Paris. Die extreme Rechte könnte die Regierung in Paris diese Woche stürzen. Schon jetzt zeigen sich gefährliche wirtschaftliche Folgen.


Michel Barnier ist nicht zu beneiden. Vor wenigen Tagen musste sich der konservative Premier (73) einer Halswirbeloperation unterziehen. Auch politisch wirkt es so, als ziehe sich die Schlinge um seinen Hals zu. Am Montag brachte er das Budget der Sozialversicherung nur noch mit einem Verfassungskniff durch. Frankreichs Haushalt gilt damit als angenommen; im Gegenzug muss sich Barnier aber in der Nationalversammlung – wo er in der Minderheit ist – einer Vertrauensabstimmung unterziehen.

Ihr Ausgang, und damit das Schicksal der Regierung Barnier, ist vorläufig offen. Die Linke hat zwar bereits bekanntgegeben, dass sie Barnier das Vertrauen verweigert und ihn damit zu Fall bringen will; das rechtsnationale Rassemblement National (RN) macht es aber bewusst spannend. Schließt sich die Partei von Marine Le Pen der Linken an, würde sie Barnier in die Minderheit versetzen und sein Kabinett zum Rücktritt zwingen.

Frankreichs Minderheitsregierung steht vor dem Aus

Es wäre das unrühmliche Ende einer Minderheitsregierung, die Präsident Emmanuel Macron im September nach der völlig verpatzten Ansetzung von Neuwahlen aus der Not geboren hatte. Unrühmlich, weil Barnier sich seit Wochen von RN-Gründerin Marine Le Pen vor sich hertreiben ließ. Ansich angetreten, die ausufernden Staatsfinanzen mit einem Sparbudget zu sanieren, musste er der Rechten ständig neue Zugeständnisse machen, um nicht in die Minderheit versetzt zu werden.

„Einige haben noch nicht völlig begriffen, in welcher neuen Welt wir leben“, meint RN-Wortführerin Laure Lavalette angesichts der Machtposition ihrer Partei. „Wir werden es ihnen klarmachen.“ Ihr Parteikollege Guillaume Bigot frohlockte: „Ein Twitterspruch von Marine Le Pen genügt, um den Premier umzubiegen.“

Der französische Premierminister Michel Barnier sitzt in der Nationalversammlung, während Frankreichs Minderheitsregierung möglicherweise in den letzten Zügen liegt, da die Abgeordneten der Opposition diese Woche ein Misstrauensvotum anstreben.
Der französische Premierminister Michel Barnier sitzt in der Nationalversammlung, während Frankreichs Minderheitsregierung möglicherweise in den letzten Zügen liegt, da die Abgeordneten der Opposition diese Woche ein Misstrauensvotum anstreben. © dpa | Michel Euler

Und so geschah es denn auch. Le Pen zerzauste Barniers Sparprogramm im Umfang von 60 Milliarden Euro in den letzten Wochen Stück um Stück. Zuerst musste er den geplanten Aufschub des Teuerungsausgleich für Renten aufschieben. Dann nahm er wie von Le Pen verlangt auch die Stromsteuer zurück. Am Montag tanzte Barnier ein letztes Mal nach Le Pens Pfeife, indem er eine geplante Einsparung bei der Rückerstattung von Medikamenten fallenließ. Kostenpunkt all dieser Konzessionen: Zehn Milliarden Euro. Für Le Pen ist das nicht genug. Sie will sich weiterhin nicht festlegen, ob sie die Regierung zu Fall bringen wird, um den Druck auf Barnier und dessen Vorgesetzten Emmanuel Macron aufrechtzuerhalten und die Nationalversammlung zu dominieren.

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Reichlich gedemütigt durch Le Pen hat Barnier am Montag vor der Nationalversammlung klargemacht, dass er sich nicht länger nach der Rechten richten will. Er kann auch nicht – denn in Paris zeichnen sich bereits erste ökonomische Folgen der heraufziehenden Regierungskrise ab. Für Zehnjahres-Anleihen musste Frankreichs Schatzamt am Montag fast drei Prozent Zinsen zahlen. Selbst Griechenland, dessen Namen untrennbar mit der Finanzkrise vor zehn Jahren verknüpft ist, erhält günstiger Kredit.

Als Grund nennen Finanzexperten die unsichere politische Lage Frankreichs. Und konkret die Unfähigkeit der Minderheitsregierung, die ausufernden Staatsfinanzen wie versprochen in den Griff zu kriegen. Die Staatschuld ist seit Macrons Amtsantritt 2017 um tausend Milliarden Euro auf heute fast 3300 Milliarden geklettert, wie Liberale und die Linke in Paris unisono rügen. Es ist nominell der höchste Fehlbetrag der Eurozone, auch wenn Italien und Griechenland prozentual noch höher verschuldet sind als Frankreich.

Barnier hat es aber auch nicht geschafft, das Budgetdefizit zu senken; es wird in diesem Jahr bei 6,2 Prozent liegen, doppelt so hoch wie von der EU vorgeschrieben. Der von Barnier versprochene Rückgang auf fünf Prozent im Jahr 2025 steht noch in den Sternen. Der Vorsteher des französischen Rechnungshofes, der Sozialist Pierre Moscovici, meinte am Montag mit Blick auf die fälligen Schuldzinsen und das Budgetdefizit: „Unsere Finanzlage ist gefährlich.“ Auch der häufig als Maßstab verwendete „Spread“, der Zinsabstand zwischen Frankreich und Deutschland – dessen Staatsschuld und Haushaltdefizit halb so hoch sind wie in Paris - wächst stetig; derzeit liegt er bei 0,9 Prozent.