Heftige Milizen-Gefechte um den Flughafen von Tripolis, Treibstofftanks in Brand geraten
Tripolis. Libyens Hauptstadt Tripolis droht ein Inferno: Nachdem am Sonntag eine Milizen-Rakete einen Lagertank am Flughafen, gefüllt mit mehr als sechs Millionen Litern Benzin, getroffen hatte, brach ein Großfeuer aus – nun hat am Montag ein zweiter Treibstofftank Feuer gefangen. Die Lage sei „sehr gefährlich“, teilte die libysche Regierung mit.
Die Feuerwehr versuchte seit Sonntag bereits vergeblich, das erste Feuer zu löschen. Die nationale Ölfirma (NOC) Libyen meldete am Montag, das Großfeuer sei inzwischen „außer Kontrolle“ geraten, und die Feuerwehr habe das Gelände verlassen. „Es droht eine Katastrophe für Mensch und Umwelt“, sagte Mohamad al-Harari, der Sprecher der NOC. Denn in unmittelbarer Umgebung des brennenden Tanks befänden sich weitere Lagerstätten, die „zehnmal mehr Benzin“ enthielten. Die Bevölkerung im Umkreis von fünf Kilometern wurde aufgefordert, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen.
Das Land steht so nahe wie nie zuvor vor einem zweiten Bürgerkrieg. Der Flughafen bietet inzwischen ein Bild der Zerstörung: Im Tower klaffen große Löcher. Einigen Flugzeugen fehlt das Heck oder ein Flügel, andere sind völlig ausgebrannt. Auch die Abflughalle ist schwer beschädigt. Der internationale Flughafen von Tripolis ist Kriegsschauplatz; selbst während der libyschen Revolution hatten die Kämpfer das stets zu vermeiden gesucht.
Seit zwei Wochen kämpfen rivalisierende Milizen um die Kontrolle des größten Flughafens der libyschen Hauptstadt. Mindestens 94 Menschen, überwiegend Zivilisten, sind dabei ums Leben gekommen. Es sind die schwersten Auseinandersetzungen seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011. Hauptakteure der blutigen Gefechte sind die Milizen aus Zintan, einer Stadt in den Bergen im Westen des Landes, und aus der Hafenstadt Misrata am Mittelmeer. Es sind die beiden stärksten Kampfverbände Libyens. Ihre Rivalität hat Geschichte: Bereits während der Revolution gab es bewaffnete Konflikte zwischen beiden. Dabei ging es um Stammesehre, Geld, um Ressourcen und Macht, aber auch um Ideologie.
Die Zintanis sind bekannt für eine liberale Form des Islam und tolerieren keine Extremisten. In ihrer Hand ist Saif al-Islam, der Sohn des Ex-Diktators Gaddafi, den sie weder an die Regierung in Tripolis noch an den Strafgerichtshof in Den Haag ausliefern. Die Misratis dagegen sollen der Muslimbruderschaft nahestehen und auch gegen radikale Islamisten nichts einzuwenden haben.
Die Milizen aus der Hafenstadt sind berüchtigt für willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch dokumentieren die Missstände regelmäßig. Einer der schwersten Vorfälle ereignete sich im November 2013, als Milizionäre aus Misrata in Tripolis das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffneten. 43 Menschen wurden getötet und mindestens 460 verletzt.
Der internationale Flughafen ist seit dem Ende der Revolution unter der Kontrolle der Zintanis – die Milizen aus Misrata wollen ihrerseits den Airport erobern. Offiziell wurden die Milizionäre der Zintanis in die Armee und andere staatliche Sicherheitsdienste aufgenommen. Aber die Loyalität der Kämpfer lag stets bei den Kommandeuren aus der eigenen Stadt. Bei den Truppen aus Misrata ist es nichts anderes. Vertrauen in einen neuen libyschen Staat und eine neue Regierung gab es nie.
„Im Parlament sitzen die Vertreter dieser Milizen“, sagt ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte. „Wer nicht direkt einer Miliz angehört, wird von einer bezahlt. Es gibt unzählige Milizen, nicht nur die aus Zintan oder Misrata. Die meisten Abgeordneten sind Marionetten.“
Die Regierung hatte mehrfach dazu aufgerufen, alle Kampfverbände müssten ihre Waffen abliefern. Das taten Tausende von Menschen und gaben Kalaschnikows, Pistolen, Panzerabwehrraketen und sogar einen Panzer an Sammelstellen ab. Die Mehrzahl der Waffen aber blieb in Händen der Milizionäre. „Wir behalten unsere Waffen so lange, bis sich Libyen in unseren Augen stabilisiert hat und keine Gefahr mehr für eine Konterrevolution besteht“, sagte ein Kommandeur aus Zintan vor einiger Zeit der Zeitung „Die Welt“. Ein Statement, das typisch für alle Milizen in Libyen ist. Jede sitzt auf ihren Waffen, um ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen zu können.
Tripolis ist nur eine Front im Land, an der gekämpft wird. Allein am Wochenende starben in der im Osten gelegenen Hafenstadt Bengasi 38 Menschen. Seit gut zwei Monaten führt hier der pensionierte General Khalifa Hiftar, dem enge Beziehungen zum US-Geheimdienst CIA nachgesagt werden, einen Feldzug gegen Islamisten. Er will „die Würde Libyens wiederherstellen“. Bengasi und die 290 Kilometer weiter östlich gelegene Stadt Derna sind Stützpunkte der Terrorgruppe Ansar al-Scharia sowie von al-Qaida.
Sie unterhalten gemeinsame Waffenlager und Trainingscamps für Dschihadisten, die in Syrien, Mali oder im Irak am Heiligen Krieg teilnehmen wollen. Ansar al-Scharia soll hinter dem Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi vom 11. September 2012 stecken. Damals kamen Botschafter Chris Stevens und drei weitere Amerikaner ums Leben. „Wenn wir es nicht schaffen zu gewinnen, dann verlieren wir Libyen an die Terroristen“, sagte General Hiftar im Mai, als er seinen Feldzug gegen die Radikalen startete.
Am Wochenende konnten seine Truppen vier Militärkasernen zurückerobern, die man an die Islamisten verloren hatte. Nach einem schnellen Sieg sieht es nicht aus, obwohl Hiftar die Unterstützung von Eliteeinheiten der neu geschaffenen libyschen Armee und der Luftwaffe hat.
Angesichts der heftigen Kämpfe bringen immer mehr Länder ihre dort lebenden Bürger in Sicherheit. Nach den USA und Großbritannien zog auch Deutschland sein Botschaftspersonal ab. Da die Ausländer nicht über den Flughafen von Tripolis ausreisen können, versuchen sie es auf dem Landweg oder über den Militärflugplatz Mitiga.