Das syrische Staatsfernsehen spricht von terroristischen Anschlägen, die Opposition von einem “schwarzen Theaterstück des Regimes“.
Damaskus/Berlin/Moskau. Die humanitäre Lage in der syrischen Protesthochburg Homs verschlechtert sich zunehmend. Durch sechs Tage langen hefitigen Beschuss der Stadt durch das syrische Militär sind nach Angaben von Regimegegnern hunderte Menschen getötet worden. Aktivisten sprechen von einer humanitären Katastrophe, da seit zehn Tagen keine Lebensmittel mehr in die umzingelte Stadt geliefert werden. Landesweit seien am Donnerstag mindestens 126 Menschen von Regierungstruppen getötet worden, berichtet der Nachrichtensender Al-Arabija unter Berufung auf Oppositionelle. Allein 107 von ihnen seien in Homs ums Leben gekommen. Aktivisten baten um Hilfe vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete am Freitag zudem, vor zwei Einrichtungen der Sicherheitskräfte in der Stadt Aleppo seien große Sprengsätze detoniert. Die Terroranschläge hätten einem Gebäude des Militärgeheimdienstes und dem Sitz der Ordnungspolizei gegolten. Es habe mehrere „Märtyrer“ gegeben. Unterdessen haben russische Abgeordnete am Freitag ihre Unterstützung für das Moskauer Veto gegen eine Syrien-Resolution der Uno bekundet.
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In Unruhebezirken wie Baba Amr habe das anhaltende Bombardement die Versorgung von Verwundeten in Homs besonders erschwert, berichteten die Aktivisten. Einige Teile der Stadt seien seit Tagen ohne Strom. Die Stadt ist umzingelt; Armeeposten kontrollieren alle Zugangsstraßen. Seit zehn Tagen konnten keine Lebensmittel mehr in die Stadt geliefert werden. Essen und Medikamente werden knapp. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gehen auch die Heizölvorräte zur Neige. In ganz Homs gibt es nach Angaben von Aktivisten nur noch drei Ärzte, einer wurde durch Granatenbeschuss verletzt.
"Terroristische Explosionen" in Aleppo
Bei zwei Bombenanschlägen vor Einrichtungen der Sicherheitskräfte in der Stadt Aleppo sind mindestens elf Menschen getötet worden. Zahlreiche weitere Opfer wurden am Freitag noch unter den teils eingestürzten Gebäuden vermutet, wie das syrische Staatsfernsehen berichtete. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die Terroranschläge hätten einem Gebäude des Militärgeheimdienstes und dem Sitz der Ordnungspolizei gegolten. Es habe mehrere „Märtyrer“ gegeben. Das Staatsfernsehen nannte „bewaffnete Terrorgruppen“ als Urheber – womit Regimegegner gemeint sind.
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Gegner von Präsident Baschar al-Assad machten dagegen dessen Regime für die Anschläge verantwortlich. Sie erklärten unter Berufung auf Anwohner, die vor den Explosionen verdächtiges Verhalten der Sicherheitskräfte beobachtet haben wollen: „Dies ist ein weiteres schwarzes Theaterstück des Regimes.“ Die Regierungstruppen hätten nach den Detonationen jeweils mehrere Schüsse abgegeben, um den Eindruck zu erwecken, es habe ein Gefecht zwischen ihnen und den „Terroristen“ stattgefunden.
Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter meldete, in der Provinz Homs, die seit Tagen unter Beschuss steht, seien am Donnerstag 63 Getötete geborgen und identifiziert worden. Andernorts in Syrien hätten die Truppen des Regimes mindestens zwölf Zivilisten getötet. Unterdessen zog die Führung im Nachbarland Libanon Truppen an der Grenze zu Syrien zusammen. Zuvor war berichtet worden, über die Grenze würden Waffen in die syrische Protesthochburg Homs geschmuggelt, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Armeequellen erfuhr. „Mit dieser Maßnahme soll die libanesische Grenze geschützt werden“, hieß es. Ein Augenzeuge berichtete, zahlreiche Soldaten seien am Freitagmorgen an die Grenze beordert worden, wo sie Kontrollpunkte errichtet hätten.
