Mit dem Amtsantritt der neuen israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wächst die Sorge vor Rückschritten im Nahost-Prozess. Politiker aus dem In- und Ausland haben Netanjahu aufgerufen, sich klar zu einem eigenständigen Palästinenserstaat zu bekennen.

Jerusalem. Die neue israelische Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu hat gestern offiziell ihre Amtsgeschäfte aufgenommen. Staatspräsident Schimon Peres und der bisherige Regierungschef Ehud Olmert betonten bei einer Feierstunde zur Amtsübergabe in Jerusalem, es gebe keine Alternative zum Nahost-Friedensprozess. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Sondergesandte des Nahost- Quartetts, Tony Blair, sowie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mahnten zu einer Zwei-Staaten-Lösung.

Netanjahu hatte sich während seiner Regierungserklärung am Vorabend in der Knesset zwar zu weiteren Friedensverhandlungen mit den Palästinensern bereit erklärt, vermied aber Formulierungen wie Palästinenserstaat oder Zwei-Staaten-Lösung. Der Vorsitzende des rechtsgerichteten Likud verfügt nach dem Beitritt der strengreligiösen Partei Vereinigtes Tora-Judentum zu seiner Koalition jetzt über eine Mehrheit von 74 der 120 Parlamentssitze. Netanjahu hat mit 30 Ministern und inzwischen neun stellvertretenden Ministern das größte Kabinett in der israelischen Geschichte berufen.

In einer emotionalen Ansprache sagte Olmert bei der Amtsübergabe an Netanjahu: "Es war mir nicht vergönnt, meinen Traum von einem echten Frieden mit unseren Nachbarn zu erfüllen." Man habe jedoch wesentliche Fortschritte bei den Gesprächen mit den Palästinensern gemacht. "Der Staat Israel hat keine andere Alternative als das Streben nach einer Friedensvereinbarung", sagte Olmert. "Ich hoffe, die künftige Regierung wird die Verhandlungen fortsetzen."

Die Zeremonie der Amtsübergabe fand erstmals in der Präsidentenresidenz in Jerusalem statt. Auch Staatspräsident Schimon Peres riet Netanjahu, "größte Anstrengungen" zu unternehmen, um den Nahost-Friedensprozess weiterzubringen. Er verwies dabei auf die Vision von zwei Staaten für Israel und die Palästinenser, die friedlich Seite an Seite leben, und die arabische Friedensinitiative. Netanjahu betonte, Israel stehe vor großen Herausforderungen insbesondere im Bereich der Wirtschaft und der Sicherheitspolitik.

Auch die Bundesregierung forderte Netanjahu zur Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Palästinensern auf. "Dazu gibt es aus Sicht der Bundesregierung keine Alternative", sagte Vize- Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. Ziel müsse eine "Zwei- Staaten-Lösung" bleiben. In einem Glückwunschschreiben an Netanjahu äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Hoffnung, dass die neue israelische Regierung stabil und handlungsfähig sein werde.

Blair sagte in Brüssel, ohne eine Zwei-Staaten-Lösung werde es keine Fortschritte geben. Sollte sich 2009 nichts bewegen, sei der Friedensprozess in "großer Gefahr". EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner betonte, auch mit der neuen Regierung in Jerusalem Klartext reden zu wollen. Angesichts der anhaltenden Blockade des Gaza-Streifens sagte sie:"Ich bin ziemlich enttäuscht, dass fast nichts (der Zusagen Israels) respektiert wurde."

Palästinenserpräsident Abbas sagte, er sei zur Zusammenarbeit mit jeder vom israelischen Volk gewählten Regierung bereit, solange diese die Zwei-Staaten-Lösung und alle bislang geschlossenen Vereinbarungen akzeptiere und den Siedlungsbau stoppe.

Dagegen sagte der neue israelische Außenminister Avigdor Lieberman, die neue israelische Regierung fühle sich nicht an die Beschlüsse der Konferenz von Annapolis gebunden, die einen palästinensischen Staat zum Ziel haben. Die Vereinbarungen von Annapolis "haben keine Gültigkeit", erklärte der ultranationalistische Politiker und Chef der Partei "Unser Haus Israel".