Rebellion dehnt sich von Bengasi auf Tripolis aus, Regime antwortet mit brutaler Härte
Es ist die größte Herausforderung für Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi seit seiner Machtübernahme im Jahre 1969. Erst regte sich in der zweitgrößten Stadt Bengasi der Widerstand gegen sein Regime - ermutigt von den erfolgreichen Revolutionen in Tunesien und Ägypten. In Bengasi haben Polizei und Armee offenbar die Kontrolle verloren; Teile der Truppe sollen zu den Demonstranten übergelaufen sein.
Jetzt aber ist der Funke der Rebellion auch auf die 1000 Kilometer entfernte Hauptstadt Tripolis übergesprungen. Das "Haus des Volkes", in dem das libysche Parlament zu tagen pflegt, stand gestern in Flammen. Der Sender al-Dschasira meldete, eine aufgebrachte Menge habe mehrere Polizeiwachen gestürmt und in Brand gesetzt. Auch das Gebäude des libyschen Olympischen Komitees, das vom Gaddafi-Sohn Mohammed geleitet wird, brannte lichterloh.
Am Abend sollen Kampfflugzeuge im Gegenzug die Protestierenden in Tripolis bombardiert haben. Ein Mann berichtete im Fernsehsender al-Dschasira, dass es viele Tote gebe. Jeder, der sich bewege, werde beschossen. "Was wir heuten sehen, ist unvorstellbar", sagte der Einwohner.
Gaddafis Sohn Saif al-Islam hatte am Vortag im Fernsehen vor einem Bürgerkrieg gewarnt und gedroht, das Regime werde "bis zum letzten Mann und selbst bis zur letzten Frau kämpfen".
Die Rede ist von rund 400 Toten. Entsetzt über das Blutbad, erklärte Libyens Justizminister Mustafa Abdul Dschalil seinen Rücktritt. Auch Libyens Vertreter bei der Arabischen Liga, der Botschafter in Indien sowie ein ranghoher libyscher Diplomat in China, der gleich das gesamte Diplomatische Korps Libyens zum Rücktritt aufforderte, legten ihre Ämter nieder.
Der Vorsitzende der Arabischen Liga, der frühere ägyptische Außenminister Amr Mussa, rief zu einem sofortigen Ende der Gewalt in Libyen auf. Ähnlich äußerten sich westliche Politiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bis zu US-Außenministerin Hillary Clinton. Deren deutscher Amtskollege Guido Westerwelle (FDP) rief die rund 500 Bundesbürger in Libyen dazu auf, das Land zu verlassen. Unternehmen wie Siemens und RWE begannen ihre Mitarbeiter auszufliegen.
In Tunesien und in Ägypten hatten sich die Streitkräfte schließlich geweigert, auf die Demonstranten zu schießen. Doch die Armeen dieser Staaten genossen eine gewisse unabhängige Sonderrolle im jeweiligen Machtsystem. Die libyschen Sicherheitskräfte hingegen sind weitgehend eine Prätorianergarde von Muammar al-Gaddafi und seinen Söhnen. Zudem hat das Regime nach Berichten des Internetportals al-Arabija skrupellose Söldner aus Schwarzafrika angeworben und in libysche Uniformen gesteckt. Während die Führung der Sicherheitskräfte keine Rücksicht nimmt, weil sie im Fall eines Regimesturzes Sorge um das eigene Schicksal haben muss, feuern die Söldner auf die Menschen, solange sie dafür bezahlt werden.
Der libysche Oppositionelle Ashour Shamis meinte im Londoner "Guardian": "Für Gaddafi heißt es jetzt: töten oder getötet werden." Er sei nun auf den Todesstoß gegen die Rebellen aus.