Das auch von Hollywood gepflegte Bild von Abenteuer, Freiheit und Romantik hat mit der Realität nichts zu tun. Die Freibeuter von heute sind kaltblütig, berechnend und bis an die Zähne bewaffnet.
Hamburg. Sie sitzen in schnellen Booten. Sie sind bewaffnet mit Maschinenwaffen und Granatwerfern. Ihre Tricks sind perfide, ihre Gier ist groß und ihre Brutalität legendär. Piraten (griechisch: peirates, Angreifer) sind der Schrecken der Meere, bis zum heutigen Tage. Seeräuber gibt es seit der Antike, und in der Geschichte war der See-Raub häufig Teil des See-Krieges zwischen verfeindeten Nationen. In der modernen Piraterie haben sich die Grenzen zwischen gewöhnlicher Kriminalität und Verbrechen mit mafiösen Strukturen verwischt. Doch erst seit sie mit Raub und Erpressung zur Finanzierung von Bürgerkriegen dient oder durch blanken Terrorismus politische Ziele verfolgt, wird die Seeräuberei zu jenem Sprengstoff, der die internationale Handelsschifffahrt in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Vorbei sind die "romantischen" Zeiten wie vor einhundert Jahren, als es dem ersten Einhand-Weltumsegler Joshua Slocum gelang, einen nächtlichen Angriff von Feuerland-Indianern abzuwehren, in dem er ihnen Reißzwecken vor die nackten Füße schüttete.
Was Todesangst ist, erlebte 2001 der Hamburger Bauunternehmer und Admiral's-Cup-Sieger Albert Büll, als Flusspiraten seine Yacht "Saudade" vor dem Hafen von Belem (Brasilien) enterten. Stundenlang fühlte Büll den kalten Stahl eines Tranchiermessers aus der eigenen Bordkombüse am Hals, während das Gesindel die Luxusyacht systematisch leer räumte.
Tragisch endete ein paar Wochen später in der gleichen Gegend der Überfall auf die Forschungsyacht "Seamaster" des neuseeländischen Segelhelden und Umweltschützers Sir Peter Blake. Im Mündungsgebiet des Amazonas waren nachts Flusspiraten an Bord des Zweimasters geschlichen und hatten die Crew mit vorgehaltenen Waffen bedroht.
Blake, der sich als Einziger unter Deck aufhielt, stürzte mit seinem Gewehr an Deck und schoss auf die Angreifer. Dann versagte die Waffe. Blake starb unter den Kugeln des Gegenfeuers. Die Nachricht von seinem Tod am 6. Dezember 2001 lief wie eine Schockwelle durch die Seglerwelt. Und bald kam heraus, dass viele Weltumsegler, darunter Stars wie Rollo Gebhardt, Wilfried Erdmann und Bobby Schenk, von Erlebnissen mit Piraten berichten können.
Wie aktuell das Thema ist, zeigt Schenk gerade auf seiner Homepage ( www.yacht.de/schenk ). Da versuchten kürzlich Piraten 130 Seemeilen (200 Kilometer) östlich von Sri Lanka die deutschen Yachten "Cobra" und "Te-Herb" mit ihrem Boot zu rammen. Das misslang, weil die vermeintlich leichten Opfer sich wehrten. Bei dem Schusswechsel wurde einer der Piraten getroffen. Die beiden Yachten erreichten glücklich den Hafen von Galle auf Sri Lanka, im Schutz eines herbeigeeilten Kanonenbootes.
Ein gutes Ende des Dramas? Von wegen! Die Deutschen kamen vor Gericht und wurden, weil sie einen der Piraten verletzt hatten, zu 1000 Dollar Schmerzensgeld verurteilt. Schenk, pensionierter Berufsrichter: "Ein in manchen Ländern durchaus nicht untypischer Fall, wenn Deutsche in Gewaltdelikte verwickelt werden. Aber jetzt die Krönung! Auch die deutsche Botschaft nahm die Segler in Anspruch. Für die Kosten von zwei Angestellten der Botschaft und für die ,ordentliche' Kleidung vor Gericht wurden ihnen 400 Euro abgeknüpft."
