Weißes Haus schildert erstmals Details der Militäroperation gegen den Al-Qaida-Führer. Obama wollte Einsatz von Elitesoldaten statt Drohnen
Washington. Die Bestattung folgte islamischen Vorgaben: Die Leiche wurde gewaschen und in ein weißes Tuch gehüllt, in eine mit Gewichten beschwerte Tasche gebettet, auf ein flaches Brett gelegt und von Bord des Schiffs in den Ozean gekippt. So beschreiben Regierungsoffizielle in Washington die Seebestattung des Staatsfeindes Nummer 1 der USA, Osama Bin Laden. Der Terror-Chef, dem seine Jäger beim Geheimdienst CIA den Codenamen "Geronimo" gegeben hatten, wurde am Montagmorgen in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad durch Navy SEALs liquidiert.
In einer von Sprecher Jay Carney verlesenen Erklärung schilderte das Weiße Haus gestern erstmals detailliert den Angriff und teilte dabei auch mit, dass Bin Laden unbewaffnet war, als er erschossen wurde. In der Erklärung heißt es: "Auf Anordnung des Präsidenten griff ein kleines US-Team ein befestigtes Anwesen in einem reichen Vorort von Islamabad an, um Osama Bin Laden gefangen zu nehmen oder zu töten ... Das Team sicherte systematisch das Anwesen, von Raum zu Raum, in einer Operation, die fast 40 Minuten dauerte. Sie (das Team) hatten es während der gesamten Operation mit Feuergefechten zu tun, und Osama Bin Laden wurde von den Angriffskräften getötet.
Neben der Bin-Laden-Familie wohnten zwei weitere Familien auf dem Anwesen, eine Familie im Erdgeschoss des Bin-Laden-Wohnhauses und eine Familie in einem zweiten Gebäude. Ein Team begann die Operation im Erdgeschoss des Bin-Laden-Hauses und arbeitete sich hinauf in den zweiten Stock. Ein zweites Team sicherte das zweite Gebäude.
Im Erdgeschoss des Bin-Laden-Hauses wurden zwei Al-Qaida-Kuriere und eine Frau getötet, die ins Kreuzfeuer geriet. Bin Laden und seine Familie wurden im ersten und zweiten Stock des Gebäudes gefunden. Es gab die Besorgnis, dass er sich der Gefangennahme widersetzen würde, und tatsächlich, er widersetzte sich. Im Raum mit Bin Laden rammte eine Frau, Bin Ladens Ehefrau, den US-Angreifer und wurde ins Bein geschossen, aber nicht getötet. Dann wurde Bin Laden beschossen und getötet. Er war nicht bewaffnet ..."
Schon zuvor waren in Washington nach und nach weitere Einzelheiten der Militäraktion und seiner Vorbereitung bekannt geworden. So ließ das Joint Special Operations Command (JSOC) das im August identifizierte Versteck Bin Ladens in Originalgröße nachbauen. Es diente im Militärcamp Bagram, nahe der afghanischen Hauptstadt Kabul, den Elitesoldaten als Trainingsgelände. Dazu war das durch Mauern und Stacheldraht gesicherte dreistöckige Gebäude in Abbottabad zuvor von der Straße und per Satellit fotografiert und vermessen worden.
Im Training brauchten die Navy SEALs 30 Minuten. Die tatsächliche Operation, durchgeführt mit vier Hubschraubern, dauerte zehn Minuten länger - inklusive einer ersten Identifizierung der Leiche Bin Ladens und der Sicherstellung von Computern.
Die CIA war dem Versteck Bin Ladens durch die Hinweise gefangener Al-Qaida-Kämpfer auf die Spur gekommen. Khalid Scheich Mohammed, der selbst erklärte Chefplaner der Anschläge vom 11. September 2001, soll in Verhören den "Kampfnamen" eines engen Vertrauten und Kuriers Bin Ladens verraten haben. Dieser Kurier soll 2004 oder 2005 ein zuvor lange nicht genutztes Handy eingeschaltet haben. Das habe den Geheimdienst endgültig auf seine Fährte und letztlich zu Bin Ladens Versteck gebracht.
Während Militärs zunächst vorgeschlagen hatten, dessen Versteck mit Drohnen zu zerstören, bestand US-Präsident Barack Obama auf dem Einsatz eines Zugriff-Teams per Hubschrauber. Der Präsident sah die - vorübergehende - Sicherstellung des Leichnams als unverzichtbar an, um jeden Zweifel am Erfolg der Aktion zu zerstreuen. Der Angriff sollte am Sonnabend erfolgen, wurde wegen starker Bewölkung aber um einen Tag verschoben. Am Sonntagnachmittag saß Obama mit seinen wichtigsten Sicherheitsberatern und Militärs sowie seinem Stellvertreter Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton im Lagezentrum des Weißen Hauses vor Bildschirmen, auf denen die Mission live übertragen wurde. Der zugeschaltete CIA-Direktor Leon Panetta kommentierte das Geschehen aus der Geheimdienstzentrale im nahen Langley.
Panetta verkündete nach bangen Stunden: "Geronimo EKIA." Enemy killed in action (Der Feind ist im Gefecht gefallen). Nach einem Moment des Schweigens sagte Obama: "We got him" - "Wir haben ihn."