Über seine Erlebnisse hat der heute 27-Jährige ein Buch geschrieben. Jetzt ist er auf Lesereise in Deutschland. Er will Europa aufrütteln.
Hamburg. An den Tag, an dem er zum ersten Mal einen Menschen tötete, erinnert sich Ishmael Beah ganz genau. "Jetzt ist es an euch, den Tod eurer Familien zu rächen", hatte der Kommandeur noch gesagt. Ishmael greift zitternd die Kalaschnikow, stopft sich Kugeln und Magazine in die Seitentasche seiner Hose und schluckt schnell die weißen Kapseln, die ihm ein Soldat bringt. "Ich war so jung, gerade 13, und hatte noch nie so viel Angst gehabt, irgendwo hinzugehen, wie an diesem Tag", erzählt Ishmael Beah dem Abendblatt. Er läuft in den Wald, legt sich flach auf den Bauch und wartet auf den Feind. Sein Herz pumpt wild, die Ohren sind heiß, und seine Finger kleben am Abzug. Als die Rebellen auftauchen, drückt er ab und tötet. Wütend ist er. Er denkt an die Massaker in Sierra Leone und an den Freund, der von den Kugeln der Rebellen durchbohrt wurde. Als Ishmael nach dem Kampf in das Lager zurückkehrt, fühlt er sich leer, bringt keinen Bissen herunter. Erst die weißen Kapseln verschaffen ihm Ruhe. Später wird er Hunderte Menschen töten.
Ishmael Beah aus Sierra Leone war Kindersoldat in einem der brutalsten Bürgerkriege der 90er-Jahre. Fast zwei Jahre lang kämpfte er als Mitglied der Regierungsarmee gegen die Rebellen der Revolutionary United Front (RUF). Die Rebellen, vom Nachbarland Liberia finanziert, wollten den Präsidenten stürzen. Fast 200 000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden aus ihren Dörfern vertrieben und Tausende Mädchen und Jungen als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Ishmael Beah hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Jetzt befindet er sich auf Lesereise in Deutschland.
Auf den ersten Blick wirkt der heute 27-Jährige wie ein normaler junger Mann. Er trägt Jeans, Turnschuhe und lächelt höflich. Auf dem Tisch liegt sein Handy. "Mir ist es egal, wenn manche Menschen mich einen Mörder nennen", sagt er. "Die Leute haben keine Vorstellung von dem, was wir erlebt haben." Kurz nach Ausbruch des Krieges töten die Rebellen Beahs Eltern und Geschwister. Wochenlang ist er auf der Flucht, wird Zeuge grausamer Massaker an der Zivilbevölkerung. Dann fällt er Regierungstruppen in die Hände und wird als Kindersoldat zwangsrekrutiert. Zwei Jahre muss er töten, bis er von Unicef-Mitarbeitern aus der Armee befreit wird. Auf abenteuerlichen Wegen gelangt er nach New York, wo er auch heute lebt.
"Die Armee hat unsere Ängste und unsere Wut ausgenutzt", sagt Beah. Die Regierungstruppen setzen die Kinder unter Druck. Wer nicht kämpfen will, bekommt nichts zu essen. Wer nicht im Lager bleibt, fällt möglicherweise den Rebellen in die Hände. Das Motto lautet: Töte oder du wirst getötet. "Wir mussten gegen Rebellen kämpfen, in den Dörfern Essen besorgen und neue Soldaten rekrutieren"
, erzählt Beah. Mit Marihuana und dem berüchtigten "Brown Brown", einer Mischung aus Kokain und Schießpulver, werden die Kinder gefügig gemacht. Über das Töten denkt er nicht nach. Erst im Unicef-Camp beginnt Ishmael Beah über seine grausamen Erlebnisse zu sprechen. Er schreibt sein Buch und engagiert sich in der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. "Je mehr wir über das Thema reden, umso mehr Kindern können wir auch helfen."
Das Buch: Ishmael Beah: "Rückkehr ins Leben. Ich war Kindersoldat", Campus,