Ägyptens früherer Diktator Husni Mubarak erklärt sich zu Prozessbeginn für unschuldig. Juristen bezweifeln, dass es zur Verurteilung kommt.
Kairo. Da liegt er nun auf seinem Krankenbett in einem Gitterkäfig, seine beiden Söhne weichen nicht von seiner Seite. Im April waren sie festgenommen worden, seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen. Gamal, der Ältere, küsst den Kopf seines Vaters. Alaa, der Jüngere, hält ein Buch in der Hand, es könnte ein Koran sein. Später wird er einige Worte mit seinem Vater wechseln, mit Husni Mubarak, dem Angeklagten, der einst Präsident jenes Landes war, das ihm nun den Prozess macht.
30 Jahre hatte Mubarak in Ägypten geherrscht. Die regelmäßig abgehaltenen Wahlen waren zur Farce verkommen, Regimekritiker wurden unterdrückt, die Brutalität des Geheimdienstes war gefürchtet. Am 11. Februar musste der 83-jährige Präsident nach nicht einmal drei Wochen täglicher Massenproteste abtreten. Doch das Regime hatte nicht kampflos aufgegeben: Mehr als 850 Menschen wurden bei den Unruhen getötet. Dafür soll Mubarak sich nun vor Gericht verantworten. Außerdem werden ihm Amtsmissbrauch und Korruption zur Last gelegt.
Neben seinen Söhnen sitzt noch ein halbes Dutzend anderer Mitglieder des Regimes im selben Käfig: Der ehemalige Innenminister Habib al-Adli trägt als Einziger eine blaue Häftlingsuniform, weil er in einem früheren Verfahren bereits zu zwölf Jahren Haft wegen Geldwäscherei und Korruption verurteilt wurde. Der ehemalige Präsident und seine Söhne tragen - noch - weiß.
Wohl niemand in Ägypten hatte zu hoffen gewagt, den allmächtigen "Pharao" eines Tages vor Gericht zu sehen. Das Staatsfernsehen überträgt den Prozessauftakt live aus der zum Gerichtssaal umgebauten Sporthalle der Polizeischule von Kairo, die vor wenigen Monaten noch Mubarak-Polizeischule hieß. 600 Zuschauer hat das Gericht zugelassen, viele stehen draußen und beobachten das Geschehen auf einer Großleinwand, mehr als 1000 Polizisten und Soldaten schützen das Gelände. Auch etwa 500 Unterstützer des früheren Staatschefs sind gekommen. Es kommt zu kleineren Scharmützeln, wüste Beleidigungen werden ausgetauscht.
Im holzvertäfelten Saal eröffnet der vorsitzende Richter, Ahmad Rifat, den Prozess derweil mit einer fast flehenden Bitte um Ruhe, um "der Aufgabe des Gerichts so vollständig nachzukommen, dass wir den allmächtigen Gott und unser Gewissen befriedigen". Rifat gilt als unabhängig vom alten Regime. Er wolle den Prozess zügig und ohne große Verzögerungen führen, hatte er zuvor angekündigt. Darum bemüht er sich schon am ersten Tag, obwohl weder die Vertreter der Klage noch die Verteidigung es ihm besonders leicht machen.
So muss zunächst die Anwesenheit der Angeklagten festgestellt werden, dann die Anwesenheit der Rechtsanwälte, die schließlich den Angeklagten und Klägern zugeordnet werden.
Da die meisten der Angeklagten sich gleich ein halbes Dutzend Anwälte leisten, dauert das eine Weile. Es folgen allerlei absurde Anträge der Nebenkläger. Immer wieder bittet Rifat, die Anträge schriftlich einzureichen. Doch die Klägeranwälte reden lieber: Sie gratulieren dem Richter zum Ramadan und dozieren über die reinigende Wirkung des Fastens. Der Vorsitzende hört geduldig zu, bittet um Ruhe, wenn es zu bunt wird, und hat das Geschehen eigentlich ganz gut im Griff.
