Armee appelliert an Bevölkerung. Auch Oppositionsführer mahnt zur Zurückhaltung. Merkel zeigt sich alarmiert
Beirut. In Libanon stemmen sich Armee, Regierung und die politische Opposition gegen eine Eskalation der Gewalt zu einem neuen Bürgerkrieg. Die Lage nach dem Mordanschlag auf Geheimdienst-Chef Wissam al-Hassan sei kritisch, erklärte die Armee gestern. Sie rief Bürger und Politiker zu äußerster Zurückhaltung auf und kündigte ein hartes Durchgreifen gegen Gewalttaten an. Auch Oppositionsführer Saad al-Hariri schloss sich dem Appell zur Gewaltlosigkeit an, forderte aber zugleich erneut den Sturz der Regierung, in der die mit Syrien verbündete schiitische Hisbollah maßgeblichen Einfluss hat.
Hinter dem Mordanschlag auf den syrienkritischen Geheimdienstchef am Freitag vermutet die Opposition den Versuch des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, das kleine Nachbarland in den Syrien-Konflikt hineinzuziehen. Auch Frankreich hat eine Beteiligung Syriens an dem schwersten Anschlag im Libanon seit der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri 2005 als wahrscheinlich bezeichnet. Al-Hassan war ein enger Gefolgsmann des getöteten Ministerpräsidenten und leitete auch die Ermittlungen zu dessen Tod. Seine Recherchen legten eine Verwicklung Syriens und der Hisbollah nahe.
Der Mord an dem syrienkritischen sunnitischen Geheimdienstchef verschärft die auch nach dem Ende des langjährigen Bürgerkriegs schwelenden %Konflikte zwischen den verschiedenen Strömungen in der Gesellschaft. In Tripoli, einem traditionellen Brennpunkt der Auseinandersetzung zwischen den schiitischen und sunnitischen Bevölkerungsgruppen, starb auch ein neunjähriges Kind im Feuer der rivalisierenden Gruppen. Drei weitere Menschen wurden dabei getötet, ein Dutzend verletzt.
In der Hauptstadt Beirut blieb eine weitere Eskalation der Gewalt nach den heftigen Protesten vom Sonntag aber aus. Allerdings lieferten sich auch dort Armee und Bewaffnete über Nacht Gefechte, bei denen vier Menschen verletzt wurden. Nach der Beisetzung al-Hassans hatten sich am Sonntag viele Tausend vor allem sunnitische Demonstranten in den Straßen versammelt und der Regierung zu enge Beziehungen zur Assad-Regierung vorgeworfen. Demonstranten versuchten Regierungsgebäude zu stürmen und bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Diese setzten Tränengas ein und gaben Warnschüsse in die Luft ab.
Libanon ist tief zerstritten zwischen Anhängern und Gegnern Assads. Viele Schiiten unterstützen Assad, die meisten Sunniten stehen auf der Seite seiner Gegner. Zudem sind Tausende Syrer vor der Gewalt in ihrer Heimat in das Nachbarland geflohen. Syrien hatte jahrzehntelang die Rolle einer Vormacht im Libanon gespielt. Auch lange nach dem Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs 1990 unterhielt Syrien dort eine Armeepräsenz. Erst in der Empörung über das Hariri-Attentat 2005 konnte ihr Abzug durchgesetzt werden. Zwar ist Ministerpräsident Nadschib Mikati ein sunnitischer Moslem, ihm wird aber vielfach vorgeworfen, nicht energisch genug gegen den starken Einfluss der mit Syrien und dem Iran verbündeten schiitischen Hisbollah vorzugehen. Das Kabinett hatte seinen Rücktritt angeboten, blieb aber auf Bitten von Präsident Michel Suleiman zunächst im Amt.
Auch international zeigten sich viele Regierungen alarmiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolge die Entwicklung mit "großer Sorge", sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Auch die US-Regierung rief alle Parteien zur Zurückhaltung auf.
Ein Übergreifen des Bürgerkriegs von Syrien aus in den Libanon würde den Konflikt auch an einer zweiten Grenze an das Nachbarland Israel rücken lassen, was die Staatengemeinschaft bei einer weiteren Eskalation unter Handlungsdruck setzen könnte.