Berlin/Karlsruhe. Wenn Rückführungen scheitern, dann gerne an überlasteten Behörden. Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick in den Süden der Republik.
Diese Recherche beginnt mit einem Scheitern. Genau genommen, mit sehr vielen Absagen. Gerne hätte man als Reporter einen Tag, oder wenigstens ein paar Stunden, in einer Ausländerbehörde verbracht. Beobachtet, wie die Mitarbeitenden die Fälle von abgelehnten Asylsuchenden bearbeiten, wie sie Abschiebungen gemeinsam mit der Polizei koordinieren. Doch dieser Einblick in den Maschinenraum der deutschen Asylpolitik bleibt verschlossen.
Die Absagen der Behörden lauten fast immer gleich: Das Amt sei überlastet, „zeitliche Kapazitäten in der Zuwanderungsbehörde nicht vorhanden“, wie eine Sprecherin im Kreis Pinneberg bei Hamburg mitteilt. Aus Verden in Niedersachsen heißt es, „das Team der Ausländerbehörde sieht sich auf Grund der dünnen Personaldecke nicht in der Lage, an diesem Projekt mitzuwirken“. Ähnlich antworten auch Großstädte wie München und Frankfurt. Aus Hildesheim heißt es, dass sich „leider niemand bereit erklärt hat, sich von Journalisten über die Schulter blicken zu lassen“. Das wolle man respektieren.
Zu wenig Personal, zu wenig Zeit – und kein Interesse an Öffentlichkeit. Das ist das Bild einer Behörde, die nur selten im Fokus der Schlagzeilen steht. Und die doch entscheidend ist, wenn aus den Forderungen der Politik beim Thema Asyl tatsächlich Folgen wachsen sollen. Ausländerbehörden sind das Nadelöhr der Migrationspolitik, sie erteilen die Aufenthaltstitel – oder ordnen die Abschiebung an. Die Mitarbeitenden müssen das umsetzen, was sich die Regierungen in ihren Gesetzespaketen ausdenken.
Noch-Kanzler Olaf Scholz forderte Abschiebungen „im großen Stil“, andere sprechen von einer „Abschiebe-Offensive“. Tatsächlich steigen die Rückführungen abgelehnter Asylsuchender in Heimatländer. Doch seit Jahren scheitert eine Vielzahl auch. Mehr als 40.000 Menschen sind „unmittelbar Ausreisepflichtige“. Allein Überstellungen in ein anderes EU-Land schlugen 2023 in mehr als 22.000 Fällen fehl. Knapp 8000 Mal versagte der andere Staat die Übernahme, in 3044 Fällen scheiterte eine Rückführung aber auch an der „Untätigkeit“ der Ausländerbehörde, wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion schreibt.
Überhitzter Maschinenraum: Ein Mitarbeiter ist für mehrere Tausend Fälle verantwortlich
Unsere Redaktion hakt nach bei den Behörden, die einen Besuch vor Ort abgelehnt hatten. Manche der Antworten lassen erkennen, dass der Maschinenraum der Asylpolitik mächtig überhitzt ist. Der Landkreis Rotenburg schreibt, dass eine Vollzeitkraft rund 1000 Fälle bearbeitet. In Frankfurt sind es sogar 1600. In Lüneburg sind 30 Angestellte für 18.000 Ausländer zuständig, in Hildesheim 23 für 14.194. Die Sachbearbeitenden in Pinneberg jeweils für 1.500 bis 3.500 Fälle. Das sind die offiziellen Angaben. Wer mit Fachleuten vor Ort in den Amtsleitungen spricht, hört auch schon von Behörden, in denen ein Mitarbeiter für mehr als 10.000 Fälle verantwortlich ist.
Die Fallzahlen variieren je nach Aufgaben. Die To-Do-Listen der Angestellten ist lang: Sie erteilen, verlängern, versagen Aufenthaltstitel. Das ist das Kerngeschäft. Dazu kommt: Passbeschaffung, Ausreisevorbereitungen, Festnahmen und Erstellung von Haftanträgen, Betreuung unbegleiteter Minderjähriger, Überwachung von Straftätern.
