Russische Agenten des aufgeflogenen Rings in den USA kommen gegen inhaftierte CIA-Spione in Russland frei
Hamburg/Washington. Eine dünne weiße Linie auf der Fahrbahn einer stählernen Straßenbrücke über die Havel zwischen Potsdam und Berlin bildete jahrzehntelang die Grenze zwischen Freiheit und Gefängnis. Im Kalten Krieg war die legendäre Glienicker Brücke dreimal Schauplatz von spektakulären Agentenaustauschaktionen zwischen Westen und Osten. Seit 1986 hat es einen derartigen Austausch von Spionen zumindest offiziell nicht mehr gegeben.
Doch gestern am späten Abend verständigten sich die USA und Russland nach Angaben des US-Justizministeriums darauf, wechselseitig inhaftierte Agenten freizugeben. Der Austausch soll bereits tags zuvor bei einem Geheimtreffen in Washington zwischen US-Außenstaatssekretär William Burns und dem russischen Botschafter Sergej Kisljak vorbereitet worden sein und sollte möglicherweise noch in der Nacht vollzogen werden.
In Moskau riegelten gestern Sondereinsatzkräfte das Lefortowo-Gefängnis ab, in dem westliche Spione inhaftiert sind. Panzerwagen fuhren auf, berichtete der Sender Echo Moskwy.
Im Mittelpunkt der Aktion steht der in den USA aufgeflogene Spionagering aus zehn Personen. Eine elfte Person, ein 54-jähriger Kanadier, war in Zypern zunächst festgenommen worden, aber gegen eine Kaution von 16 000 Euro auf freien Fuß gesetzt worden. Der Mann ist seitdem flüchtig.
Die in den USA festgesetzten zehn mutmaßlichen Spione bekannten sich am Abend bei einer Anhörung vor Gericht schuldig, der Richter verfügte danach ihre Ausweisung. Wenige Minuten später verkündete das Justizministerium in Washington die Einigung über einen Austausch mit Moskau.
Die zehn mutmaßlichen Agenten in den USA waren Ende Juni in den Bundesstaaten New Jersey, New York, Massachusetts und Virginia von FBI-Fahndern verhaftet worden. Die US-Behörden hatten sie seit mehr als zehn Jahren observiert, ihre E-Mails mitgelesen, Anrufe abgehört, Wohnungen und Hotelzimmer überwacht. Der Ring aus Männern und Frauen soll seit den 90er-Jahren Informanten rekrutiert und Informationen über das politische System der USA gesammelt haben. Ziel war es offenbar, in höchste Politikkreise in Washington einzudringen. Die gesammelten Daten wurden drahtlos von Laptop zu Laptop weitergegeben. Als eine der Verdächtigen ein Handy kaufte und nach nur einmaliger Benutzung wegwarf, griffen die Fahnder zu: Man befürchtete, die mutmaßlichen Spione hätten Wind davon bekommen, dass sie beschattet wurden. Moskau zeigte sich zunächst empört. "Die stecken Leute einfach ins Gefängnis", ereiferte sich Premier Wladimir Putin. Und ein Sprecher des Moskauer Außenamts erklärte mürrisch: "Dies ähnelt Spionage-Skandalen aus dem Kalten Krieg."
Der Affäre wurde in den USA nicht zuletzt deshalb so viel Publicity zuteil, weil die Führungsfigur des Spionagerings, die 28-jährige Anna Chapman, sämtliche einschlägigen Männerfantasien bedient. Die auch als Anya Kuschtschenko bekannte gebürtige Russin ist rothaarig und äußerst attraktiv. Zeitungen und Internet zeigten erotische Fotos der Geschäftsfrau mit Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften und einem angeblichen IQ von 162. Ihr britischer Ex-Mann, dessen Namen sie angenommen hat, schwärmte öffentlich von ihren beachtlichen sexuellen Fähigkeiten und ihrer Neigung zu SM-Spielen.
Russland bereitete gestern den Austausch ebenfalls vor und ließ angeblich bereits den wegen Hochverrats verurteilten Waffenexperten Igor Sutjagin nach Wien ausfliegen. Er war 2004 wegen Hochverrats und Spionage zu 14 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der Nuklearexperte soll Informationen über russische Atom-U-Boote und Raketenwarnsysteme an die CIA weitergegeben haben. Die Moskauer Zeitung "Kommersant" nannte ferner die Namen der früheren russischen Agenten Alexander Saporoschski und Alexander Sypatschow, die als Doppelagenten auch für die CIA gearbeitet haben sollen, sowie von Sergej Skripal. Er war früher Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU gewesen und hatte für die USA spioniert. Moskauer Medien berichteten zugleich, Präsident Dmitri Medwedew müsse die Häftlinge zunächst begnadigen.
Wie in Washington weiter berichtet wurde, war Präsident Obama nicht glücklich über den Zeitpunkt der Festnahmen. Wenige Tage zuvor hatten sich Medwedew und er in Washington getroffen, um in betont freundschaftlicher Atmosphäre einen konstruktiven Neuanfang in den bilateralen Beziehungen zu starten. Es gab Gerüchte, konservative Kräfte in den USA hätten die Festnahmen betrieben, um eine Annäherung an Moskau zu torpedieren.