Benedikt XVI. ist in Großbritannien unbeliebt - auch wegen seiner Haltung zu Verhütung und Homosexualität
London. Unter Begleitgeräuschen deutlicher Dissonanz beginnt heute in Edinburgh der viertägige Staatsbesuch von Papst Benedikt XVI. in Großbritannien, der den Gast auch nach London und Birmingham führt. Dort wird am Sonntag John Henry Newman, der 1845 als Anglikaner zur römischen Kirche konvertierte, selig gesprochen. Die Visite trägt das Motto "Herz spricht zum Herzen" - Newmans Wappenspruch, als er im Jahr 1879 zum Kardinal erhoben wurde.
Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte, nach Johannes Paul II. im Jahre 1982, dass ein Papst britischen Boden betritt. Aber während Benedikts Vorgänger in seiner Eigenschaft als Oberhirte der katholischen Glaubensgemeinschaft kam, ist der jetzige Papst als Oberhaupt des Vatikanstaates offizieller Gast der Königin und der Regierung; er wird daher neben pastoralen Anlässen auch eine Reihe staatspolitischer Begegnungen wahrnehmen.
Die Dissonanzen haben mit den fortgesetzt negativen Reaktionen zu tun, denen sich die katholische Kirche seit Monaten ausgesetzt sieht im Zusammenhang weltweit bekannt gewordener Fälle von Kindesmissbrauch unter der Tarnung priesterlicher Talare. Auf diese kriminellen Vorgänge hat der Vatikan zeitweilig wie hilflos reagiert. Der Primas der englischen Katholiken, Vincent Nichols, Erzbischof von Westminster, ging in dieser Woche sogar so weit einzugestehen, die Kirche habe das Thema "vermasselt". Benedikt XVI., eingedenk dieser Lage, hatte frühere Besuche in den USA, Australien und auf Malta daher zum Anlass genommen, sich mit Pädophilie-Opfern zu treffen, um seine persönliche Betroffenheit zu bekunden; im Frühjahr dieses Jahres bat er in einem Schreiben an die Katholiken Irlands um Vergebung und sicherte Zusammenarbeit kirchlicher Stellen mit den ermittelnden Behörden zu.
Man nimmt an, dass der Papst auch während seiner vier Tage in Großbritannien eine Begegnung mit Opfern von Misshandlungen eingeplant hat, wenn er nicht sogar erneut öffentlich Stellung bezieht. Viele Beobachter, auch Katholiken, erwarten dies geradezu. Laut einer Umfrage sind 83 Prozent der Briten überzeugt, die Kirche habe sich in dieser Frage nicht offen erwiesen.
Premierminister David Cameron begrüßte in einer Videobotschaft auf der Website der Downing Street den Besuch als "unglaublich wichtig und historisch, nicht nur für unsere sechs Millionen Katholiken, sondern für viele Glaubensgruppen in ganz Großbritannien und der zuschauenden Welt".
Wie zum Kontrast dazu veröffentlichte der "Guardian" gestern einen von 50 namhaften Personen aus Kunst, Wissenschaft und Politik unterzeichneten offenen Brief, in dem sie gegen den Besuch als Staatsbesuch protestierten. Sie begründen dies mit einer Liste von Beschwerden gegenüber dem Papst, darunter dessen Ächtung von Empfängnisverhütung, Abtreibung und von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. "Wir teilen die Ansicht, dass Papst Ratzinger nicht die Ehre eines Staatsbesuches in diesem Land gewährt werden sollte", heißt es in dem Schreiben. Es wurde unter anderem vom Wissenschaftler Richard Dawkins und den Schriftstellern Stephen Fry und Ken Follett unterzeichnet. Kritik an der Kirche, auch Verspottung, ist freilich wohlfeil in einer Gesellschaft, in der sich nur noch eine Minderheit als "christlich" definiert. Der Werbespot einer Eiscreme-Firma etwa treibt Missbrauch mit Glaubensinhalten, wie er gegenüber dem Islam nicht geduldet würde. Da sieht man eine junge, schwangere Nonne in einer Kirche, wo sie gerade einer leckeren Eisportion zuspricht, die mit dem Slogan "Unbefleckt empfangen" daherkommt. Eine Aufsichtsbehörde hat diese Werbung inzwischen untersagt, doch kündigt die Firma weitere Plakate an, "in Fortsetzung des heiteren Themas". Als besonders schwierig gilt auch das Treffen des Papstes mit anglikanischen Kirchenvertretern im Lambeth-Palast wie in der Westminister Abbey. Die Church of England war im 16. Jahrhundert durch die Abspaltung König Heinrichs VIII. vom Vatikan entstanden. Nach vielen Erfolgen in der Ökumene sind die Beziehungen jetzt durch Bischofsweihen für Frauen in einigen anglikanischen Kirchenprovinzen belastet.
Nicht zuletzt richtet sich Kritik auch gegen die Kosten des Staatsbesuchs. Für die viertägige Visite wird mit Ausgaben in Höhe von deutlich über 20 Millionen Pfund (24 Millionen Euro) gerechnet. Bis zu zwölf Millionen davon sowie die Kosten für den Polizeieinsatz muss der Steuerzahler tragen.