Maria von Welser, Fernsehjournalistin aus Hamburg und hat Frauen in Afghanistan besucht. Viel tragen Burka, das Recht fasst nur langsam Fuß.
Die 28-jährige Maryam Durani hat einen festen Händedruck. Mit ihren großen dunklen Augen hinter der schwarzumrandeten Brille sieht sie mich direkt an. Eine schlanke, relativ große Frau mit Power. Muss sie auch haben. Denn sie kämpft an zwei Fronten für die Rechte der afghanischen Frauen. Einmal in dem von ihr gegründeten Radio und dann als Mitglied des Provinzrates in Kandahar. Ausgerechnet in Kandahar, wo täglich Tausende von Nato-Truppen Kämpfe mit den Taliban ausfechten.
Empörung klingt in ihrer Stimme durch, wenn sie vom jüngsten Attentat auf die beliebte Politikerin und Ex-Frauenministerin Hanifa Safi zu sprechen kommt. Unter ihrem Auto war eine Bombe explodiert. In der Provinz Parwan wurde außerdem knapp eine Woche vor diesem feigen Attentat eine 22-Jährige von Taliban mit einer Pistole hingerichtet. Angeblich habe sie ihren Mann betrogen. In einem Video auf YouTube sieht man, wie ihr ein Mann in weißer Kleidung neunmal in den Kopf schießt. Auch dann noch, als sie längst zur Seite gefallen ist und reglos auf dem Boden liegt. Nach der Exekution schwenkt die Kamera auf die Hänge über dem Dorf: Dort jubeln Dutzende von Männern und rufen "Lang lebe Mudschaheddin".
Es steht nicht gut um die Lebenssituation der Frauen in Afghanistan. Das bestätigt mir auch Maryam Durani. Drei von vier Frauen unter 16 Jahren werden immer noch zwangsverheiratet. Frauen sind Handelsware, sie gehören den Vätern, den Ehemännern, auch den Brüdern. Präsident Hamid Karsai hat vor drei Jahren auf Druck der Taliban ein Gesetz unterschrieben, nach dem Ehefrauen ihren Männern jederzeit sexuell zur Verfügung stehen müssen. Auf seiner Internetseite war bis vor Kurzem noch zu lesen: "Der Mann ist ein fundamentales Wesen, die Frau ist ihm untergeordnet." Außerdem haben sich die Frauen den Geboten der Scharia komplett zu unterwerfen.
Maryam Durani kommt in sittlicher Kleidung mit einem schwarzen Tuch auf dem Kopf und über den Schultern zu unserem Gespräch. Begleitet von ihrem Vater. "Das ist sicherer."
Denn sie ist ein Ziel der Taliban. Jeder kann sich im Internet das Video ansehen, in dem die junge Frau zwischen Michelle Obama und Hillary Clinton steht. Sie erhält den internationalen Preis für "Frauen mit Mut". Die "New York Times" listet daraufhin Maryam Durani unter den "100 mächtigsten Frauen der Welt".
Jetzt, während meines Besuchs in Afghanistan, gehen Frauen erstmals auf die Straße. In der Burka, da fühlen sie sich sicherer. Sie demonstrieren mit Transparenten, fordern von der Regierung Karsai eine strenge Bestrafung der Täter. Sie haben Angst, dass diese Regierung in ihren Verhandlungen mit den Taliban ihre Rechte vergisst. Die Rechte der Frauen - die ja auch mit den Bomben 2001 wiederhergestellt werden sollten. So argumentierten zumindest damals die Nato-Staaten.
Sicher: Jetzt dürfen auch Mädchen in die Schule gehen. Jetzt gibt es Frauenkliniken und Frauenzentren. Frauen dürfen ihr Haus verlassen. Allerdings wagen sie es mehr denn je nur noch in der Burka. In der Fünf-Millionen-Stadt Kabul sehe ich jetzt schon die Hälfte aller Frauen mit diesem hellblauen Ganzkörpergewand. Auf dem Land tragen es alle. Als ich bei einer Frau mal so eine Burka probiere, bekomme ich fast Platzangst. Sie sitzt so eng auf meinem Kopf, dass ich jetzt verstehe, warum so viele Frauen über Kopfschmerzen beim Tragen klagen. Durch das kleine Gitter ist der Sichtradius auf unter 180 Grad eingeschränkt und außerdem ist dieses Gewand furchtbar heiß. Die Vorstellung, ich müsste damit eine dieser quirligen, vollen Straßen überqueren, macht mir Angst.