Filme zum Fall der gekarperten Luxusyacht vor Somalia
Weltumsegler sind das schwächste Glied in der Kette der Seefahrer. In einschlägigen Internetforen tauschen sie ihre Erfahrungen aus ( www.esys.org ). So wissen Segler heute ziemlich genau, welche Seegebiete auf der Weltroute unbedingt zu meiden oder nur im Konvoi befahren werden sollten. Es sind die gleichen Gebiete, die auch der Handelsschifffahrt Sorgen machen. Westafrika (Nigeria) und Ostafrika (Somalia) gelten derzeit als Piraten-Hochburgen. Unbedingt zu meiden ist zudem die Küste von Tansania, die Inselwelt von Indonesien und den Philippinen, die Straße von Malakka nordwestlich von Singapur, die indische Ostküste, das südliche Rote Meer sowie die Küsten Brasiliens und Perus.
Während Weltumsegler ihren Kurs nach eigenem Wunsch festlegen können, sind Handelsschiffe auf die kürzesten und schnellsten Routen festgelegt. Seit aber die P & I-Clubs, die internationalen Seeversicherer, ihre Raten für das Befahren bestimmter gefährlicher Seegebiete mit einer Sondersteuer belegen, ist es für die Reedereien oft günstiger, einen Umweg in Kauf zu nehmen. Rund um den Golf von Aden liegt das derzeit am meisten gefürchtete Terror- und Piratenkrisengebiet.
Die Überfälle auf ein französisches Kreuzfahrtschiff, den 88 Meter langen Dreimaster "Le Ponant", und auf den baskischen Thunfischtrawler "Playa de Bakio" Ende April im Golf von Aden sind zwei besonders spektakuläre Fälle. Beide Schiffe wurden nicht von irgendwelchen, nach schneller Beute gierenden Freibeutern angegriffen und gekapert, sondern von der "Marine" somalischer War-Lords. Die haben es auf Lösegeld abgesehen, um ihre Bürgerkriegsarmeen zu finanzieren.
Zwei Millionen Dollar zahlte die französische Reederei CMA CGM, um die "Le Ponant" und ihre 30 Mann Besatzung freizubekommen. Auch die baskischen Fischer auf ihrem Trawler "Playa de Bakio" kamen eine Woche später gegen die Zahlung von 1,2 Millionen Dollar frei.
Lösegeld war im Übrigen schon die Haupteinnahmequelle nordafrikanischer Korsaren (lat. cursus, Beutezug), die vom 15. bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein nordeuropäische Handelsschiffsmatrosen im Mittelmeer entführten. Damit die Geiseln nicht in der Sklaverei endeten, gründeten die Schiffergemeinschaften Versicherungskassen zur Begleichung von Lösegeldforderungen. Hamburg war nicht die einzige Stadt, die sich durch regelmäßige Zahlungen an islamische Korsaren-Metropolen wie Tripolis, Tunis und Algier eine sichere Durchfahrt für ihre Schiffe erkaufte.
Terror- und Piratenbedrohung haben die Handelsschifffahrt zusammenrücken lassen und zur Herausgabe allgemein verbindlicher Sicherheitsrichtlinien geführt. Alle Überfälle werden dem Piracy Reporting Centre des International Maritime Bureau (IMB) gemeldet und dort analysiert. Laut IMB-Statistik wurden im ersten Quartal 2008, also noch vor den erwähnten Zwischenfällen in Somalia, insgesamt 49 Attacken gemeldet - nach 41 im gleichen Zeitraum 2007. Danach wurden in diesem Jahr bereits 36 Schiffe geentert, eines entführt, sieben Crewmitglieder als Geiseln genommen, sechs entführt und drei getötet. Ein Besatzungsmitglied gilt als verschollen.
