Die Kontrollen auf See reichen nicht aus, im Indischen Ozean droht die Situation jetzt zu eskalieren. Ist das Problem nur noch an Land zu lösen?
Für Richard Phillips ist das Drama vorbei. Fünf Tage lang befand sich der US-Kapitän des Containerfrachters "Maersk Alabama" in der Hand schwer bewaffneter somalischer Piraten. Dann befreiten amerikanische Elitesoldaten den 53-Jährigen aus einem Freifallrettungsboot, in dem sich die Kriminellen mit ihrer Geisel verschanzt hatten. Drei Piraten wurden von Scharfschützen der Eliteeinheit Navy Seal erschossen, ein Pirat in Gewahrsam genommen. Für mehr als 200 Geiseln verschiedener Staatsangehörigkeiten, darunter auch mindestens fünf Deutsche, auf rund einem Dutzend gekaperter Schiffe dauert der Albtraum vor der somalischen Küste jedoch an. Und die Piraten haben Rache für ihre getöteten Komplizen geschworen. Die Situation droht mittlerweile zu eskalieren.
"Amerika ist unser neuer Feind", sagte ein Pirat, der sich Farah nannte, gestern der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie haben unsere Freunde auf dem Boot getötet." Bereits am Freitag hatte das französische Militär bei der Befreiung der Segelyacht "Tanit" zwei Piraten erschossen. Es starb aber auch Bootseigner Florent Lemaçon, der Vater des einzigen Kindes an Bord. "Die Franzosen und Amerikaner werden es noch bedauern, dass sie mit dem Töten angefangen haben", drohte ein anderer Pirat, der angeblich Hussein heißt. "Von jetzt an werden wir denjenigen etwas antun, die wir für Franzosen oder Amerikaner halten."
Keine beruhigende Botschaft also für die Deutschen, die zur Besatzung des vor zehn Tagen gekaperten Frachters "Hansa Stavanger" gehören. Es soll sich um den Kapitän und vier leitende Offiziere handeln, die auf dem Schiff der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg Dienst tun. Der Krisenstab des Auswärtigen Amts bemühe sich weiter intensiv um eine Lösung des Falls, sagte eine Sprecherin des Ministeriums gestern in Berlin.
Im vergangenen Jahr registrierte das Schifffahrtsbüro der Internationalen Handelskammer 293 Piratenangriffe (elf Prozent mehr als 2007), darunter auf den ukrainischen Waffenfrachter "Faina" und den saudi-arabischen Supertanker "Sirius Star". Daraufhin startete die internationale Gemeinschaft verschiedene Marineeinsätze. Am EU-Einsatz "Atalanta" ist die Deutsche Marine mit den Fregatten "Rheinland-Pfalz", "Emden" und "Mecklenburg-Vorpommern", dem Versorger "Spessart", vier Hubschraubern vom Typ "Sea Lynx Mk88" sowie einem Aufklärungsflugzeug vom Typ "P-3C Orion" beteiligt. Mehr als 700 Bundeswehr-Soldaten wurden in den Kampf gegen die Piraten geschickt.
Die Mission "Atalanta" wird außerdem von Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien sowie demnächst von Schweden und dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen unterstützt. Die Nato ist mit Schiffen aus Kanada, den Niederlanden, Portugal, Spanien und den USA im Einsatz. Die USA haben ihre eigene "gemeinsame Einsatztruppe 151", und auch Kriegsschiffe aus China, Indien, Japan und Russland kreuzen im Golf von Aden gegen die Piraten. Aber die Patrouillen können nicht überall sein in einem mehr als 2,5 Millionen Quadratkilometer großen Seegebiet - so groß wie Mittelmeer und Rotes Meer zusammen. Und sind das Wetter auch noch gut und die See ruhig, dann können die Piraten in ihren kleinen und wendigen Booten weiter aufs Meer hinausfahren - der Kampf gegen die somalischen Seeräuber scheint nahezu aussichtslos.
Dabei ist die Schlacht wohl auch nicht auf dem Meer, sondern ohnehin nur an Land zu gewinnen. "Es ist wie zu Zeiten von Klaus Störtebeker", sagt Kapitän zur See Heinz Dieter Jopp von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. "Das Nest muss an Land ausgeräuchert werden." Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 gibt es in Somalia keine funktionierende Regierung mehr. Chaos, Anarchie, Gesetzeslosigkeit sind die Kennzeichen dieses "failed state", mit dem auch keine internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Piraten abgeschlossen werden können. Und bisher hat sich noch keine internationale Militärmission getraut, das Land zu stabilisieren und den Menschen dort ein Leben jenseits von Hunger und Verbrechen zu ermöglichen.
Hochburg der Seeräuber ist die autonome Provinz Puntland. Auch mit dem Schmuggel von Flüchtlingen aus Somalia und Äthiopien auf die arabische Halbinsel haben Banden dort viel Geld verdient. Die Puntland-Führung steht in Verdacht, die Piraten zu unterstützen und an deren Lösegeld-Zahlungen mitzuverdienen. Früher lebten die Menschen in Puntland vom Fischfang, jetzt sind die Meere leer. In Zeiten, in denen jeder dritte Somalier nur noch mit internationaler Hilfe überleben kann, heuern immer mehr Menschen bei den Seeräubern an.
Deren Hintermänner sind meist ausgewanderte Somalier, die heute in London, Dubai oder den USA sitzen. Sie stellen Geld und Ausrüstung zur Verfügung, korrupte Beamte informieren die Seeräuber über die Routen der patrouillierenden Schiffe. Und auch die Daten, die in der Berufsschifffahrt standardmäßig im Automatischen Identifikationssystem (AIS) über Ladung, Kurs oder Größe eines Schiffes gesendet werden, können die Piraten mittlerweile mitlesen. Fast zwangsläufig, dass die Gefahr der Überfälle die Versicherungsprämien für die Frachter deutlich in die Höhe treibt. Und auch der lange Umweg um das südafrikanische Kap der Guten Hoffnung ist für die Reeder kostspielig.
Während sich das Auswärtige Amt über den Zustand der deutschen Geiseln ausschweigt, feiern die USA den befreiten Kapitän Richard Phillips als "Helden der Hohen See", US-Präsident Barack Obama spricht von einem "Vorbild für alle Amerikaner". Der 53-Jährige hatte schon eine Kalaschnikow im Rücken und wäre wohl nicht mehr am Leben, wenn der verantwortlich Kommandant der Scharfschützen nicht binnen Sekundenbruchteilen den Befehl zum Feuern gegeben hätte. Die Köpfe der Seeräuber waren schon im Fadenkreuz der Schützen. Jetzt erholt Phillips sich auf der "USS Boxer" und hat auch schon mit seiner Frau Andrea über die baldige Heimkehr gesprochen. Für die Angehörigen der entführten fünf Deutschen dauert das bange Warten an.
"Amerika ist unser neuer Feind", sagte ein Pirat, der sich Farah nennt.