San Francisco. US-Sicherheitsbehörden rätseln, wie eine blinde Passagierin alle Kontrollen am Flughafen umging. Nun prüfen sie eine drastische Reaktion.

Für Außenstehende ist es eine kuriose Geschichte – für Sicherheitsexperten ein Alarmsignal. Und für die Luftfahrtbranche ein Weckruf. Ohne Ausweispapiere oder Ticket ging eine Frau durch sämtliche regulären Pass-, Einlass- und Bordkartenkontrollen und stieg in ein Flugzeug nach Paris.

Das darf eigentlich nicht passieren. Der Vorfall ereignete sich nicht in der dritten Welt, nicht auf einem kleinen Provinzflughafen, sondern auf dem John F. Kennedy Airport (JFK) in New York, allerdings an einem Tag mit besonders hohem Passagieraufkommen. Nun läuft die Diskussion über Konsequenzen.

Der Fall ist das heiße Thema auf der Sicherheitstagung des US-Flughafenverbands. Auch eine Woche danach rätseln die Experten, wie die Frau es nur geschafft hat, alle Kontrollen zu überspringen. „Das ist etwas, das wir sehr ernst nehmen“, sagte der Leiter der amerikanischen Transportsicherheitsbehörde (TSA), David P. Pekoske, auf der Tagung.

Ein Fall von Systemversagen

Das gesamte Boarding am Terminal 4 des JFK wird nun akribisch rekonstruiert. Gut möglich, dass nach dem Versagen der Kontrolle durch Menschen am Ende eine drastische Maßnahme ansteht: die Einführung von eGates, von elektronischen Zugangskontrollen per Gesichtserkennung. Die Schranken lassen niemanden ohne biometrische Überprüfung per Gesichts- oder Iriserkennung durch. 

Die Frau selbst konnte noch nicht von den Amerikanern vernommen werden. Erst am Mittwoch bestieg sie ein Flugzeug in die USA, nachdem sie zwei Abschiebeversuche erfolgreich torpediert hatte. Sie schrie jedes Mal so laut und reagierte so heftig, dass am Samstag die französischen Behörden einschritten und am Dienstag die Luftlinie sich weigerte, sie mitzunehmen.

Anhand der Videoaufnahmen der Sicherheitskameras weiß man, dass sie sich bei der Sicherheitskontrolle unter die Flugbesatzung und am Gate unter eine Großfamilie mischte, die ihre Tickets und Pässe zusammen vorzeigten. Beide Male schlüpft die blinde Passagierin durch; wie genau, ist noch unklar.

Jeder Fluggast muss einzeln überprüft werden

Dabei sind die Vorschriften eindeutig: Jede Person wird einzeln überprüft und identifiziert. Im Flugzeug selbst, einer Boeing 767-400ER von Delta, versteckte sie sich in der Toilette und ging während des Fluges von einer Toilette zur nächsten. Da die Maschine nicht vollbesetzt war, gab es leere Plätze, die man ihr zuordnete.

Erst nach sechs Stunden – schon kurz vor der Landung in Paris – wurde die Besatzung stutzig, weil die Toilette dauerbesetzt war; erst da fiel die blinde Passagierin auf. Der Pilot wies seine Fluggäste nach der Landung an, sitzen zu bleiben, da die französische Polizei an Bord komme, um „ein ernstes Sicherheitsproblem“ zu lösen.

Hin und her zwischen den Bordtoiletten

Viele Airlines schließen die Bordtoiletten beim Start. Delta verfährt anders. Hier sind die Flugbegleiter verpflichtet, die Toiletten zu kontrollieren, was in diesem Fall offenbar unterblieb. Alles, was schiefgehen konnte, ist bei den Kontrollen an jenem 26. November, einem Dienstag, dann tatsächlich auch schiefgegangen.

JFK ist ein großer Flughafen. Im vergangenen Jahr wurden dort mehr als 62 Millionen Passagiere registriert, deutlich mehr als in Frankfurt. Allein am vergangenen Dienstag waren es fast 2,7 Millionen. Es war zwei Tage vor dem amerikanischen Feiertag Thanksgiving, bei dem traditionell Millionen Amerikaner unterwegs zu ihren Familien sind.

Alle Signale auf Rot

Die Frau heißt Swetlana D., ist 57 Jahre alt und russische Staatsbürgerin. Sie hielt sich legal in den USA auf und gab an, nach Frankreich zu fliehen. Sie hatte in den USA eine Aufenthaltserlaubnis, aber ihr Pass war längst abgelaufen.

Laut der Zeitung „Le Figaro“ erklärte sie den Behörden im Flughafen Charles de Gaulle, dass sie von den russischen Geheimdiensten unter Mithilfe der amerikanischen Geheimdienste mit Polonium vergiftet worden sei. Sie wolle deshalb nach Europa kommen, um den Amerikanern zu entkommen.

Rückblickend gilt es fast als Glücksfall, dass eine offensichtlich geistig verwirrte Frau das Systemversagen aufdeckte und nicht ein Terrorist. Der Vorfall dürfte massive Konsequenzen haben. Sowohl bei der Delta Airlines als auch bei der Kontrollbehörde TSA stehen seither alle Signale auf Rot.