Friedensnobelpreisträger Al-Baradei: Er benimmt sich wie “neuer Pharao“. Kritiker und Befürworter rufen zu weiteren Demonstrationen auf.
Kairo. In Ägypten stößt Präsident Mohammed Mursi mit der Ausweitung seiner Machtbefugnisse auf heftigen Widerstand. Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei kritisierte Mursi als "neuen Pharao" und forderte ihn auf, die Dekrete rückgängig zu machen. In der Hauptstadt Kairo protestierten Tausende Menschen gegen Mursi. Die Polizei setzte Tränengas ein, als eine Gruppe junger Männer vor dem Gebäude des Obersten Gerichts Leuchtgeschosse abfeuerte.
Mursi hatte am Mittwoch mehrere Dekrete erlassen, die aus seiner Sicht "die Revolution schützen" sollen, indem seine Anordnungen nicht mehr anfechtbar sind. Kritiker sehen darin eine totale Entmachtung des Justizsystems. Der Oberste Richterrat Ägyptens kritisierte Mursis Dekrete als "beispiellosen Angriff" auf die Justiz. Gerichte in Alexandria kündigten an, ihre Arbeit so lange niederzulegen, bis die Dekrete aufgehoben würden. Der Versuch des Präsidenten, seine Macht auf Kosten der Justiz zu vergrößern, war auch von der Uno und von westlichen Regierungen kritisiert worden.
Auch Anleger reagierten nervös auf die Entwicklung in Ägypten. Gestern fiel der wichtigste ägyptische Aktienindex EGX30 um 9,5 Prozent und damit so stark wie nie seit den turbulenten Tagen im vergangenen Jahr, als der langjährige Präsident Husni Mubarak zum Rücktritt gedrängt wurde. Mursi schützte durch seine Dekrete auch das Oberhaus des Parlaments und den Ausschuss, der eine neue Verfassung erarbeiten soll, vor richterlichen Anordnungen. Beide Gremien sind von Islamisten dominiert.
Für morgen haben Oppositionsgruppen zu landesweiten Protesten aufgerufen. Al-Baradei gab gemeinsam mit sechs weiteren populären Oppositionsvertretern die Gründung einer Nationalen Heilsfront bekannt, die alle nicht islamischen Gruppen im Kampf gegen Mursis Dekrete vereinen will. An der Initiative beteiligt sich auch der frühere Außenminister Amr Mussa. "Es gibt keinen Mittelweg, keinen Dialog, bevor Mursi seine Dekrete zurücknimmt. Bis dann gibt es keinen Platz für Dialog", sagte al-Baradei.
Ebenfalls morgen will die Muslimbruderschaft, zu der Mursi gehört, Demonstrationen zur Unterstützung des Präsidenten organisieren. Dies führte zu Angst vor neuen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von Mursi. Am Freitag waren dabei mehr als 200 Menschen verletzt worden. "Man kann nicht ausschließen, dass die Streitkräfte eingreifen werden, um Gesetz und Ordnung wiederherzustellen", sagte al-Baradei zur Rolle des Militärs, das in Ägyptens Geschichte oft die Politik bestimmt hat. Bislang scheinen die Streitkräfte auf Mursis Seite zu stehen.
Mursi macht ehemalige Getreue des gestürzten Präsidenten Mubarak im Justizapparat dafür verantwortlich, den politischen Prozess zu blockieren. Auf richterliche Anordnung waren das Unterhaus des Parlaments und die erste Verfassungsgebende Versammlung aufgelöst worden. Mit seinen Dekreten wollte er ähnlichen Entscheidungen vorbeugen und dafür sorgen, dass wichtige Figuren des Mubarak-Regimes juristisch verfolgt werden. Das Ausmaß der Kritik an seiner Erklärung aus dem In- und Ausland beunruhigt Mursi offensichtlich. Nach Angaben der staatlichen Medien rief er gestern zum zweiten Mal binnen 24 Stunden seine Berater zu sich.
Ägyptens Islamisten verdächtigen unterdessen das Ausland, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Ein islamistischer Anwalt erstattete deswegen Anzeige gegen drei Oppositionelle. Hamed Sadik behauptet nach Angaben des Nachrichtenportals "Egynews", al-Baradei, der Vorsitzende der liberalen Wafd-Partei, Sajjid al-Badawi, und der frühere Präsidentschaftskandidat Hamdien Sabahi hätten "mit einer ausländischen Kraft vereinbart, den Präsidenten der Republik, Mohammed Mursi, bei seiner Arbeit zu stören". Der von Mursi gerade neu ernannte Generalstaatsanwalt Talat Ibrahim Abdullah hatte sich zuvor bereits mehrere Kritiker des Präsidenten vorgeknöpft. Abdullah lud einen Politiker und zwei Juristen vor, die sich gegen die Entmachtung der Justiz durch den Präsidenten ausgesprochen hatten. Ihnen wird vorgeworfen, sie versuchten, das System zu stürzen. Außerdem hätten sie sich gegen Entscheidungen des Präsidenten gestellt und zum zivilen Ungehorsam aufgerufen.