Mit ihrem ersten Flugzeugträger demonstriert China seinen Machtanspruch - und nimmt den Rüstungswettlauf mit dem Westen auf.
Hamburg. Im Juli des Jahres 1683 verließ eine Flotte von bis zu 600 Kriegsschiffen den chinesischen Hafen von Dongshan. An Bord waren rund 60 000 hochtrainierte Soldaten unter Befehl des Admirals Shi Lang. Sein vom Qing-Kaiser erteilter Befehl lautete: Eroberung des Insel-Königreiches Tungning. In der Seeschlacht von Pengu wurde Tungning vernichtend geschlagen, Admiral Shi Lang gliederte die Insel als Teil der Provinz Fujian ins Reich ein.
Wenn nun die Volksrepublik China ihren ersten Flugzeugträger auf Erprobungsfahrt schickt und ihn nach Admiral Shi Lang benennt, dann löst dies große Sorge in Asien aus. Vor allem aber in Taiwan - denn das Tungning-Reich lag auf dieser Insel. Mit seinem ersten Träger unterstreicht China massiv seinen Machtanspruch im pazifischen Raum - und nicht zuletzt auf Taiwan, das Peking als abtrünnige Provinz betrachtet.
Im globalen Kontext stagniert die Militärmacht der USA aufgrund der Wirtschaftskrise und der immensen Kosten der beiden Einsätze in Afghanistan und dem Irak. China dagegen etabliert sich immer mehr auch als künftige militärische Supermacht.
Die 304 Meter lange und beladen rund 66 000 Tonnen verdrängende "Shi Lang" war 1985 in der Sowjetunion auf Kiel gelegt worden und als maschinenlose Hulk mit dem Namen "Warjag" 1998 von der Ukraine für 20 Millionen Dollar an eine Tochterfirma der Volksbefreiungsarmee verkauft worden.
Es hieß, sie solle als schwimmendes Kasino in Macao dienen. Doch dies war ein Täuschungsmanöver der Chinesen gewesen, um die "Warjag" problemlos kaufen zu können. Inzwischen ist sie mit Dampfturbinen, Waffen und Elektronik ausgerüstet worden und hat den Heimathafen von Dalian verlassen. Misstrauisch fragte das US-Außenministerium, wozu China eine derartige Seerüstung benötige. Denn nicht nur das bedrohte Taiwan oder Staaten der Region wie die Philippinen und Vietnam, mit denen Peking Territorialstreitigkeiten etwa um die ölreichen Spratly-Inseln hat, sorgen sich über das rasante Tempo der chinesischen Aufrüstung.
Vor allem tun das die USA. Denn die Herausforderung im pazifischen Raum gilt letzten Endes den Vereinigten Staaten. Akut muss sich Washington keine Sorgen machen - militärtechnologisch haben die USA noch einen Vorsprung von mindestens einem Jahrzehnt. Und Chinas erster Träger wird noch Jahre bis zur Einsatzreife benötigen, während elf amerikanische Trägerkampfgruppen die Weltmeere durchpflügen.
Doch die Chinesen holen in Schlüsseltechnologien auf; wohl nicht zuletzt auch aufgrund einer druckvollen Spionagetätigkeit. Berüchtigt ist die Dynamik der Chinesen in Sachen Cyber-Kriegsführung. Und sie versuchen gar nicht in jeder Hinsicht gleichzuziehen, sondern entwickeln ganz gezielt Waffen, mit denen sich die amerikanische Überlegenheit aushebeln lässt. So hat Peking zum Entsetzen der US-Navy eine bedrohliche Lenkwaffe entwickelt. Die landgestützte "Dongfeng" (Ostwind) 21D fliegt mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit, hat 3000 Kilometer Reichweite und vermag bei punktgenauem Einschlag durchaus einen ganzen Flugzeugträger zu versenken. Maritime Operationen der USA zum Schutz des Verbündeten Taiwan in der engen Formosa-Straße könnten so in einem Desaster enden. Ein Professor des U.S. Naval War College erklärte, damit stehe die maritime Überlegenheit der USA infrage. Es geht um "Anti Access/Area Denial" - die militärische Fähigkeit, einer anderen Partei den Zugang zu manchen Regionen verwehren.
Für die "Shi Lang" wurde dafür ein geeignetes Kampfflugzeug entwickelt - die Shenyang J-15 "Fliegender Hai". Die Maschine ist eine Raubkopie der russischen Suchoi Su-33. Und im Januar stellte China seinen ersten Tarnkappenbomber des Typs Chengdu J-20 vor. Sie ähnelt auffallend dem russischen Prototyp Mig 1.44. Aber ob die J-20 tatsächlich so wirkungsvoll ist wie ihr amerikanisches Gegenstück, die F-22 "Raptor", ist noch völlig unklar. Doch auch hier bewies Peking Sinn für unterschwellig offensive Gesten: Der Jungfernflug der J-20 fand ausgerechnet während des Besuchs von US-Verteidigungsminister Robert Gates statt. China steht seit Jahren im Verdacht, seine tatsächlichen Verteidigungsausgaben zu verschleiern. Im Januar war aus Dokumenten der Enthüllungsplattform WikiLeaks hervorgegangen, dass der chinesische Rüstungsetat im Jahre 2006 rund 70 Milliarden Dollar betragen habe - doppelt so viel wie offiziell angegeben. Die aktuellen Ausgaben schätzt das Pentagon auf bis zu 150 Milliarden Dollar. Das ist immer noch wenig im Vergleich zu den amerikanischen Militärausgaben, die derzeit rund 700 Milliarden Dollar betragen.
Das Problem für Washington: Die Rüstungsanstrengungen Chinas - der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und des Exportweltmeisters - wachsen seit Jahren mit zweistelligen Raten. Ende vergangenen Jahres kam eine Kommission des Pentagons zu dem Ergebnis, dass die USA bereits viel von ihrer einstigen militärischen Überlegenheit eingebüsst hätten. Derzeit liegt die Kopfstärke der aktiven US-Streitkräfte bei gut 1,5 Millionen, die Chinas bei fast 2,3 Millionen. Dabei hat Peking seit 1995 schon 700 000 Soldaten entlassen; denn die Volksbefreiungsarmee soll vom schlichten Massenheer Mao Tse-tungs zu einer kleineren, schlagkräftigen Hightech-Truppe umgestaltet werden. Noch immer ist die Überlegenheit Amerikas bei modernen Waffensystemen drückend. Ganz besonders bei den Atomwaffen, wo rund 200 chinesische Sprengköpfe rund 8500 amerikanischen gegenüberstehen. Doch der Abstand wird geringer.
Ein militärischer Konflikt zwischen der alten und der kommenden Supermacht ist allerdings auf absehbare Zeit kaum zu befürchten, zumal die Wirtschaften beider Länder eng miteinander verflochten sind. Schon wegen der 1,2 Billionen Dollar in US-Staatsanleihen, die Peking hält, ist ein solcher kriegerischer Konflikt nicht im chinesischen Interesse. Doch seine rasante Aufrüstung könnte es China ermöglichen, seine Interessen leichter durchzusetzen. Und das ist bei einer Diktatur, die notorisch wenig Rücksichten auf Menschenrechte und die Umwelt nimmt, höchst problematisch.