Frankreich ist verärgert über Spähattacken des US-Geheimdienstes NSA. Außenminister Kerry versucht zu schlichten
Paris. Eigentlich wollte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius mit seinem US-Kollegen John Kerry in Paris vor allem über die Lage in Syrien sprechen. Stattdessen stand aber zunächst die Abhörpraxis des US-Geheimdienstes NSA im Mittelpunkt. Die „unter Partnern inakzeptablen Spionage-Praktiken“ müssten aufhören, forderte Fabius relativ undiplomatisch. Kerry hatte zuvor bereits prophylaktisch Frankreich als „einen unserer ältesten Verbündeten in der Welt“ gelobt und sein „sehr enges Arbeitsverhältnis“ mit Fabius hervorgehoben. So sollte wohl die Schärfe aus der Debatte genommen werden.
Vorausgegangen war ein Artikel der Zeitung „Le Monde“. Unter Berufung auf Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden hatte sie berichtet, die NSA spähe massiv die Telefonate französischer Bürger aus. Demnach überwachte die NSA allein innerhalb eines Monats – zwischen dem 10. Dezember 2012 und dem 8. Januar 2013 – 70,3 Millionen Telefonverbindungen in Frankreich. Die französische Regierung reagierte empört auf die Enthüllungen und bestellte US-Botschafter Charles Rivkin ein. Bereits in den vergangenen Monaten hatten Enthüllungen auf Grundlage von Snowdens Dokumenten gezeigt, dass Frankreich eine wichtige Zielscheibe der NSA-Aktivitäten ist. So berichtete der „Guardian“ Anfang Juli, der Geheimdienst habe unter anderem Frankreichs diplomatische Vertretungen in Washington und bei der Uno in New York ausgespäht. Frankreich drängt nach den neuen Enthüllungen weiter auf Erklärungen aus Washington. Staatschef François Hollande äußerte in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama „tiefe Missbilligung“, wie der Elysée-Palast mitteilte. Obama sagte eine Überprüfung der NSA-Methoden zu. Hollande sagte laut dem Élysée-Palast, die US-Spionageaktivitäten seien „zwischen Freunden und Verbündeten inakzeptabel, weil sie die Privatsphäre der französischen Bürger verletzen“. Der französische Staatschef habe Obama eindringlich um „Erklärungen“ gebeten.
Das Weiße Haus erklärte, einige Aktivitäten seien von der Presse „verzerrt“ dargestellt worden. Obama habe im Gespräch mit Hollande aber deutlich gemacht, dass die USA bereits begonnen hätten, „die Art und Weise, in der wir Geheimdienstinformationen sammeln, zu überprüfen, damit wir ein Gleichgewicht finden zwischen den legitimen Sicherheitsbedenken unserer Mitbürger und Verbündeten sowie dem Schutz der Privatsphäre, der alle beschäftigt“.
Die Macht des Geheimdienstes NSA wird noch immer unterschätzt, warnt unterdessen der amerikanische Militärreporter Jeremy Scahill. Scahill berichtet seit Jahren über die Kehrseite der US-Sicherheitspolitik. „Die NSA ist nicht ein Haufen Computernerds, die in Fort Meade herumsitzen und Telefonate abhören“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Die NSA ist ein massives Biest von einer Organisation, die eine von Grund auf militärische Mission hat.“ Es gebe keine klare Grenze zwischen Geheimdienst und Militär. Wer glaube, bei der NSA arbeiteten nur „Geeks mit Kopfhörern“, verstehe den amerikanischen Sicherheitsapparat nicht. Scahill kennt sich aus mit verdeckten Missionen in Amerikas Kampf gegen den Terrorismus. Der 39-Jährige berichtete aus dem Irak und dem Jemen, er deckte Machenschaften der Söldnerfirma Blackwater auf und beschrieb Einsätze von amerikanischen Anti-Terror-Einheiten. Sein zweites Buch, „Schmutzige Kriege“, ist in diesen Monat auch auf Deutsch erschienen. Darin beschreibt Scahill, wie die USA ihren Anti-Terror-Krieg mit Spezialkräften und gezielten Tötungsmissionen auf der ganzen Welt führen. Sein erstes Buch „Blackwater“ war in den USA ein Bestseller.
Nun arbeitet Scahill mit Glenn Greenwald zusammen, dem Journalisten, dem Edward Snowden seinen Vorrat an Geheimunterlagen übergeben hat. Scahill ist ein Mitstreiter in Greenwalds neuer Medienorganisation, die von Ebay-Gründer und Milliardär Pierre Omidyar finanziert wird. „Natürlich werden die Snowden-Dokumente dabei eine riesige Rolle spielen“, sagt Scahill. Sie enthielten Hunderte Geschichten, die noch recherchiert werden müssten. Seit er Greenwald bei der Auswertung der Snowden-Dokumente unterstützt, musste er auch lernen, seine digitale Kommunikation gegen Ausspähversuche zu schützen. „Das ist wie Schattenboxen“, sagt er. „Es ist unsere Aufgabe, es schwerer zu machen, uns auszuspionieren.“