15,7 Prozent bei Europawahl - doch die Fraktion stützt den Premier. Die Mehrheit der Briten will seinen Rücktritt.

Hamburg

Schon vor einem Jahr hatte es geheißen, dass Gordon Brown politisch am Ende sei. Es kursierten Namen von möglichen Rebellen, doch die Skeptiker des Premierministers trauten sich noch nicht aus der Deckung. Und damals hatte die Labour-Partei noch nicht derart katastrophale Wahlergebnisse hinnehmen müssen wie in den vergangenen Tagen. Das Debakel bei der Europawahl übertraf nun auch noch das der Kommunalwahlen. Aber Gordon Brown will nicht aufgeben. Sein Schicksal lag gestern Abend ohnehin in den Händen seiner Fraktion. Mit ihr traf er sich zu einer Generalaussprache. Und die Mehrheit sprach sich offenbar für ihren Chef aus. Der neue Kulturminister Ben Bradshaw sagte, Brown habe die "Rede seines Lebens" gehalten. Andere Teilnehmer berichteten, dass der Premier "großartige Unterstützung" bekommen habe. Brown, so der Tenor, sei vorerst gerettet.

Dennoch forderten mehrere Parlamentarier auch gestern wieder den Premier zum Rücktritt auf - vor allem mit Blick auf die desaströsen Ergebnisse bei der Europawahl.

Auf gerade einmal 15,7 Prozent der Stimmen war die in Großbritannien seit zwölf Jahren regierende Labour-Partei laut vorläufigen Zahlen gekommen. Selbst in ihren angestammten Gebieten Wales und Schottland erlitt die Partei empfindliche Rückschläge: In Wales wurde die Partei zum ersten Mal seit 1918 von den Konservativen als stärkste politische Kraft abgelöst. In Schottland fiel Labour hinter die nach Unabhängigkeit strebende Scottish National Party (SNP) zurück. Stärkste Kraft wurden die Konservativen unter Oppositionsführer David Cameron mit 27,7 Prozent. Die euroskeptische United Kingdom Independence Party (UKIP) landete mit 16,5 Prozent auf Rang zwei. Auch die Rechtsextremen der BNP, die die Einwanderung vollständig stoppen wollen, können nun mit zwei Abgeordneten ins Europaparlament einziehen.

Gestern setzte sich die Serie der schlechten Nachrichten für Brown dann weiter fort. Umweltstaatssekretärin Jane Kennedy trat zurück. Kennedy war nunmehr das elfte Mitglied der Regierung, das dem schwer angeschlagenen Premier in den vergangenen Tagen den Rücken kehrte. Bliebe er weiter an der Parteispitze, sagte Kennedy, würde das für Labour zum "bitteren Ende" führen. Sie wolle Brown nicht ihre Gefolgschaft zusichern und habe genug von "Schmutzkampagnen" innerhalb der Regierung.

Zugleich berichteten Medien bereits von einem innerparteilichen Komplott mit dem Ziel, Brown endgültig aus dem Amt zu jagen. In der Fraktion wurden schon Unterschriften gesammelt, die Brown zum Amtsverzicht bewegen sollen. Doch der Antrag auf Ablösung des Premiers erhielt zu wenig Stimmen.

Die Fraktion stellte sich noch einmal hinter den Premier, doch ob die Labour-Partei mit Gordon Brown an der Spitze die nächsten Parlamentswahlen gewinnen kann, glauben die wenigsten Parteianhänger. Um ihr Vertrauen zurückzugewinnen, plant Brown laut Zeitungsberichten einen inhaltlichen Befreiungsschlag: So wolle er eine lange geforderte Untersuchung des Irak-Einsatzes der britischen Armee einleiten und die umstrittene Teilprivatisierung des Postunternehmens Royal Mail zunächst zurückstellen. Im Volk kommen diese Botschaften nicht mehr an: In einer Umfrage des Instituts ComRes und der BBC sprachen sich 52 Prozent der Befragten für den sofortigen Rücktritt des Premiers aus. Und die Medien spekulieren seit Wochen über mögliche Nachfolger Browns: Als wahrscheinlicher Kandidat wird Innenminister Alan Johnson gehandelt.