Staatsduma unterstützt Veto
Russische Abgeordnete haben am Freitag zudem ihre Unterstützung für das Moskauer Veto gegen eine Syrien-Resolution der Uno bekundet. Im Unterhaus berieten die Abgeordneten über eine Erklärung zur Lage in Syrien, in der vehement vor einer militärischen Intervention des Auslands dort gewarnt wurde. In der Erklärung wurde dem Westen und arabischen Staaten vorgeworfen, einen Regimewechsel in Syrien herbeiführen zu wollen. Russland sei strikt gegen eine weitere „Operation zur Förderung von Demokratie“, sagte Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma. Russland und China haben die UN-Resolution zu Syrien am Samstag vergangener Woche mit ihrem Veto verhindert.
US-Präsident Barack Obama hatte am Donnerstag nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti am Donnerstag in Washington gesagt, beide Länder hätten großes Interesse daran, das „abscheuliche Blutvergießen“ in Syrien zu beenden. Die USA und Italien seien sich einig, die jetzige Regierung in Damaskus, die „ihr Volk angreift“, müsse ersetzt werden. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich zutiefst betroffen über Präsident Assad. „Die Bilder und Berichte aus Syrien wühlen mich genauso auf wie wahrscheinlich die meisten Bürger“, sagte Merkel der „Passauer Neue Presse“. Um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen, macht sich Merkel gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für die Gründung einer Kontaktgruppe stark. „Um die Bemühungen zu einer raschen Lösung des Konfliktes zu verstärken, unterstützen Präsident Sarkozy und ich die Bildung einer Kontaktgruppe, wie sie von unseren Außenministern vorgeschlagen wurde“, betonte die Kanzlerin.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnet die Lage von Verletzten und Kranken in Syrien als katastrophal. Ärzte und Patienten mit Schussverletzungen müssten damit rechnen, in der Klinik verhaftet zu werden, sagte die MSF-Präsidentin Marie-Pierre Allié in Paris. „Weil die Leute aus Angst nicht mehr in Krankenhäuser gehen, haben die Mediziner und Pfleger ein Parallelsystem aufgebaut.“ Patienten würden nun in Untergrund-Kliniken behandelt – allerdings unter prekären Umständen.
Exilsyrer berichten auch in Deutschland, wo mehr als 32.000 Menschen mit syrischem Pass leben, von Einschüchterungsversuchen. Westerwelle sagte, die Bundesregierung könne „in keiner Weise tolerieren, wenn für den syrischen Staat Tätige in Deutschland einen direkten oder indirekten Beitrag dazu leisten, die syrische Opposition unter Druck zu setzen“.„Die Ausweisung der Diplomaten ist ein positives Signal“, sagte Abdelhamid al Jasem, der Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte, der dpa. „Einige Syrer sind inzwischen so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen, an Demonstrationen teilzunehmen.“ Regimegegner seien von syrischen Agenten oder von Anhängern der mit Assad verbündeten libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah bedroht worden. Wegen Spitzel- und Drangsalierungsvorwürfen sitzen bereits zwei Mitarbeiter der Botschaft in Untersuchungshaft. Sie haben keinen Diplomatenstatus. Zudem wird gegen sechs Verdächtige ermittelt. Libyen weist sogar alle Mitarbeiter der syrischen Botschaft in Tripolis aus.
Nach fast elf Monaten der Gewalt mit 6000 Toten prüfen die Vereinten Nationen die Entsendung von Beobachtern und eines Sondergesandten nach Syrien. „Wir erwägen eine gemeinsame Mission mit der Arabischen Liga“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach einer Tagung des Sicherheitsrates in New York. Die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach von wahllosen Attacken auf Wohngebiete, von einem Massaker an der eigenen Bevölkerung.
Der Führungsstab des Syrischen Nationalrats beriet im Golfemirat Katar, wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Der Rat setzt inzwischen stärker auf militärische Optionen. Unter anderem wird über Waffenlieferungen an Deserteure diskutiert. Unter arabischen Diplomaten wird erwogen, den von mehreren Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen.
Mit Material von dpa/dapd/rtr