So ein Video hat es lange nicht mehr gegeben: Blass und eingeschüchtert sitzt der polnische Ingenieur Pjotr Stanczak zwischen zwei schwer bewaffneten Vermummten. Die polnischen Soldaten sollten aus muslimischen Ländern abziehen, sagt er - umsonst. Danach wurde er enthauptet.
Hamburg. So ein Video hat es lange nicht mehr gegeben: Blass und eingeschüchtert sitzt der polnische Ingenieur Pjotr Stanczak zwischen zwei schwer bewaffneten Vermummten. Die polnischen Soldaten sollten aus muslimischen Ländern abziehen, sagt er - umsonst. Danach wurde er enthauptet. Vermutlich irgendwo im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Die Polen reagierten entsetzt. Das weckt Erinnerungen an die schlimmsten Terrorzeiten im Irak, die nun offenbar Afghanistan erreicht haben.
Während der Irak inzwischen als stabile Region gilt, stehen die Prognosen für Afghanistan schlechter den je. Wer im Jahr acht nach der Vertreibung der radikal-islamischen Taliban internationalen Sicherheitsexperten zuhört, kann regelrecht das Platzen der einst hoffnungsvollen Pläne für das Land vernehmen. Demokratie nach westlichen Maßstäben? Nicht vorstellbar. Der Kampf gegen den Opiumanbau? Nicht zu gewinnen. Die Kontrolle über die Terrorcamps im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet? Unmöglich.
In diesem Jahr, in dem die Nato sich auf die Absicherung der Wahlen in Afghanistan vorbereitet und die USA unter neuer Regierung eine Strategiekonferenz einberuft, rechnen Sicherheitsexperten mit noch deutlich größeren Anschlägen als bisher - auch bis mitten in Afghanistans Hauptstadt Kabul hinein. Anfang dieses Jahres waren bei Selbstmordanschlägen vor Ministerien in der eigentlich hermetisch gesicherten Hauptstadt mehr als 30 Menschen getötet worden.
Die internationalen Truppen treffen anders als im Irak in Afghanistan auf eine fast undurchdringbare Gemengelage aus islamistischen Taliban, traditionell sowieso bewaffneten Dorfbewohnern, die den Stammesfürsten gehorchen, und terroristischen Gruppen aus dem Al-Qaida-Netzwerk, die Attentäter für die Region und die ganze Welt ausbilden. Gemacht wird, was Erfolg hat, auch wenn es "nur" eine mediale Drohkulisse ist.
Die Politik hält an ihrer Strategie fest und sendet nach dem Vorbild Irak noch mehr Truppen. US-Präsident Barack Obama will die 36 000 in Afghanistan stationierten US-Soldaten um weitere 30 000 aufstocken. Deutschland verstärkt seine 35 000 Soldaten noch einmal um zunächst 600. Insgesamt sind schon 55 000 Soldaten aus 41 Ländern am Hindukusch. Dennoch steigt die Gewalt gegen die Zivilisten weiter an und die dafür verantwortlich gemachten Taliban zeigen sich unbeeindruckt von Militärschlägen gegen ihre Anführer, Lager und Verstecke.
Das zeigen auch die Hintergründe der Entführung und Enthauptung des polnischen Ingenieurs. Er arbeitete für eine polnische Gasfirma in der pakistanischen Provinz Punjab. Die Bodenerforschung war zwar mit der pakistanischen Regierung in Islamabad abgesprochen, nicht aber mit den Männern vor Ort, die das Land im Auftrag der Regierung bewirtschaften. Vor allem war kein Schmiergeld oder vielleicht auch nicht genug gezahlt worden. Es folgten wohl unmissverständliche Warnungen, begleitet von durchsetzungskräftigen Schlägertrupps. Die Polen sollten ihre Arbeiten einstellen, doch die ließen sich nicht beirren. Dann setzte sich eine Maschinerie in Gang, die auch schon bei der Entführung der zwei deutschen Ingenieure und einer Gruppe von Südkoreanern vor zwei Jahren in Afghanistan funktionierte. Kriminelle Entführer verschleppten die Geisel vermutlich in die unregierbaren Stammesgebiete im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet und verkauften sie an lokale Terroristen, die dann die Verhandlungen offiziell führte, durchaus wohl auch mit Unterstützung der Taliban. Nach außen entstand zumindest der Eindruck, die Taliban würden ihre Fäden ziehen, um die ausländischen Truppen aus dem Land zu vertreiben. Für ihre eigenen Interessen bedienen sich die unterschiedlichen afghanischen Gruppen dieses Zusammenspiels. Zum Schluss war die Geisel tot, ein Lösegeld nicht gezahlt, aber alle an der Entführung beteiligten Banden hatten ein Ziel erreicht: Die polnische Firma zog sich zurück, der Regierung in Islamabad wurde gezeigt, dass sie kaum Einfluss hat und die Taliban stehen als einflussreiche Terrororganisation da.
Dabei halten einige Experten sie nicht für derart machtvoll. Ihre Größe wird auf einen Kern von vielleicht 15 000 geschätzt. Doch gesichert sind diese Zahlen nicht. Taliban sind nicht unbedingt auszumachen, oft nicht einmal an ihrer Kleidung. Sie leben in den Dörfern, können morgens Bauern und abends schwer bewaffnete Kämpfer sein. Wer aber ist wirklich Taliban und wer ein normaler Stammesangehöriger, der sich von einem Stammesfürsten rekrutieren lässt?
30 bis 40 terroristische Gruppen aus dem Al-Qaida-Geflecht sollen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet operieren. Sie haben keine gemeinsame Linie, aber ein Ziel: Anschlagsplanung. In mobilen Terrorlagern, versteckt in unzugänglichen Tälern, bilden sie Selbstmordattentäter für Afghanistan, Pakistan und die ganze Welt aus. Hunderttausende frustrierter Männer in den Flüchtlingslagern sind eine schier unerschöpfliche Rekrutierungsmasse. Doch ebenso aus westlichen Ländern reisen Muslime an. Und dann ist plötzlich auch für Deutschland Afghanistan ganz nah: Die drei in Düsseldorf angeklagten Hauptverdächtigen der Sauerlandgruppe, die Anschläge in Deutschland planten, hatten sich dort in einem Terrorcamp der Islamischen Dschihad Union ausbilden lassen.