Tausende Tunesier verlassen das Land. Merkel lehnt ihre Aufnahme ab. Italien ist mit den Flüchtlingen auf Lampedusa hoffnungslos überfordert.
Hamburg. Die dramatisch steigende Zahl tunesischer Bootsflüchtlinge auf der italienischen Insel Lampedusa hat Europa in Alarmzustand versetzt und zu diplomatischen Spannungen zwischen Italien, der EU und Tunesien geführt. Die tunesische Übergangsregierung reagierte inzwischen mit drastischen Maßnahmen auf die Flüchtlingswelle und riegelte mithilfe der Armee in der Küstenregion Gabès mögliche Fluchtrouten ab.
In den Häfen von Gabès und Zarat seien Kontrollpunkte installiert worden, berichtete die staatliche tunesische Nachrichtenagentur TAP. Die Maßnahme zeigte erste Wirkungen. Bis gestern Nachmittag erreichten Lampedusa keine weiteren Flüchtlingsboote mehr. Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Flüchtlingsboot und einem Marineschiff vor dem tunesischen Hafen von Zarzis kamen unterdessen mindestens fünf Menschen ums Leben. Weitere 17 Insassen des Bootes gelten noch als vermisst.
Am Wochenende hatte Italien für Lampedusa den Notstand erklärt. Die kleine Mittelmeerinsel liegt nur rund 130 Kilometer vor der tunesischen Küste. In den vergangenen Tagen waren auf dem Eiland mindestens 5000 Flüchtlinge aus dem nordafrikanischen Land angekommen. Seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali sind dort die Grenzkontrollen teilweise zusammengebrochen. Zahlreiche Menschen sehen nun die Chance, in Europa ihr Glück zu suchen.
Einen Vorstoß des italienischen Innenministers Roberto Maroni, Polizisten aus Italien oder anderen EU-Ländern nach Tunesien zu entsenden, um den "biblischen Exodus" zu stoppen, wies das Außenministerium in Tunis gestern aber entschieden zurück. Die Regierung bekräftigte "die kategorische Ablehnung jeglicher Einmischung in seine inneren Angelegenheiten".
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte die italienische Forderung ebenfalls: "Das ist mit Sicherheit nicht die richtige Botschaft", sagte er und plädierte für "eine europäische Lösung". Daher werde es in Europa Gespräche über eine stärkere Öffnung der Märkte für tunesische Produkte geben. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte dem Land gestern bei Gesprächen in Tunis 17 Millionen Euro Soforthilfe zu.
Derweil hat die Flüchtlingsfrage zu Verstimmungen zwischen der italienischen Regierung und der Europäischen Kommission geführt. Italien und die EU seien "mit nie da gewesenen Umständen konfrontiert", sagte ein Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Er wies zugleich die Kritik des italienischen Innenministers zurück, die EU unterstütze Italien nicht ausreichend. Malmström habe bereits am Sonnabend Hilfe angeboten, das Angebot sei aber abgelehnt worden. Maronis Sprecherin wiederum wies diese Darstellung zurück: Der Minister habe sehr wohl um Hilfe ersucht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich dagegen aus, tunesische Flüchtlinge in Deutschland generell aufzunehmen. Natürlich könnten nicht alle Menschen kommen, die jetzt nach Europa wollten, sagte Merkel. Europa könne aber beim Aufbau eines Rechtsstaates helfen. "Unser Ziel ist, die Probleme in den Heimatländern auch zu lösen, den Menschen dort eine Perspektive zu geben und ihnen damit auch eine Chance zu geben, in der eigenen Heimat leben zu können."