Nach dem Rauswurf der Diplomaten warten die Aufständischen in Syrien auf ein Zeichen aus den USA. Geschäftsleute streiken gegen Assad
Istanbul/Washington. Die Aktion verbreitete sich mit dem Lauf der Sonne über den Erdball: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die USA und weitere Staaten haben die Botschafter von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad vor die Tür gesetzt. Damit wollen sie den Druck auf das Regime in Damaskus erhöhen, das in seinem Kampf um den Machterhalt sein ganzes Arsenal des Schreckens einsetzt: Artilleriegeschütze, Milizenterror, Folterknechte und Geheimdienstspitzel, die Oppositionsgruppen unterwandern. Und es stellt sich die Frage, was die USA jetzt tun.
Die syrische Opposition ist dankbar für diesen Schritt, der aus ihrer Sicht schon lange überfällig war. Doch sie befürchtet, dass Assad von dieser schärfsten aller diplomatischen Waffen zwar verletzt, aber nicht zur Einsicht gebracht wird. Denn die Regierung in Moskau steht immer noch treu zu dem Regime. "Wir haben den Europäern schon vor langer Zeit dazu geraten, die syrischen Diplomaten auszuweisen, und es ist großartig, dass sie es jetzt getan haben, auch wenn dieser Schritt etliche Monate zu spät kommt", sagt Adib Schischakli, ein Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats.
Der in Saudi-Arabien ansässige smarte Geschäftsmann, der im Moment hauptsächlich in Istanbuler Hotels lebt und Treffen der Opposition besucht, trägt denselben Vornamen wie sein Großvater. Adib Schischakli senior war in Syrien vor mehr als 50 Jahren für kurze Zeit Präsident. Adib Schischakli junior hofft jetzt, dass die Isolation, in die Assad sein Land manövriert hat, dazu führen wird, dass sich weitere einflussreiche Syrer aus der Geschäftswelt und der Regierung von ihm abwenden. Ein Indiz dafür, dass der Kreis der Unterstützer des Regimes stetig kleiner wird, ist der jüngste Streikaufruf, dem in Damaskus am Montag zahlreiche Geschäftsinhaber gefolgt sind.
Indem sie ihre Läden geschlossen hielten, protestierten die Händler gegen das Massaker von Hula. Das ist ein beunruhigendes Zeichen für die syrische Führung, die ihre Überlebensstrategie darauf ausgerichtet hat, sich als Garantiemacht für die Interessen der Geschäftswelt und der Minderheiten - vor allem der Alawiten und der Christen - darzustellen.
Die Staaten, die jetzt Syriens Diplomaten zur Ausreise zwingen, tun dies als Reaktion auf die Gräueltaten in der Ortschaft Hula, wo Wohnviertel bombardiert und Kinder abgeschlachtet wurden. Doch der Schlag, den man dem Regime damit versetzen wollte, wird, wie schon so oft, abgemildert durch eine Erklärung aus Moskau. Das Blutbad dürfe nicht als Vorwand für eine Militärintervention benutzt werden, sagt Außenminister Sergej Lawrow.
Damit stellt sich jetzt erneut die Frage, die in der sogenannten Gruppe der Freunde Syriens schon seit Monaten diskutiert wird: Was kann und muss man tun, wenn Russland im Sicherheitsrat weiterhin auf der Bremse steht? Ein US-General deutete jetzt an, das Pentagon könne rasch eine Strategie für eine militärische Lösung vorlegen, wenn es keine diplomatischen Optionen mehr geben sollte.
Aber noch schweigt Barack Obama. Der Friedensnobelpreisträger, der sonst an keinem Mikrofon einfach vorbeigehen kann, sagt keine Silbe zum jüngsten Massaker in Syrien. Seit Monaten schaut er dem Gemetzel tatenlos zu. Verabschiedet sich gerade die "Weltmacht Nummer eins" von ihrem Anspruch, die Unterdrückten dieser Welt zu beschützen, den Kämpfern der Freiheit beizustehen?
Lange Zeit hat die amerikanische Öffentlichkeit die zögerliche und abwartende Haltung des Präsidenten hingenommen. Jetzt regt sich erstmals ätzende Kritik. "Syriens Srebrenica" überschreibt das "Wall Street Journal" seinen Kommentar, in dem es Obama vorwirft, der Uno zu folgen, "die zum Komplizen von Baschar al-Assad geworden ist". "Mr. Obamas Hauptziel ist es, die Wahlen hinter sich zu bringen, ohne erneut amerikanische Militärmacht einsetzen zu müssen." Die Schande des bosnischen Srebrenica, wo 1995 Uno-Truppen zuschauten, als Serben Tausende Bosnier umbrachten, in einem Atemzug mit Obama zu nennen, das ist selbst für das Obama-kritische Blatt starker Tobak. Im Klartext heißt das: Obama ist ein Feigling.
Doch die Optionen des Präsidenten sind begrenzt. "Syrien ist nicht Libyen" heißt es immer wieder. Die syrische Armee, vor allem die Luftabwehr, sei ungleich stärker als die libyschen Streitkräfte. Hinzu komme, dass Russland seine schützende Hand über die Freunde in Damaskus halte. Syrien ist ein "Big Player" in der Region, zudem mit dem Iran verbandelt. So lehnte Verteidigungsminister Leon Panetta unlängst ein Eingreifen rundweg ab. "Uns muss bewusst sein, dass eine Militärintervention die angespannte Lage verschlimmern und noch mehr Zivilisten in Gefahr bringen könnte."