Zwei Minuten lang stand das öffentliche Leben still, als Sirenen um 10 Uhr Ortszeit anlässlich des nationalen Schoah-Gedenktages zum stillen Gedenken aufriefen. Die Menschen auf den Straßen hielten inne, Autos stoppten, die Fahrer stiegen aus und stellten sich neben ihre Fahrzeuge. Israel hat gestern landesweit an die Opfer des Holocaust erinnert.
Der Gedenktag war bereits am Sonntagabend in Anwesenheit von Israels politischer Führung in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem eröffnet worden. Präsident Schimon Peres bezeichnete in seiner Ansprache den Iran als eine Bedrohung Israels. Durch Massenvernichtungswaffen in den Händen der iranischen Regierung würde die Welt außer Kontrolle geraten.
Deutschland habe seinerzeit die Bedrohung durch die Nationalsozialisten nicht erkannt, heute jedoch die Schlussfolgerungen daraus "verinnerlicht", so Peres. Israel habe aus der NS-Schreckenszeit gelernt, dass nur ein wehrhafter jüdischer Staat dem Volk dauerhaft Sicherheit bieten könne.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisierte in seiner Rede die internationale Antwort auf das iranische Atomprogramm, die er als völlig unzureichend bezeichnete. "Wenn wir etwas vom Holocaust gelernt haben, dann ist es, dass wir im Angesicht des Bösen nicht schweigen und uns nicht abschrecken lassen dürfen", sagte er. Israel und andere Staaten vermuten hinter dem Programm die Absicht der iranischen Regierung, Atomwaffen zu bekommen.
Im israelischen Parlament wurden bei den Gedenkveranstaltungen gestern die Namen von Holocaust-Opfern verlesen. Der diesjährige Gedenktag steht unter dem Thema "Die Stimme der Überlebenden". Während der Eröffnungszeremonie zündeten sechs Holocaust-Überlebende Fackeln an. Mehrere Rabbiner rezitierten Psalme und Gebete aus der jüdischen Tradition.
In Yad Vashem öffnete eine neue Ausstellung unter dem Titel "Tugenden der Erinnerung - sechs Jahrzehnte Kreativität von Holocaust-Überlebenden". Sie umfasst Werke von rund 300 Überlebenden der nationalsozialistischen Judenverfolgung, die das Erlebte künstlerisch verarbeitet haben.
Der NS-Vernichtungspolitik fielen bis Kriegsende 1945 rund sechs Millionen Juden zum Opfer. Nach Angaben der Zeitung "Haaretz" leben heute noch rund 220 000 Holocaust-Überlebende in Israel - 50 000 weniger als vor zwei Jahren.
Die Zahl gewalttätiger Übergriffe gegen Juden weltweit hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt. Insgesamt zählt die Universität Tel Aviv in ihrem am Sonntag veröffentlichten Bericht 1129 antisemitische Gewalttaten, von Vandalismus und Brandanschlägen bis hin zum Zusammenschlagen von Juden. Das ist die höchste Zahl seit Beginn der Studie vor über 20 Jahren. Erstmals überstieg bei den ermittelten Tätern die Zahl der Muslime die der Rechtsextremisten.
Hintergrund der Zunahme ist nach Ansicht der Autoren der Studie die israelische Invasion im Gazastreifen Ende 2008/Anfang 2009. Dabei wur-den 1400 Palästinenser, darunter viele Zivilisten, und 13 Israelis getötet. Proteste gegen den Gazakrieg hätten die Stimmung aufgeheizt, die sich dann in offener Gewalt gegen Juden entlud, hieß es in der Untersuchung. Die Studie wird alljährlich am Vorabend des Holocaust-Gedenktages in Israel veröffentlicht.