kommersant“ – „aber in verschiedenen Sprachen“. Poroschenko habe über die Kämpfe verhandelt, während Putin die EU-Integration der Ukraine kritisierte. „Unterschiedlicher könnten die Welten kaum sein“, kommentiert das Blatt.
Angesichts der ausbleibenden politischen Fortschritte ruft der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk nun die Nato zur Hilfe. Das Militärbündnis müsse auf seinem Gipfel in der kommenden Woche in Wales „Schlüsselentscheidungen für praktische Unterstützung“ treffen. „Wir brauchen Hilfe“, fordert Jazenjuk. Außenminister Pawel Klimkin spricht offen von Waffenlieferungen aus dem Westen an Kiew. Dies schließen die Nato und die Bundesregierung aber bisher aus.
Die Bundesregierung drängt Russland dagegen erneut, Waffenlieferungen an die prorussischen Separatisten zu stoppen. Der Strom von Waffen und Kämpfern über die Grenze sei ein „Unding, ein schlimmer Zustand, der zur permanenten Eskalation beiträgt“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe erneut am Telefon mit Poroschenko über den Konflikt beraten.
In der Krise mit Russland wollen die neutralen EU-Länder Finnland und Schweden Übungen von Nato-Soldaten in ihren Ländern zulassen. Wie der finnische Verteidigungsminister Carl Hag-lund sagt, werde man beim Nato-Gipfel nächste Woche eine sogenannte Host-Support-Vereinbarung unterzeichnen. Auch Schweden arbeite an einem ähnlichen Abkommen mit der Nato, sagt die schwedische Verteidigungsministerin Karin Enström. Am Ende müsse aber das Parlament darüber entscheiden. Schweden und Finnland sind bisher nicht Mitglieder der Nato, um den russischen Nachbarn nicht zu verärgern. Der neue finnische Ministerpräsident Alexander Stubb scheint darauf aber keine Rücksicht mehr nehmen zu wollen.