Die sunnitische Kämpfer der Terrorgruppe Isis haben zwei Städte nördlich von Bagdad erobert. Mehr als eine Million Iraker sind bereits geflohen.
Bagdad. Der Vormarsch der islamistischen Kämpfer geht weiter, der irakische Präsident ist weitgehend machtlos und der Westen ist unentschlossen, wie er reagieren soll. Im Irak herrscht wegen des Vormarsches der Isis-Kämpfer Ausnahmezustand. Die Rebellen setzen ihren Vormarsch Richtung Bagdad fort und haben zwei weitere Städte nordöstlich der irakischen Hauptstadt eingenommen. Die Kämpfer hätten in der Nacht zum Freitag Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht, teilte die Polizei am Freitag mit. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt. Die Kämpfer rückten am Donnerstag bis auf 60 Kilometer an Bagdad heran, bevor ihr Vormarsch gestoppt werden konnte. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Die irakischen Soldaten hätten ihre Posten dort ohne Widerstand verlassen, teilten die Behörden mit. Kurdische Kräfte aus dem Norden des Landes seien ebenfalls nach Dschalula gekommen, um die Büros der kurdischen Parteien zu sichern. Es gab keine Berichte über Auseinandersetzungen.
Am Donnerstag hatte die Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien einen Marsch auf Bagdad angekündigt. Die internationale Gemeinschaft versprach dem Land Hilfe, ohne bislang jedoch konkret zu werden. US-Präsident Barack Obama prüft eine Reihe kurzfristiger militärischer Optionen, darunter auch Luftangriffe.
Als Reaktion auf den schnellen Vormarsch der Rebellen evakuierten die USA den Luftwaffenstützpunkt Balad nördlich von Bagdad. Auch ein Ausbildungsprojekt für irakische Soldaten wurde ausgesetzt.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus.
Isis erbeutet mehr als 300 Millionen Euro bei Bank
Trotz der Zuspitzung der Lage verweigerte das irakische Parlament am Dienstag dem schiitischen Regierungschef erweiterte Befugnisse im Kampf gegen den Terror. Offiziere machten Al-Maliki sogar für die Schwäche des Widerstands gegen die Extremisten verantwortlich. Der Armeekommandant der Provinz Anbar, die sich seit Mittwoch in der Hand von Isis befindet, sieht laut „Al-Sumaria News“ „das Fehlen eines moralischen Führers“ als einen der Gründe, weshalb viele irakische Soldaten vor den Isis-Kämpfern geflohen sind.
Al-Maliki bat Washington um Luftunterstützung durch Kampfdrohnen, wie US-Beamte dem Sender NBC News bestätigten. US-Präsident Barack Obama stufte die Krise im Irak als Notfall ein. Er wolle sicherstellen, dass die Extremisten gestoppt werden könnten, sagte Obama im Weißen Haus. Bei Überlegungen über eine Reaktion schließe er keine Option aus. Konkret wurde Obama aber nicht. Zudem forderte er die irakische Führung auf, an einer politischen Lösung zu arbeiten. „Dies sollte ein Weckruf für die irakische Regierung sein“, sagte er.
In Mossul errichtete Isis ein Kommandozentrum und veröffentlichte ein Kommuniqué mit neuen Gesetzen für die eroberte Stadt. Der Konsum von Drogen, Alkohol und Zigaretten wurde unter Strafe gestellt, ebenso das sichtbare Tragen von Waffen. Auch Versammlungen sind verboten. Dieben soll die Hand abgehackt werden. Polizisten und Soldaten wurden aufgefordert, sich zu ergeben. Stammesführer wurden davor gewarnt, die irakische Regierung zu unterstützen.
Nach dpa-Informationen erbeuteten Isis-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro.
Auch schweres Kriegsgerät soll Isis erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich.
Bereits zu Jahresbeginn errang Isis die Kontrolle über Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad. Bei einem Angriff auf die Hauptstadt dürfte es Isis aber deutlich schwerer haben als bei den jüngsten Eroberungen, da die Regierung ihr Machtzentrum gut abgesichert hat und zudem schiitische Milizen sich ihnen in den Weg stellen dürften.