In Chicago ging es zwischen Demonstranten und Polizei zur Sache. Auch im Konferenzzentrum des Nato-Gipfels gab es unterschwellig Ärger.
Chicago. Das Gipfeltreffen in Chicago sorgt für Wirbel. Die Nato ist bei der Raketen-Abwehr einen wichtigen Schritt vorangekommen: Das System, das das Bündnis vor Angriffen sogenannter Schurkenstaaten wie dem Iran und Nordkorea schützen soll, ist in Teilen einsatzbereit. Das verkündeten die Staats- und Regierungschefs zum Auftakt des Nato-Gipfels am Sonntag in Chicago. Damit dürfte die Konfrontation mit Russland, das sich von dem Abwehrschild bedroht fühlt, in eine neue Runde gehen. Die 28 Alliierten stellten bei ihrem Treffen außerdem die Weichen für milliardenschwere Rüstungsprojekte und eine engere Zusammenarbeit bei Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern.
Für Ärger bei den Partner sorgte das Ausscheren Frankreichs aus der Bündnissolidarität: Präsident François Hollande will die schätzungsweise 3400 Soldaten schon Ende 2012 nach Hause holen – zwei Jahre früher als in der Allianz vereinbart. US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle zeigten sich irritiert.
+++ Großdemonstration: Tausende protestierten gegen Nato-Gipfel +++
Hollande spielte die Wirkung seiner Entscheidung demonstrativ herunter. "Wir haben eine gemeinsame Abmachung gefunden“, sagte er am Rande des Gipfels. 2013 sollten französische Ausbilder für afghanischen Polizei und Armee verbleiben. Zwischen den Zeilen ließ Merkel Unverständnis durchblicken: "Wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen, und wir wollen auch gemeinsam aus Afghanistan wieder abziehen.“ Deutlicher wurde Westerwelle: „Ein Abzugswettlauf gießt nur Wasser auf die Mühlen derer, die Unsicherheit säen wollen.“
Auch Gastgeber Obama beschwor die Verbündeten, den Einsatz gemeinsam fortzusetzen: "Genau so, wie wir zusammen Opfer gebracht haben, werden wir jetzt auch entschlossen zusammenstehen, um diese Mission zu vollenden.“ Die USA stellen rund 90.000 Soldaten für die Schutztruppe Isaf, die derzeit etwa 130.000 Soldaten im Einsatz hat.
Das Thema Afghanistan – Abzug in Etappen und finanzielle Hilfe nach Ende 2014 – stehen am Montag zum Gipfelabschluss auf der Tagesordnung. Es geht um Ausbilder und jährlich 4,1 Milliarden Dollar (3,2 Milliarden Euro) Unterhalt für Armee und Polizei. Deren Verteilung war noch umstritten.
Begleitet wurde der größte Gipfel in der 63-jährigen Geschichte der Nato von Protesten. Viele tausend Aktivisten zogen durch das Zentrum der Millionenstadt Chicago . Es kam zu einzelnen Zusammenstößen von Demonstranten und Polizei mit Verletzten und Festnahmen.
Russland hatte nur Stunden vor dem Beschluss zur Raketenabwehr erneut seine Ablehnung deutlich gemacht. Vize-Verteidigungsminister Anatoli Antonow sagte in Moskau, das System könne das strategische Gleichgewicht stören. Die Raketenabwehr beruht auf der Verbindung von Radarstationen und Abfangraketen zu Lande und zu Wasser. Bis 2020 soll es komplett installiert sein. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen versuchte erneut, die russischen Bedenken zu zerstreuen: "Es gibt eine reale Bedrohung und dagegen brauchen wir eine reale Verteidigung. Und natürlich kann Russland das nicht blockieren.“ Er hoffe, dass die Führung in Moskau irgendwann verstehe, dass eine Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse sei.
Wegweisend für eine neue Ausrichtung der Nato waren vor allem Beschlüsse zu Rüstungsprojekten. "Sie werden militärische Fähigkeiten, die wir brauchen, zu einem Preis schaffen, den wir uns leisten können“, sagte Rasmussen.
Es ist eine enge Kooperation bei mehr als 20 Projekten geplant, um angesichts knapper Verteidigungsbudgets dennoch militärisch und technologisch immer auf letzten Stand zu sein. Viele Entwicklungen können einzelne Staaten finanziell nicht mehr allein stemmen.
Zu solchen Projekten der sogenannten "Smart Defence“ (Kluge Verteidigung) gehören beispielsweise ein System zur Bodenaufklärung durch unbemannte Flugkörper oder zur Betankung von Flugzeugen ebenso wie Einrichtungen zur medizinischen Versorgung von Soldaten.
Für die deutschen Steuerzahler könnte vor allem das "Jahrhundertprojekt“ AGS – Bodenüberwachung aus der Luft – durch fünf unbemannte Flugzeuge kostspielig werden. Die Drohnen sollen von 2016 an auf Sizilien stationiert werden. Die Anschaffung der Flugzeuge durch 13 Staaten, darunter Deutschland, kostet eine Milliarde Euro. Deutschland stimmte unter Vorbehalt zu, weil der Haushaltsausschuss des Bundestags noch entscheiden muss. Der Betrieb des Systems kostet nach Diplomatenangaben weitere zwei Milliarden Euro – die allerdings auf alle 28 Mitglieder verteilt werden.
Der Gipfel beschloss auch eine Erklärung, wonach Atomwaffen weiter nötig sind. Atomwaffen werden als "Kernkomponente“ der Abschreckung der Nato bezeichnet. Zu den in Europa stationierten taktischen Atomwaffen der USA heißt es, dass Bündnispartner an Entscheidungen teilhaben, sollten die Waffen auf ihrem Territorium verringert werden. Russland soll ein Angebot zur Abrüstung vorgelegt werden.