Als einige Zuhörer aufstehen und Slogans skandieren, entgegnet Rifat ungerührt: "Setzen Sie sich. Wir sind hier nicht, um zu singen!" Einem Anwalt, der behauptet, Mubarak sei bereits seit 2004 tot und der ganze Prozess eine zionistisch-amerikanische Verschwörung, fährt er schnell in die Parade. Das Bemühen um ein rechtsstaatliches Prozedere ist an diesem ersten Prozesstag kaum zu übersehen. Viele hatten einen Schauprozess gefürchtet, andere hatten geglaubt, die übergangsweise regierende Militärführung werde nicht zulassen, dass der ehemalige Luftwaffengeneral und Präsident Mubarak sich vor Gericht wird verantworten müssen.
Seine Anwälte hatten Schauermärchen über die angeschlagene Gesundheit ihres Mandanten streuen lassen: Mubarak verweigere die Nahrungsaufnahme, sei sehr geschwächt und keineswegs transportfähig. Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums sowie Angestellte im Krankenhaus Scharm al-Scheich, wo Mubarak behandelt wurde, hatten dieser Einschätzung entschieden widersprochen. Und tatsächlich sieht er eigentlich recht kräftig aus auf seinem Bett. Seine Haare hat er sich pechschwarz färben lassen - so wie er das während seiner Regierungszeit auch zu tun pflegte. Er folgt dem Geschehen aufmerksam und als er schließlich das Mikrofon greift und seine Schuld in allen Anklagepunkten kategorisch abstreitet, klingt das auch ein wenig kämpferisch.
Sollte Mubarak nachgewiesen werden, die tödlichen Schüsse auf Demonstranten in diesem Frühjahr befohlen zu haben, droht ihm die Todesstrafe. Genau das wird aber schwer zu beweisen sein, fürchtet der Rechtswissenschaftler Mustafa Kamel von der Universität Kairo. Er glaubt nicht daran, dass irgendwo ein Dokument oder Tonband mit einem von Mubarak ausgesprochenen Schießbefehl auftauchen wird. Wahrscheinlich werde das Verfahren früher oder später aus Gesundheitsgründen eingestellt, glaubt Kamel. Der Jurist vermutet, dass die Militärführung den Prozess lediglich notgedrungen aufgrund des starken öffentlichen Drucks zugelassen habe. Immerhin sei der Vorsitzende des Militärrats, Feldmarschall Muhammed Hussein Tantawi, früher als Chef der Leibgarde des Präsidenten für den Schutz Mubaraks zuständig gewesen.
In der Forderung nach einem Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten herrschte Einigkeit in der ägyptischen Bevölkerung. Anderswo tun sich nun, vor den für November angesetzten Wahlen, gefährliche Grabenkämpfe auf. Am vergangenen Freitag demonstrierten Zehntausende Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft auf dem Tahrir-Platz, von dem einst die Revolution ausging. Auf ihren Bannern forderten sie, Ägypten müsse ein islamischer Staat werden.
Zuvor hatten einige Protestler den Platz erneut besetzt und schnellere sowie umfassendere Reformen und ein Ende der zahlreichen Schnellverfahren vor Militärgerichten gefordert. Doch die linksliberale Protestbewegung ist zersplittert und ergeht sich in endlosen Streitereien. Eine gemeinsame Liste für die Wahlen im November rückt in immer weitere Ferne, während die Islamisten gut organisiert sind und Konfrontationen mit dem Militärrat vermeiden. Zudem habe die liberale Protestbewegung ihre Volksbindung verloren, sagt Shadi Hamlid vom Doha-Zentrum des Brookings-Instituts. "Eine Weile lang haben sie sich eingeredet, die schweigende Mehrheit stehe auf ihrer Seite, aber das stimmt schon lange nicht mehr", stellt Hamid fest. Nicht nur der regierende Militärrat habe sich von den Demonstranten abgewendet und die Aktivisten der "Bewegung des 6. April" als Verräter und ausländische Agenten verunglimpft. Am vergangenen Montag, als Sicherheitskräfte eine Demonstration auflösten, halfen Ägypter aus der Nachbarschaft, die Demonstranten zu verjagen - deren Ziele von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilen längst nicht alle. "Die meisten wollen einfach nur ihre Familie ernähren", sagt Hamid.
Ägyptische Kommentatoren sind sich deshalb nicht einig, ob der Prozess gegen ihren ehemaligen Präsidenten nur ein besonders raffinierter Plan ist, von den großen Problemen abzulenken, vor denen das Land steht, oder ob es sich bei dem Verfahren um den Lackmustest für ein neues, demokratisches Ägypten handelt. Am 15. August soll der Prozess fortgesetzt werden.