Zusammen mit Unicef-Mitarbeitern kann ich nach Guldara fahren, zwei Stunden nördlich von Kabul. Dort arbeiten in einem Frauenprojekt 20 Mütter aus dem Dorf. Ich sitze mit ihnen auf einem verschlissenen blauen Plastikteppichboden in einem kleinen Haus. Rogol, 39, erzählt von acht Fehlgeburten, die sie durchlitten hat. Aber ihre Familie brachte sie nie zu einem Arzt. Erst als bei ihr um die Ecke die DehNow-Klinik eingerichtet wurde, brachte ihr Mann sie dort vorbei. Eine Impfung - und die nächsten fünf Kinder kamen problemlos zur Welt. Zu Hause natürlich. 80 Prozent aller Frauen gebären dort. Allerdings ist die Hausgeburt mit allen Infektionsrisiken auch der Hauptgrund, warum immer noch über die Hälfte aller Frauen dabei stirbt. In keinem Land der Welt ist die Müttersterblichkeit so hoch wie in Afghanistan.
"Meine Schwiegermutter hat mich in das dunkelste Eck im Stall gebracht, damit niemand meine Schreie hören sollte. Überall Dreck, Abfälle und die Tiere. Mit ihrem Knie hat sie mir immer wieder fest in den Rücken gestoßen oder mich an den Schultern gezogen. Das hilft beim Geburtsvorgang, meinte sie." Rogol erzählt mir das alles mit einem Lächeln. Aber ihre damalige Panik ist immer noch spürbar.
Heute geht sie mit den anderen Frauen des Zentrums jedes Wochenende in die Familien ihres Dorfes. Versucht den Männern klarzumachen, wie wichtig es für ihre Frauen und Babys ist, in einer sauberen Umgebung zu gebären. Obwohl sie alle weder lesen noch schreiben können, zeigen sie mit einem Bilderbuch, auf was es zu achten gilt, damit Mutter und Kind überleben.
Kinder sind hier ebenso gefährdet wie ihre Mütter. Über die Hälfte ist "mangelernährt". Sie wachsen nicht, brauchen eine teure "therapeutische Spezialnahrung". Sonst überleben sie nicht. Auch Chaled ist gefährdet. Mit zwei Jahren wiegt er nur fünf Kilo.
Seine Mutter ist seit sieben Tagen mit ihm im Krankenhaus im Norden Afghanistans. 20 Tage bekommt er von den Ärzten die Spezialnahrung. Dann, hoffen sie, kommt er durch.
Seine Mutter Amina macht sich auch große Sorgen um ihre anderen fünf Kinder. Die zu Hause von der 14-jährigen Tochter versorgt werden. Ganz normal, denn 14-Jährige gehen meist nicht mehr zur Schule, sondern helfen ihren Müttern im Haushalt. Bis sie verheiratet werden.
Doch immer mehr Frauen setzen sich gegen das Diktat ihrer Väter zur Wehr. Wie die 23-jährige Physiotherapeutin Farchunda Nesjatu. Ihre Eltern haben sie ermutigt, einen Beruf zu erlernen. Nie würde sie gegen ihren Willen verheiratet werden, beteuert sie. "Aber es ist schwer, hier einen Mann zu finden, der eine berufstätige Frau akzeptiert", räumt sie lachend ein.
Auf der Juli-Konferenz in Tokio haben sich die Industrienationen geeinigt, Afghanistan mit 8,4 Milliarden Dollar zu unterstützen. Deutschland wird mit über 400 Millionen Dollar dabei sein. Nach dem Abzug der Nato-Truppen 2014. Aber nur sechs Prozent sollen für die Bedürfnisse der Frauen ausgegeben werden. Das schreibt auch die "Afghanistan Times". Was die Politikerinnen und Frauenorganisationen gleichermaßen empört. Maryam Faisir ist 19 Jahre alt und studiert an einer Privatuniversität Zahnmedizin. Dafür zahlt ihr Vater jeden Monat 120 Dollar, in Afghanistan eine Menge Geld. Wenn sie fertig ist mit ihrem Studium, will sie weg aus dem Land: "Am liebsten in die Vereinigten Staaten", erzählt sie mir im Hörsaal. Ihre Eltern unterstützen sie. Auch in ihrem Wunsch, keinesfalls einen Mann zu heiraten, der nicht einverstanden ist mir ihrer Berufstätigkeit. "Auch meine Kommilitoninnen wollen ins Ausland, Frauen sind in diesem Land wenig wert, die Sicherheit ist immer noch ein großes Problem, und wie es mit der Wirtschaft weitergeht, weiß auch keiner."