In den meisten dieser Fälle waren die Piraten schwer bewaffnet. Bürgerkriegsländer wie Somalia und Nigeria führen heute die Liste der gefährlichsten Küstengebiete an. Die einst so gefürchteten indonesischen Gewässer sind deutlich sicherer geworden. Experten sehen darin eine Folge verstärkter Polizeimaßnahmen und des Tsunami, dem viele Piraten und ihre Boote zum Opfer fielen.
Um die Bedrohungen auf See zu analysieren und über aktuelle Krisenherde informiert zu werden, ziehen einige Hamburger Reedereien private Beratungsinstitute hinzu - etwa die Firma GCG Global Care GmbH mit Sitz in Chemnitz, deren Mitarbeiter einen militärisch-nachrichtendienstlichen Hintergrund haben. In seinem letzten "Piracy and Terrorism Report" bestätigt GCG, dass die Piraterie im Zuge von Krieg und Terrorismus ganz neue Gefahrenpotenziale bildet. Es sind Folgen lokaler Konflikte auf der einen und möglichst groß angelegter islamistischer Terrorakte auf der anderen Seite. Manche Fälle machten weltweit Schlagzeilen:
* Der Zerstörer USS "Cole" war im Oktober 2000 im Hafen von Aden (Jemen) von einem mit Sprengstoff beladenen Boot gerammt worden. 17 Menschen kamen ums Leben. Sprengstoff-Boote griffen kurz darauf auch den Supertanker "Limburg" an und rissen ein riesiges Loch in seine Seite. Der "Limburg"-Zwischenfall im Jemen verlief zwar vergleichsweise glimpflich, die Folgen für die Schifffahrt waren allerdings enorm. Die Beiträge für die Schiffsversicherungen schossen in die Höhe, und der Umsatz in den Häfen der Region ging im folgenden Monat um die Hälfte zurück.
* Die marokkanische Marine verhinderte 2002 mehrere Terrorangriffe auf Handelsschiffe in der Straße von Gibraltar. Den folgeschwersten Anschlag gab es 2004, als die Abu-Sayyaf-Gruppe auf einer Fähre vor Manila eine Bombe zündete. Der folgende Brand brachte die "Superferry 14" zum kentern, 100 Menschen kamen ums Leben. Dennoch sind Terrorangriffe auf Handelsschiffe nach Ansicht von GCG eher unwahrscheinlich, weil sie sehr von Zufälligkeiten abhängen und auf See schwerer zu organisieren sind als an Land.
Auf die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und den Angriff auf den Tanker "Limburg" reagierte die Schifffahrt 2004 mit der Einführung von scharfen Sicherheitsmaßnahmen - dem sogenannten ISPS-Code. ISPS steht für International Ship and Port Facility Security und legt für Regierungen, Reedereien und Häfen auf der ganzen Welt verbindliche Sicherheitsrichtlinien fest. Als Folge von ISPS verwandelten sich die bislang weitgehend frei zugänglichen Seehäfen in bewachte und mit Stacheldrahtverhauen geschützte Festungen, zu denen der Zutritt nur mit vorheriger Anmeldung und genauer Ausweiskontrolle möglich ist. Dem Betreten und Fahren auf Seeschiffen sind strengste Überprüfungen vorgeschaltet, die im Umfang an eine Einreise in die USA erinnern. Mit der großen Freiheit in der Seefahrt ist es vorbei, wenn es sie denn überhaupt einmal gegeben hat.
ISPS und alle verwandten Vorschriften zielen darauf, alle die Abläufe an Bord, einschließlich der Verhaltensmaßnahmen im Falle von Not, Piraterie und Terrorismus, zu standardisieren. In Handbüchern sind diese Abläufe schriftlich festgelegt und damit Vorschrift für jeden Kapitän.
