Radikale Hamas nimmt Heilige Stadt ins Visier. Israel will 75 000 Reservisten mobilisieren
Jerusalem . Der Zentralrat der Juden in Deutschland spricht von einer "neuen Dimension" der Bedrohung: Nach weiteren palästinensischen Raketen-Angriffen auf Tel Aviv schlug am Freitag auch im Großraum Jerusalem eine Rakete ein. Es war das erste Mal, dass die Stadt, die Christen, Juden und Muslimen gleichermaßen heilig ist, von Raketenstellungen aus dem Gazastreifen ins Visier genommen wurde. Das Geschoss sei jedoch außerhalb der Stadt eingeschlagen, sagte die Sprecherin der israelischen Streitkräfte, Avital Leibovich, Opfer habe es nicht gegeben.
Die Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, bekannte sich über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter zu der Attacke. Man habe zwei Raketen in Richtung des "besetzten Jerusalems" abgefeuert. Zugleich kündigte die Hamas an, sie werde verstärkt Raketen vom Typ Fadschr 5 aus iranischer Produktion auf Israel abfeuern. Die Geschosse verfügen über eine Reichweite von 75 Kilometern und können somit die Metropolen Jerusalem und Tel Aviv treffen.
Die Hamas bekannte sich auch zu einem weiteren Raketen-Angriff auf Tel Aviv am Freitag. Schon am Tag zuvor hatte es dort erstmals seit dem Golfkrieg 1991, als der Irak Scud-Raketen auf Israel abschoss, wieder Luftalarm gegeben. Nach Angaben der israelischen Armee sollen seit Beginn der Militäroperation fast 350 Raketen von radikalen Palästinensern auf Israel abgefeuert worden sein. Israel selbst habe mehr als 600 Angriffe auf Ziele im Gazastreifen geflogen.
Mittlerweile wird eine israelische Bodenoffensive im Gazastreifen immer wahrscheinlicher. Israel plant, wegen des eskalierenden Gaza-Konflikts bis zu 75 000 Reservisten zu den Waffen zu rufen. Verteidigungsminister Ehud Barak habe entsprechende Pläne der Streitkräfte gebilligt und dem Kabinett zur Genehmigung weitergeleitet, berichtete die "Jerusalem Post". Bisher wurden schon 16 000 Reservisten mobilisiert. Panzer und anderes schweres Gerät sollen bereits auf dem Weg zu dem dicht besiedelten Palästinensergebiet am Mittelmeer sein.
Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi sicherte den Palästinensern im Gazastreifen die Unterstützung seines Landes zu: "Kairo wird Gaza nicht alleinlassen." In Ägypten bestimmt heute die Muslimbruderschaft die Außenpolitik. Sie teilt die Ideologie der Hamas-Bewegung.
Weltweit mehrten sich derweil die Aufrufe zur Mäßigung in dem seit Tagen andauernden Konflikt, in dem bis Freitagabend 24 Palästinenser und drei Israelis starben. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon kündigte an, "in Kürze" in die Region zu reisen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) machten die Hamas für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. "Es gibt für die Gewalt keinerlei Rechtfertigung, zumal die israelische Zivilbevölkerung massiv betroffen ist", sagte Merkel.
Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu nannte Israels Angriffe auf den Gazastreifen ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". So lasse sich im Nahen Osten kein Frieden erreichen. Russland rief Israel zur Zurückhaltung auf.
Israels Offensive gegen die Hamas und die Raketenangriffe der radikalen Palästinenser auf Israel werden nach Einschätzung von Experten keinen Flächenbrand auslösen. Für Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", geht vom Bürgerkrieg in Syrien ein weitaus größeres Risiko aus. "Israel ist immerhin noch derjenige Staat, der seine Kräfte regulieren und zurückziehen kann - das ist bei Milizen nicht unbedingt so", sagt Tempel.
In mehreren Ländern der Region kam es nach den Freitagsgebeten zu Protesten gegen Israel. Im Iran strömten Zehntausende auf die Straßen und riefen "Tod für Israel" und "Tod für Amerika". Im libanesischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh skandierten Demonstranten: "Hamas, bombardier Tel Aviv!"