Das Wort vom "brain drain" geht um in Afghanistan. Zu viele junge Menschen mit guter Ausbildung wollen raus. Sie sehen ihr Land kritisch und klar. Auch die Frauen bei "medica Afghanistan" fürchten, dass dem Land beim Wiederaufbau dann genau diejenigen klugen Frauen fehlen werden, die mit ihrem Wissen und ihrem Engagement die Gesellschaft in die Zukunft führen könnten. Masima Fayez und Shaima Gasim sehen zudem, dass vor allem die häusliche Gewalt wieder zunimmt: "Die Frauen werden von ihren Männern und Brüdern nicht nur geschlagen, sondern in letzter Zeit werden ihnen auch Glieder abgeschnitten, zum Beispiel ein Finger." Der dann vor den Augen der Frau als Machtdemonstration verbrannt wird. "Die Regierung unterstützt die Frauen zu wenig. Frauenrechte spielen einfach keine Rolle."
Am letzten Tag meiner Begegnungen mit Frauen in Afghanistan können wir noch in das Olympic. Da, wo einst die Taliban vor elf Jahren ihre Schauprozesse abgehalten haben. 20 boxende junge Mädchen warten auf uns. Zum Beispiel Shafika und Faima. Sie sind zwischen 14 und 22 Jahre alt. Ihrem Trainer Mohammad Saber Sharifi ist der Stolz auf seine Mädchen im Gesicht abzulesen: "Wir haben es diesmal zwar nicht nach London zu den Olympischen Spielen geschafft, aber das nächste Mal sind die Mädchen dabei!" Dreimal die Woche trainieren sie im Zentrum. Landesüblich in T-Shirts, mit langen Armen und in langen Hosen. Damit auch alles ordentlich bedeckt ist. Die meisten binden auch ein Tuch fest um den Kopf. Sie kämpfen gegen die Schatten der Vergangenheit und gegen das Misstrauen der Gegenwart. Alle Eltern mussten zustimmen, dass die Mädchen nach der Schule zum Boxtraining gehen und an Wettkämpfen teilnehmen. Meine Frage, ob alle afghanischen Frauen boxen sollten, irritiert die Mädchen. Sie wissen natürlich um die anwachsende häusliche Gewalt. "Aber", erklärt mir Faima, "so ist eben unsere Gesellschaft."
Zu Zeiten der Taliban wäre Boxen für Frauen undenkbar gewesen. Unter diesem autoritären Regime war ihnen jegliche sportliche Aktivität verboten. Auch heute steckt Frauensport selbst in der Millionen-Stadt Kabul in den Kinderschuhen. So sind die boxenden Mädchen stolz auf ihre Pionierarbeit. "Seit ich boxe, fühle ich mich glücklich und frei", sagt Shafika. Das funktioniert aber nur, weil ihr Vater ihre Boxkarriere unterstützt. Von der der Trainer sagt, dass sie erst am Anfang steht.
Steht Afghanistan auch erst am Anfang? Wird sich nach dem Abzug der Truppen die Situation verbessern? Die meisten Frauen haben Angst, dass dann ihr Leben noch schwieriger, noch gefährlicher wird; dass die Korruption zunimmt und die häusliche Gewalt. Ganz zu schweigen davon, dass die meisten Menschen am Hindukusch keinen Zugang zu sauberem Wasser, zu menschenwürdigen Latrinen und zu ärztlicher Versorgung haben. Sicher: Die Hilfsorganisationen bleiben. So ist nur zu hoffen, dass sie weiterhin ihre wichtige Arbeit tun können. Auch ohne den Schutz der internationalen Truppen.