Vier Angeklagte sollen Ventile für Atomreaktoren an das Regime geliefert haben. Diesen Mittwoch beginnt vor dem Oberlandesgericht in Hamburg der Prozess gegen die vier Männer.
Hamburg. Die Sonne scheint an diesem Morgen über Poppenbüttel. Polizisten mit schusssicheren Westen und Durchsuchungsbeschluss klingeln an der Tür des großen weißen Hauses. Sie halten auch einen Haftbefehl in der Hand. Die Beamten nehmen Vater und Sohn fest. In Oldenburg, Halle und Weimar durchsuchen Ermittler am selben Tag Büros und verhaften zwei weitere Männer. Es ist August 2012.
Heute beginnt vor dem Oberlandesgericht in Hamburg der Prozess gegen vier Männer. Laut Anklageschrift sollen sie in einem gemeinsamen Geschäft 92 Spezialventile aus deutscher Produktion in den Iran exportiert haben, weitere Lieferungen aus Indien mit knapp 900 Ventilen sollen sie vermittelt haben. Nach Ermittlungen der Bundesbehörden waren die Ventile für den iranischen Atomreaktor Arak bestimmt. Es ging um einen Millionenauftrag. Trotz eines Embargos der EU und Deutschlands gegen den Iran. Trotz der Drohungen des Mullah-Regimes gegen den israelischen Staat und die USA. Die Generalbundesanwälte (GBA), Deutschlands höchste Strafverfolger, haben sich des Falles angenommen.
Bereits seit 2002 bestehen auf Seiten der Vereinten Nationen erhebliche Zweifel darüber, was der Iran in seinen Atomanlagen eigentlich produzieren will: Strom oder Waffen. Seit 2006 hält die Weltgemeinschaft Sanktionen gegen den Staat aufrecht. In den vergangenen Jahren ist der Exportstopp verschärft worden, Gespräche mit der Regierung in Teheran scheiterten bisher. Und die Auflagen der Internationalen Atombehörde erfüllt das Regime nicht.
Also sucht sich die iranische Regierung andere Wege – auch über Deutschland. Die Bundesrepublik stehe als Industrieland „im Fokus der Beschaffungsaktivität“ des Iran, bestätigt der Verfassungsschutz dem Hamburger Abendblatt. Der Iran verfolge ein ambitioniertes Nuklearprogramm, dessen militärische Dimension nach wie vor ungeklärt sei. Und die Versuche der illegalen Importe deutscher Produkte würden seit Jahren zunehmen.
Im Gerichtssaal 237 des Hamburger OLG geht es nun um den mutmaßlichen Verstoß der vier Angeklagten gegen das strenge Embargo. Doch im Schatten des Prozesses muss auch die Frage geklärt werden, wie scharf die Bundesbehörden den Ansagen der eigenen Regierung folgen und gegen Exporte in den Iran vorgehen. Hätte der Transport der Spezialventile rechtzeitig verhindert werden können? 2010 und 2011 sollen die vier Angeklagten insgesamt fünf Lieferungen aus Deutschland in den Iran organisiert haben. Der in Hamburg inhaftierte Gholamali K. war laut Bundesanwaltschaft vor allem im Iran tätig, sein Sohn handelte sowohl in Hamburg als auch bei einem Zulieferer in Sachsen-Anhalt. Auch der Thüringer Unternehmer Rudolf M. ist angeklagt. Sein Betrieb produzierte die Ventile.
Alles aber begann mit Hamid K., einem Kaufmann aus Niedersachsen. K. sagte nun im ARD-Magazin „Fakt“, er habe im Auftrag der Thüringer Firma Kontakte in den Iran hergestellt. Zu einem gewissen Hossein T., der sich als Leiter einer iranischen Raffinerie ausgab. Doch wer sich mit dem iranischen Atomprogramm befasst, kennt T. gut. Er gilt als einer der Schlüsselfiguren des Iran beim Import von Gütern, die für das Atomprogramm wichtig sind, und soll in der Vergangenheit mehrere Scheinfirmen auch im Ausland gegründet haben. Schon 2007 hat T. laut Bundesanwaltschaft einen bedeutenden Auftrag der iranischen Firma Mitec erhalten, das Unternehmen betreibt den strategisch wichtigen Reaktor Arak. 2010 setze die Uno Mitec auf die Liste der Firmen, mit denen kein Handel geführt werden dürfe. Doch da laufen die Geschäfte zwischen Hamburg, Thüringen und dem Iran offenbar längst an.
