Im Osten der Ukraine gehen Vorbereitungen der Separatisten für Referendum weiter
Moskau/Kiew. Der Tag des Sieges über Nazi-Deutschland war einer der höchsten Feiertage in der Sowjetunion – und er ist es auch heute im neuen Russland. Gerade in Zeiten der Spannungen mit dem Westen. In Moskau demonstriert das Militär Stärke mit einer ungewöhnlich großen Parade. Rund 11.000 Soldaten, 150 Fahrzeuge und 70 Kampfflugzeuge nehmen teil, darunter auch eine Marineeinheit der Schwarzmeerflotte, auf deren Panzerfahrzeugen auch die Flagge der Krim prangte.
Präsident Wladimir Putin, der die Parade auf dem Roten Platz abnimmt, fliegt anschließend auf die Halbinsel Krim, die sich Mitte März von der Ukraine losgesagt hatte und von Russland annektiert wurde. In Sewastopol nimmt Putin eine weitere Militärparade ab. Er fährt in Begleitung von Verteidigungsminister Sergej Shogui im Hafen von Sewastopol auf einem weißen Boot ein Dutzend russischer Kriegsschiffe ab. Es entspreche der „historischen Wahrheit“, dass die Krim zu Russland zurückgekehrt sei, sagt Putin in der anschließenden Ansprache. Das Jahr 2014 werde „in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem die hier lebenden Menschen fest beschlossen, zu Russland zu gehören und damit ihre Treue zur historischen Wahrheit bekräftigten“, sagt Putin und fügt hinzu: „Es bleibt viel Arbeit, doch wir werden alle Schwierigkeiten überwinden, weil wir zusammen sind. Und dies bedeutet, dass wir stärker sind.“
Er gratuliert den in Paradeuniformen angetretenen Mannschaften zum „69. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg“. Die Soldaten auf den Schiffen antworten mit Hurra-Rufen, während sich auf den Kais Tausende Menschen drängen. Nach der Inspektion der Kriegsschiffe fliegen mehrere Geschwader von Kampfflugzeugen in Formation über die Stadt.
Nato und EU protestieren gegen Putins Besuch auf der Krim
Putins Besuch auf der Krim, hat international Kritik ausgelöst. „Die Ukraine äußert heftigen Protest angesichts des ungenehmigten Besuchs von Russlands Präsident Wladimir Putin am 9. Mai in der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol, die vorübergehend von Russland besetzt sind“, protestiert Kiew. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bezeichnet die Visite als „unangemessen“, die Krim sei nach internationalem Recht weiterhin ukrainisches Gebiet. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), wertet Putins Besuch als Zeichen der Destabilisierung der Ukraine. Die wird am Sonntag eine weitere Stufe erreichen.
Wie im Ausnahmezustand wirken die teils von schwer bewaffneten prorussischen Kräften kontrollierten Städte in der Ostukraine. Barrikaden aus Reifen, Sandsäcken und Stacheldraht sichern öffentliche Gebäude in der Millionenstadt Donezk. Auch in den Großstädten Lugansk und Kramatorsk sowie in dem von Regierungstruppen umstellten Slowjansk sieht es ähnlich grimmig und kriegerisch aus – vor dem geplanten Referendum am Sonntag über eine Unabhängigkeit der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk. Auch sie wollen sich loslösen von der Zentralregierung in Kiew. „Die Leute glauben den Machthabern in Kiew nicht mehr“, sagt Miroslaw Rudenko, einer der Anführer der Aktivisten. Auch weil die dortige Führung weiter das Militär einsetze im Osten, werde das Referendum nicht – wie von Kremlchef Putin erbeten – verschoben. „Alles ist bereit für die Abstimmung“, betont er.
In vielen Städten der vom Tagebau geprägten Region Donbass halten Maskierte in Tarnuniformen und mit geladenen Kalaschnikow-Sturmgewehren öffentliche Gebäude und Straßen unter ihrer Kontrolle, um die Abstimmung zu sichern. Doch weil vielerorts Verwaltungsbeamte weiter im Dienst und auch politische Amtsträger nicht abgesetzt sind, haben die Aktivisten nirgends Zugriffe auf aktuelle Wählerverzeichnisse.
„Wir leisten das alles aus eigener Kraft, drucken die Wahlzettel. Russland hat daran keine Aktie“, behauptet „Wahlleiter“ Roman Ljagin von der fiktiven „Volksrepublik Donezk“, die ihre eigene schwarz-blau-rote Fahne hat. Mehr als zwei Millionen Wähler würden erwartet. „Wir sind auf eine ehrliche Abstimmung vorbereitet.“ Ziel der Aktivisten ist eine Trennung von der prowestlichen Führung in Kiew, die ungeachtet ihrer Hilfe von EU und USA hier nur als „faschistische Junta“ bezeichnet wird. Das ist auch die Wortwahl, die der Ex-Geheimdienstchef Putin gern wählt. Er sieht sich im Westen dem Vorwurf ausgesetzt, die Separatisten mit Agenten zu steuern. Moskau allerdings betont, es handele sich um eine innere Angelegenheit – und will damit wohl auch weitere Sanktionen des Westens verhindern.
Die „Terroristen“, wie die Zentralregierung in Kiew ihre Gegner nennt, wollen die Abstimmung auch deshalb nun durchziehen, um vor der für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahl Tatsachen zu schaffen. Die Führung in Kiew wollen die Aktivisten auch künftig nicht anerkennen, sondern einen eigenen Weg gehen. „Wir hören hier nicht auf Putin, sondern verteidigen unsere eigenen Werte von einer Welt mit slawischen Wurzeln“, sagt einer der Bewaffneten, die ihre echten Namen nicht nennen. Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleg Zarjow betont, dass die Menschen wegen der Krise im Land eine historische Chance sähen, nun über die Souveränität der vergleichsweise wohlhabenden Regionen abzustimmen. „Wenn die Menschen zustimmen, dann lässt sich hier die Föderative Republik Noworossija gründen“, sagt Zarjow, der seine Kandidatur für die ukrainische Präsidentenwahl nach einem Besuch in Moskau sausen ließ. Ziel sei nun, erst Lugansk und Donezk dem Einflussbereich Kiews zu entziehen und dann andere Regionen zum Beitritt zu bewegen.
Separatisten streben Gründung einer Republik Noworossija (Neurussland) an
Auch „Volksgouverneur“ Pawel Gubarew sprach im April bereits von der Republik Noworossija (Neurussland) – ein Wort, das auch Putin unlängst verwendete. Der Kremlchef verwies darauf, dass die Regionen schon zu Zarenzeiten russisches Territorium gewesen und unter dem kommunistischen Revolutionsführer Lenin eigentlich eher zufällig der Ukraine zugeschlagen worden seien. Ein Anschluss nach dem umstrittenen Vorbild der Krim ist zwar zunächst nicht geplant. Aber zumindest auf Russland als militärische und wirtschaftliche Schutzmacht wollen sich die Kräfte künftig verlassen können, wie Gubarew sagt. Er ist inzwischen auf Drängen Moskaus aus der Haft der neuen Machthaber in Kiew entlassen worden und dürfte weiter die Strippen ziehen in der Region.
Auch wenn während der Referenden weiter Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Einsatz sind – beachten werden sie diese illegalen Abstimmungen nicht. Weder die ukrainische Führung noch EU oder USA erkennen sie an. Doch könnten die Abstimmungen der entscheidende Schritt für einen Zerfall des Landes sein, betont der Moskauer Politologe Fjodor Lukjanow.