Darüber hinaus hat jede Reederei Sicherheitsfachleute angestellt, oft ehemalige Kapitäne, die die Abläufe überwachen, auf Gefahren hinweisen und das Bordpersonal in regelmäßigen Seminaren mit neuen Entwicklungen vertraut machen. Sie nennen sich SSHEQ-Manager. Das Kürzel steht für Security, Safety, Health, Environment, Quality - also Schiffssicherheit, Gefährdung, Gesundheit, Umwelt und Qualitätsmanagement.
Der SSHEQ-Manager stimmt die hauseigenen Gefahrenabwehrprogramme mit dem Flaggenstaat des Schiffes ab. Der Inhalt des Programms ist geheim und im Hause der Reederei nur einem kleinen Kreis bekannt. An Bord wird ausschließlich der Kapitän informiert.
Nur gelegentlich, wenn es zu einem Zwischenfall kommt, der Schlagzeilen macht, sickern ein paar Einzelheiten durch:
* Am 5. November 2005 wurde das Kreuzfahrtschiff "Seabourne Spirit" angegriffen: 100 Seemeilen (180 Kilometer) vor der Küste von Somalia. An Bord befand sich die "Beute" von 151 Passagieren und 161 Besatzungsmitgliedern. Die auf zwei Booten heranrasenden Piraten deckten das Passagierschiff mit einem Hagel von Maschinengewehrfeuer und Gewehrgranaten ein. Doch die Crew der "Seabourne Spirit" wusste sich zu wehren und nahm die Piraten ihrerseits mit einer Schall-Kanone unter Beschuss, einem neuartigen Gerät, dass einen ohrenbetäubenden Ton aussendet. Die Seeräuber ließen schnell von ihrem Opfer ab. Geholfen hat hier offenbar nur der Überraschungseffekt. Ein Pirat mit Ohrenstöpseln wird nicht so schnell aufgeben.
* Elvis Forson, Kapitän des von den Deutschen Afrika-Linien betreuten 14 000-Tonnen-Zementtankers "Elbia", verhielt sich den Vorschriften entsprechend, als sein Schiff kürzlich von zehn, mit Kalaschnikow-Maschinenpistolen bewaffneten Piraten geentert wurde. Die Männer waren plötzlich aus dem Nebel vor der Küste Kameruns aufgetaucht. Forson drückte auf den "panic button" und löste bei der Reederei in Hamburg Alarm aus. Dann versammelte er die gesamte Besatzung in der Schiffsmesse und verbarrikadierte sich mit seinem Leitenden Ingenieur auf der Brücke. Die Piraten drangen mit Gewalt auf die Brücke und unterbanden sofort das Telefongespräch, mit dem der Kapitän den Krisenstab der Reederei in Hamburg informierte. Der Überfall verlief glimpflich. In Landnähe machten sich die Freibeuter, die im Nebel wohl die Orientierung verloren hatten, wieder davon. Kapitän Forson, der die abrückenden Männer noch kaltblütig fotografiert hatte, fuhr der Schreck erst mit ein paar Tagen Verspätung in die Glieder. Er bat um Ablösung.
Fachleute wie Dierk Herrmann, SSHEQ-Manager der Deutschen Afrika-Linien, geben zu, dass es letztlich kein überzeugendes Mittel gibt, Piraten abzuwehren: "Man kann nur versuchen die gefährdeten Gebiete weiträumig zu meiden. Ist ein Schiff groß und schnell genug, kann es sich einer Gefahr vielleicht entziehen. Aber wer mit professionellen Angreifern zu tun hat, sollte sich keinen Illusionen hingeben. Sind die Piraten erst mal an Bord, ist Widerstand sinnlos. Von Bewaffnung der eigenen Besatzung halte ich gar nichts. Wer unerfahren ist und unter Stress eine Waffe bedienen muss, ist für sich selbst und die Crew eine Gefahr. Den Anordnungen der Piraten Folge leisten und die Ruhe bewahren, das ist in einer solchen Situation die einzige Devise."
Das Böse schläft nicht. Nicht einmal weit draußen auf See.