Landesweite Proteste gegen Rente mit 67. Die Regierung von Premier David Cameron bleibt hart: Bürger müssen höhere Beiträge leisten.

London. Mit dem größten Streik seit Jahrzehnten haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Großbritannien gegen die Sparmaßnahmen der Regierung protestiert. Ihr Widerstand richtete sich gegen das Vorhaben, die Pensionen neu zu ordnen. Angesichts leerer öffentlicher Kassen sollen das Renteneintrittsalter früher als geplant auf 67 Jahre heraufgesetzt und die Rentenbeiträge erhöht werden.

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Nach Angaben der Gewerkschaften beteiligten sich rund zwei Millionen Menschen an dem eintägigen Ausstand. Laut der britischen Regierung legte jedoch weniger als ein Drittel der zivilen Angestellten im öffentlichen Dienst die Arbeit nieder. Die Hälfte der 21 700 staatlichen Schulen in England blieb am Mittwoch geschlossen. Die Regierung erwartete, dass rund drei Viertel der britischen Schulen vorzeitig schließen mussten.

Das Gesundheitsministerium ging davon aus, dass in den Kliniken Englands 60 000 nicht dringende Operationen, Untersuchungen und Folgetermine verschoben wurden. In Schottlands Krankenhäusern seien mindestens 3000 Operationen und Tausende weitere Termine betroffen. In London gab es Engpässe beim Betrieb der Krankenwagen. Zeitweise hätten sich die Ambulanzen nur noch um lebensbedrohliche Notfälle gekümmert. In Nordirland kam der gesamte öffentliche Nahverkehr zum Erliegen.

Das erwartete Chaos an den Flughäfen blieb hingegen aus. Der Betreiber des Londoner Flughafens Heathrow hatte geschätzt, dass Reisende wegen des Streiks des Sicherheitspersonals bis zu zwölf Stunden auf ihre Einreise warten müssten. Am Mittwochmorgen wurden Flüge aus Europa, Asien und den USA wie gewohnt abgefertigt.

"Die Schlangen vor der Passkontrolle sind derzeit auf einem normalen Niveau", teilte Heathrows Betreibergesellschaft BAA mit. Um streikende Mitarbeiter zu ersetzen, war zusätzliches Personal angefordert worden. Dazu gehörten auch Mitarbeiter aus dem Stab von Premierminister David Cameron.

Der Streik war als größte Arbeitskampfmaßnahme seit dem sogenannten Winter der Unzufriedenheit im Jahre 1979 angekündigt worden. Damals zeichnete sich der Beginn der Ära Margaret Thatchers als Premierministerin bereits ab.

Cameron kündigte trotz des Streiks an, an seinen Sparplänen festzuhalten. "Ich will keine Streiks, ich will keine geschlossenen Schulen, ich will keine Probleme an unseren Grenzen, aber diese Regierung muss verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen", sagte er im Unterhaus. "Wir glauben, dass es im öffentlichen Sektor großzügige Pensionen geben sollte. Aber die Menschen leben länger, und so ist es nur gerecht, dass sie höhere Beiträge leisten."

Schatzkanzler George Osborne versicherte, die Regierung werde sich nicht beugen. "Der Streik wird nichts bewirken", sagte Osborne. "Er wird nur unsere Wirtschaft schwächen und möglicherweise Arbeitsplätze kosten." Die Streiks brächten nichts, weil einfach kein zusätzliches Geld zu verteilen sei. "Dieses Land muss einige harte Maßnahmen treffen, um mit seinen Schulden fertigzuwerden", sagte Osborne. Daher seien Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst unverzichtbar. Osborne hatte weitere harte Jahre mit geringem Wirtschaftswachstum für Großbritannien vorhergesagt. Im laufenden Haushaltsjahr 2011/2012 müssten zudem 149 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen werden.

Einige Demonstranten trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Sei wütend und wehre dich" in Anlehnung an die Durchhalteparole des Zweiten Weltkriegs "Bleibe ruhig und mache weiter". "Ich bin wütend, dass ich 50 Prozent mehr Pensionsbeiträge zahlen soll, und ich bin wütend, dass ich länger arbeiten soll und am Ende weniger bekomme", sagte ein Polizist in Liverpool. "Die Situation wurde durch die Regierung und die Banker herbeigeführt und die Leute, die jetzt zahlen sollen, sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes."

Die Vorsitzende der größten britischen Gewerkschaft Unison, Eleanor Smith, sagte, viele Beschäftigte hätten sich erstmals an einem Streik beteiligt. "Die Regierung will, dass wir länger arbeiten, weniger verdienen und am Ende weniger bekommen", sagte Smith. "Wie gerecht ist das?"

Während Umfragen ergeben hatten, dass die Bevölkerung die Streiks weitgehend unterstützt, gab es kaum Rückhalt von der Opposition. "Jeder muss Opfer bringen - auch der öffentliche Dienst", sagte Ed Balls, Schatten-Schatzkanzler der sozialdemokratischen Labour-Partei. Es sei aber ungerecht, dass die Bürger zahlen müssten, weil die Regierung die Finanzen nicht in Ordnung halte, erklärte Labour-Chef Ed Miliband.

Videos und Fotostrecken von den Protesten in Großbritannien unter www.abendblatt.de/london