„Maisbrei explodiert nicht“ – dies war das selbstironische Wort, mit dem viele Rumänen die Stimmung in ihrem Land kurz vor der Wende beschrieben.

Bukarest. Während in den kommunistischen Nachbarländern der Geist von Glasnost und Perestroika Boden gewann, ja sogar, als die Berliner Mauer schon gefallen war, wagte im Karpatenland noch kaum jemand zu hoffen, dass der Diktator Nicolae Ceausescu jemals gestürzt werden könnte. In Rumänien herrschte das furchterregendste Regime des Ostblocks, eine Familiendiktatur mit stalinistisch-faschistischen Akzenten. Anders als in Ungarn, Polen, der DDR und der Tschechoslowakei gab es keine organisierten Oppositionsbewegungen, sondern nur isolierte Einzelkämpfer.

Doch dann geschah ein Wunder. Im westrumänischen Temeswar brach am 16. Dezember 1989 ein Volksaufstand aus, der sich über das ganze Land ausbreitete. Ausgebuht von wütenden Demonstranten floh Ceausescu mit seiner Frau Elena am 22. Dezember aus Bukarest – zunächst unter dem „Schutz“ von Militär und der Geheimpolizei Securitate. Doch waren die vermeintlichen Beschützer des Diktatorenpaars von Anfang an ihre Kerkermeister und später ihre Henker. Am 25. Dezember wurden Elena und Nicolae Ceausescu in der Garnison Targoviste bei Bukarest nach einem höchst umstrittenen, geheimen Schnellprozess durch Erschießen hingerichtet. Kurz vorher hatte eine Gruppe um den Altkommunisten Ion Iliescu die Macht ergriffen.

Ob dies eine echte Revolution war oder ein Staatsstreich, ist auch 20 Jahre danach unklar. Es war wohl beides. Die Iliescu-Gruppe hat den spontanen Volksaufstand zur Machtergreifung genutzt. „Der Zug kam an und wir sind einfach eingestiegen“, sagte Silviu Brucan (1916-2006), der damals zum engsten Kreis um Iliescu gehörte. Der kommunistische Journalist und Diplomat Brucan hatte sich schon 1988 insgeheim in Moskau mit Michail Gorbatschow getroffen und gilt deshalb als wichtiger Drahtzieher der Wende. Brucan war ebenso wie Iliescu von Ceausescu an den Rand gedrängt worden. Beide waren dem Diktator suspekt, weil sie zum moskautreuen Flügel der rumänischen Kommunisten gehörten. Ceausescu hingegen war ein Nationalist, der zur Sowjetunion Distanz suchte.

Im Dezember 1989 gingen viele mutige Rumänen auf die Straße und riskierten ihr Leben im Kampf gegen die Diktatur. Anlass der Revolte in Temeswar war die geplante willkürliche Versetzung des protestantischen Pastors Laszlo Tökes. Schon am 15. Dezember begannen dutzende Gläubige dagegen zu demonstrieren. Am nächsten Tag schlossen sich hunderte weitere Menschen an. Die ersten Sprechchöre gegen Ceausescu waren zu hören, und es kam zu den ersten Verhaftungen. Am 17. Dezember setzten Armee und Securitate – vom wütenden Ceausescu mobilisiert – Panzer und Gewehre gegen die Demonstranten in Temeswar ein. Daraufhin breitete sich die Revolte im ganzen Land aus – zuletzt in der Hauptstadt Bukarest. Dies geschah am 22. Dezember, als Ceausescu das Volk zu einer Sympathiekundgebung vor dem Sitz des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei aufrief.

Die Demonstranten kamen, doch sie skandierten Sprechchöre gegen Ceausescu. Daraufhin stiegen der Diktator und seine Frau auf dem Dach des ZK-Gebäudes in einen Hubschrauber und gelangten auf Umwegen in die Garnison Targoviste. Am selben Abend rief Iliescu im Fernsehen die Machtübernahme seiner spontan gegründeten „Front zur Nationalen Rettung“ aus. Jetzt erst begannen die Straßenkämpfe in voller Brutalität – bis heute ist unklar, warum. Von den insgesamt landesweit 1104 Todesopfern der rumänischen Revolution starben 942 erst nach dem 22. Dezember.

Iliescu ist vielfach vorgeworfen worden, dass seine Gruppe damals bewusst Chaos und Gewalt geschürt habe, um die bis heute moralisch umstrittene Hinrichtung Ceausescus zu rechtfertigen. Iliescu hatte damals von mysteriösen Ceausescu-treuen „Terroristen“ gesprochen, die um sich feuerten. Zeugen berichteten allerdings auch über Schuss- Geräusche vom Tonband in Bukarest, die zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen hätten. Die schwersten Kämpfe gab es am Fernsehgebäude, das die Revolutionäre als erstes strategisches Objekt erobert hatten.

Fest steht, dass die Armeeführung am 22. Dezember auf die Seite der Umstürzler wechselte. Dennoch herrschte bis zur Hinrichtung der Ceausescus in den unteren Rängen große Unsicherheit. In der Garnison Targoviste wollte zunächst kein Soldat die Ceausescus erschießen. Entsprechende Befehle des Garnisonskommandanten Andrei Kemenici wurden einfach nicht befolgt. Die Militärs hatten Angst, dass sie als Henker der Diktatoren sofort als Nächste erschossen werden würden.

Zur Vollstreckung des Todesurteils schickte der Armeechef Victor Athanasie Stanculescu schließlich drei hartgesottene Fallschirmspringer nach Targoviste. Stanculescu, bis zum 22. Dezember ein Vertrauter des Diktatorenpaares, sorgte bei seinem Frontwechsel für eine skurrile Fußnote der Geschichte: Um einen Vorwand zu haben, für ein paar Tage aus strategischen Gründen nicht zum Dienst zu erscheinen, ließ der General sein gesundes Bein in Gips legen.