Volksaufstand in Syrien weitet sich aus. Hunderttausende protestieren gegen Präsident Assad. Dutzende Oppositionelle wurden erschossen.
Damaskus/Beirut. In Syrien sind in einer der größten Protestaktionen seit Beginn des Volksaufstands Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen. Allein in der nördlichen Widerstandsprovinz Idlib hätten nach den Freitagsgebeten 250 000 Menschen an mehr als 70 Orten gegen den autokratischen Präsidenten Baschar al-Assad demonstriert, teilte die Beobachtergruppe für Menschenrechte mit. Auch in Hama und dem Vorort Duma der Hauptstadt Damaskus protestierten nach Angaben von Oppositionellen Zehntausende Menschen. Mindestens zehn Demonstranten seien im Kugelhagel der Sicherheitskräfte umgekommen und weitere 20 verletzt worden, hieß es weiter.
Der katarische Fernsehsender al-Dschasira strahlte Live-Aufnahmen aus, die nach seiner Darstellung Zehntausende Demonstranten in einem Bezirk der Stadt Homs zeigten. Die Demonstranten tanzten auf den Straßen und riefen: "Revolution und Freiheit für Syrien." Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe bewarfen die Demonstranten in Duma die Sicherheitskräfte mit Steinen. Mindestens 24 Menschen seien verletzt worden.
Die Sicherheitskräfte hätten Tränengas in die Menge geschossen, um sie auseinanderzutreiben. In Duma sei es auch zu heftigen Gefechten zwischen Armee-Überläufern und den Sicherheitskräften gekommen. In Idlib wurden mindestens 25 Verletzte gezählt.
"Dieser Freitag ist anders als die anderen Freitage", sagte ein Aktivist in der Widerstandshochburg Hama. "Die Leute sind begierig, den Beobachtern über ihr Leiden zu berichten."
Die Beobachter der Arabischen Liga sollen die Einhaltung eines Friedensplans überwachen, den die syrische Führung im November mit der Liga vereinbart hat. Darin sagt das Regime ein Ende der Gewaltaktionen gegen die Opposition zu. Seit Beginn des Aufstands im März sind nach Angaben der Vereinten Nationen in Syrien mehr als 5000 Menschen getötet worden.
Am Freitag wurden in Hama Aktivisten zufolge mindestens fünf Menschen erschossen und 20 weitere verletzt, in Dera im Süden des Landes töteten die Sicherheitskräfte ebenfalls fünf Demonstranten. Aktivisten hatten zu den Protesten aufgerufen. "Wir wissen, dass das Blutvergießen nicht allein deshalb enden wird, weil sie da sind", sagte ein Oppositionsvertreter aus Hama über die Vertreter der Arabischen Liga, die seit dem vergangenen Mittwoch im Land unterwegs sind. "Aber wenigstens werden sie es sehen."
In anderen Protestaktionen wurde auch Kritik an den Beobachtern laut. Im Vorort Barseh von Damaskus hielten Demonstranten Spruchbänder hoch, auf denen zu lesen war: "Die Beobachter sind Zeugen, die nichts sehen." Äußerungen des Chefs der Beobachtergruppe hatten die Bevölkerung aufgebracht. Der sudanesische General Mustafa al-Dabi hatte nach einem Besuch in der Protesthochburg Homs erklärt, die Lage dort sei ruhig. In einer offiziellen Stellungnahme rückte die Delegation am Freitag von den Äußerungen ab. Al-Dabi wird auch deshalb kritisiert, weil er im Sudan Menschenrechtsverletzungen hingenommen haben soll.
Syrien hat die meisten ausländischen Journalisten des Landes verwiesen. Daher können die Nachrichtenagenturen den Wahrheitsgehalt der meisten Berichte nicht unabhängig überprüfen. Das Assad-Regime veranstaltet regelmäßig Touren, um Korrespondenten die Lage zu erklären. Auch diese Veranstaltungen sind von Assads Lesart des Aufstandes geprägt.
Die Freie Syrische Armee der Deserteure versprach in einer Erklärung, alle Angriffe auf die Regierung einzustellen, um den arabischen Beobachtern die Mission zu erleichtern. Mehr als 100 Konfliktregionen wollen die Beobachter der Arabischen Liga bis Ende Januar inspiziert haben. Am Freitag sprachen sie in der Stadt Harasta bei Damaskus mit Bewohnern, wie aus dem Umfeld der Mission verlautete. Die Agentur Sana berichtete über weitere Gespräche in Daraa und Hama.
Die russische Regierung zeigte sich am Freitag zufrieden mit der Arbeit der arabischen Beobachter. "Moskau beurteilt mit Zufriedenheit den wahren Beginn der Aktivitäten der Arabischen Liga in Syrien", erklärte das Außenministerium. Es verwies darauf, dass der Missionsleiter die Stadt Homs besucht habe. "Die Lage dort ist beruhigend, Zusammenstöße wurden nicht registriert." Russland ist einer der wenigen verbliebenen Verbündeten des Regimes in Damaskus. Die staatliche syrische Agentur Sana meldete zahlreiche Pro-Assad-Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern.
Hintergründe zum Umbruch in Syrien unter www.abendblatt.de/arabellion