Dabei hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Informationen dieser Zeitung schon im April 2009 Hinweise von US-amerikanischen Sicherheitsbehörden erhalten, dass ein illegaler Export der Ventile aus Deutschland bevorstehen könnte. Es hat diese Informationen an das Zollkriminalamt und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle weitergegeben. Doch Maßnahmen wurden vorerst nicht eingeleitet. Laut Ermittlungsakten, aus denen „Fakt“ zitiert, hielt das Zollkriminalamt im April 2010 fest: Es gebe keine Hinweise auf Verbindungen zwischen dem Thüringer Ventil-Lieferanten und dem iranischen Atomprogramm.
Anfang 2013 wurde T. am Flughafen von Istanbul festgenommen. Die türkische Polizei durchsuchte mehrere Büros in der Stadt, die im Namen von T. geführt wurden. Laut der Zeitung „Todays Zaman“ fanden die türkischen Beamten Dokumente, die das Geschäft zwischen deutschen Firmen und dem Iran belegen. Offiziell handelte es sich um Güter für sanitäre Rohrleitungen. Firmen würden durch ständige Umbenennungen, Falschdeklarationen sowie Lieferungen über Drittländer wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und eben der Türkei versuchen, ihre Aktivitäten zu verschleiern, heißt es in einem Bericht des Verfassungsschutzes zu dem Hamburger Prozess.
Im Sommer 2010 saß Hossein T. noch nicht in Haft. Nach Aussagen des mitangeklagten Kaufmanns Hamid K. hat sich der Mittelsmann damals mehrfach mit dem Unternehmer Rudolf M. getroffen. K. habe daraufhin nach T.s eigentlichen Ambitionen im Internet recherchiert und die deutschen Behörden informiert, sagt K. heute.
Die Hinweise auf den illegalen Handel verdichteten sich. Auch soll es laut „Fakt“ weitere Tipps der US-Behörden gegeben haben. Doch erst im Frühjahr 2012 billigt der Bundesgerichtshof Abhörmaßnahmen gegen die vier Angeklagten. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis nach den ersten Hinweisen polizeiliche Maßnahmen eingeleitet wurden. Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel ist das ein Armutszeugnis: „Offensichtlich schafft es die Bundesregierung nicht, ihren Versprechen nach scharfen Kontrollen von Exporten in Staaten wie Iran nachzukommen. Das ist fahrlässig und eine Gefahr für den Weltfrieden“, sagt er dem Abendblatt. Barthel konnte in die Ermittlungsakten einsehen. Auf seine schriftliche Anfrage teilt die Regierung mit, dass die Vorwürfe der Untätigkeit in dem Fall nicht zutreffen würden. „Die zuständigen Stellen sind allen im April 2009 und danach eingegangenen Hinweisen auf eine mögliche Lieferung von Ventilen für eine nuklearrelevante Verwendung aus Deutschland nach Iran unverzüglich nachgegangen und haben die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet“, schreibt eine Staatssekretärin aus dem Wirtschaftsministerium.
Auch das Zollkriminalamt (ZKA) teilt mit, dass die Abläufe in dem Fall „korrekt gelaufen“ seien und die „eingeleiteten Maßnahmen sich im engen rechtlichen Rahmen bewegt haben“. Regierung und Behörden verweisen darauf, dass die Hürden für Abhörmaßnahmen hoch seien. Genehmigungsverfahren würden strengen Auflagen unterliegen. Wer ein Telefon abhören will, braucht in Deutschland einen richterlichen Beschluss. Denn diese polizeilichen Mittel greifen tief in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen ein. Die ersten Hinweise auf einen Handel mit den Spezial-Ventilen hätten nicht ausgereicht für einen „begründeten Anfangsverdacht“, bekräftigt das ZKA. Lieferverträge oder Dokumente über die Intention des Handels hätten nicht vorgelegen. Jedes Jahr gehen bei den Zollbehörden einige hundert Hinweise auf mutmaßlich illegalen Handel ein – eine Mehrheit betreffen den Iran.
Offenbar waren in dem aktuellen Fall die US-Behörden früher informiert als ihre deutschen Kollegen. Welche Rolle die US-Ermittler in dem Verfahren gegen die vier Angeklagten in Hamburg spielten, und mit welchen Mitteln sie zu ihren Informationen über den mutmaßlichen Verstoß gegen das Embargo mit dem Iran gelangten – diese Frage interessiert auch Rechtsanwalt Ulf-Diehl Dreßler, der einen der Angeklagten vertritt. „Mein Mandant wird sich vor Gericht solange nicht äußern, bis die Rolle der Geheimdienste und der Bundesanwaltschaft geklärt ist“, sagt Dreßler dem Abendblatt.