Deutschland und USA setzen im Raketenstreit auf Entspannung. Kompromiss beim Klimaschutz?
Heiligendamm. Begleitet von Straßenschlachten hat gestern der G-8-Gipfel in Heiligendamm begonnen. Während die Regierungschefs anreisten und sich zu ersten bilateralen Gesprächen trafen, gelang es Demonstranten, erstmals bis zum Sperrzaun vorzudringen. Am Abend drohte die Situation zu eskalieren, als sich Autonome vermummten und bewaffneten. Die Einsatzleitung forderte bundesweit Verstärkung für die 16 000 Polizisten.
Noch bevor die amerikanisch-russischen Differenzen über das geplante US-Raketenabwehrsystem das politische Treffen beeinträchtigen konnten, machte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern deutlich, dass sie darin keine Gefahr für eine neue Ost-West-Konfrontation sieht. "Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir haben neue Zeiten", sagte Merkel deutschen Fernsehsendern. In dieser Atmosphäre sollten nun die Gespräche geführt werden.
Das Wesen von G-8-Gipfeln sei nicht, herauszufinden, wer in welcher Frage isoliert sei, sagte Merkel. "Das Wesen ist, dass wir hier weiterkommen." Der Streit über die Raketen sei zwar mehr ein Thema von Nato und Russland. "Aber wir werden ja hier über alles offen reden." Die USA und Russland liefern sich seit Wochen einen offenen Schlagabtausch über die US-Pläne, die ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien vorsehen.
Bush und Putin reden über US-Raketen-Pläne
Das US-Projekt dürfte heute Thema bei einem geplanten Vier-Augen-Gespräch zwischen US-Präsident George W. Bush und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sein. Das Spitzenthema des Tages aber wird der Klimaschutz sein, dem Angela Merkel die größte Bedeutung beimisst. Bush, der weiter die von Merkel angestrebten Obergrenzen für den Ausstoß von Treibhausgasen ablehnt, zeigte sich gestern verhandlungsbereit und äußerte den "starken Wunsch", beim Gipfel zu Ergebnissen zu kommen.
Während die Regierungschefs ihre ersten Gespräche führten, bewegten sich etwa 10 000 Demonstranten in der Sperrzone um den Schutzzaun. Es gelang den G-8-Gegnern, mehrere Zufahrten zum Tagungshotel zu blockieren. Nach dem Einsatz von Wasserwerfern zogen sie über die Wiesen weiter. Die Polizisten aus der Nachtschicht konnten tagsüber am Zaun nicht abgelöst werden, weil die Kollegen durch Blockaden immer wieder an anderen Stellen festgehalten wurden.
Gewerkschaft: "Die Polizei ist personell am Ende"
Die Einsatzleitung forderte nach Abendblatt-Informationen im gesamten Bundesgebiet Verstärkung in vierstelliger Höhe an. Eine Polizeisprecherin der Sondereinheit "Kavala" bestritt dies am späteren Abend. Das Abendblatt bleibt bei seiner Darstellung.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, wies darauf hin, dass dafür das "letzte Aufgebot" mobilisiert werden musste. Dem Abendblatt sagte er: "Die Polizei ist personell am Ende." Aus Hamburg und Berlin machten sich jeweils zwei Hundertschaften auf den Weg. Schleswig-Holstein musste jedoch ablehnen. Von dort sind bereits 1000 Polizisten entsendet. "Mehr können wir nicht entbehren", sagte Innenminister Ralf Stegner (SPD) dem Abendblatt.
Den geplanten Sternmarsch der G-8-Gegner nach Heiligendamm sagten die Initiatoren gestern komplett ab. Sie reagierten damit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Route wegen möglicher Ausschreitungen bis an den Sicherheitszaun verboten hatte.