Hochbetrieb im Maschinenraum – und gleichzeitig fehlen Mechaniker. Und Stellen, die dringend helfen sollen, bleiben unbesetzt. In Rotenburg und Frankfurt sind es sechs, in Lüneburg fünf. In Hannover ist es jede zehnte Stelle.
Aus den Gesprächen für die Recherche werden die Probleme deutlich: Die Ausländerbehörden müssen ständig die Fälle sortieren. Welcher Ausländer muss schnell raus aus Deutschland, weil er gefährlich ist? Wo bleibt mehr Zeit? Wo laufen Fristen ab? Wo laufen Klagen? Die Angestellten müssen den Überblick behalten – und dass bei mehreren Tausend Fällen zeitgleich.
Zudem dauert es oft Monate, bis neue Mitarbeitende in der Ausländerbehörde eingearbeitet sind. Denn das Ausländerrecht ist hochkomplex, Gesetze ändern sich schnell, im Aufenthaltsrecht, im Asylrecht. FreizügG/EU, AufenthV, AKNV, AsylBLG, StAG – all das sind Abkürzungen der Konvolute des Rechtsstaats, mit denen die Ausländerbehörden täglich arbeiten müssen.
Mal fehlen Passpapiere des Ausländers, mal sagt die Bundespolizei einen Charter-Flieger ab, mal stellt das Heimatland Bedingungen an die Auslieferung, mal taucht ein Ausländer unter – all das sind Gründe, warum Abschiebungen scheitern.
„Sie können Rückführungen nicht planen wie Bahnfahrten“, sagt Manfred Garhöfer im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Abteilungspräsident, Abteilung 8, Regierungspräsidium Karlsruhe. Auch er sagt: „Bei ungefähr 2300 Abschiebungen bisher im Jahr 2024 können Sie von circa 5000 Versuchen ausgehen.“
Und doch sind es Garhöfer und sein Team, auf das Fachleute in Deutschland blicken, wenn sie nach Vorbildern suchen, wie die Behörden Abschiebungen organisieren können. Rund 250 Personen arbeiten an Rückführungen, organisieren Passpapiere, Chartermaschinen, nehmen Kontakt zu Botschaften und Konsulaten auf.
„Sonderstab gefährliche Ausländer“: Baden-Württemberg zentralisiert Abschiebungen
Abschiebungen sind Ländersache – aber am Ende landen sie in der Regel den Behörden in den Kommunen. Anders in Baden-Württemberg. Da arbeitet Garhöfers Abteilung alle Fälle zentral ab, Mitarbeitende seien „seit vielen Jahren spezialisiert“, sagt er. Die Vorteile gehen aber noch weiter: Ob in Mannheim oder in Konstanz – die Sachbearbeitung läuft immer gleich. Das schafft Verlässlichkeit, etwa bei der Landespolizei, die bei den Flügen hilft. Vier Sonderstäbe bei den Regierungspräsidien und ein „Sonderstab gefährliche Ausländer“ beim Justizministerium kümmern sich um heikle Fälle, dabei können sie auch Handydaten der Asylsuchenden auswerten.
Für Garhöfers Leute kommt es auch auf Schnelligkeit an. Er erzählt einen Fall aus dem Jahr 2016, in Freitagabend im Juli, als in der Türkei das Militär gegen Präsident Erdogan putschte. Baden-Württemberg hatte für den Samstag Abschiebeflüge geplant. „Innerhalb einer Stunde waren alle Polizeiaufträge storniert.“ Das hätte nicht geklappt, wenn zehn Ausländerbehörden im ganzen Bundesland an der Organisation beteiligt gewesen wären, sagt Garhöfer.
Abschiebungen sind hart, für die beteiligten Polizisten, vor allem aber für die Betroffenen. Oftmals schiebt der Staat Familien ab, weil sie nicht untertauchen können wie einzelne junge Männer. Oft schicken Behörden Menschen zurück, die längst in Ausbildung oder Arbeit sind, weil die Polizei einfach morgens vor der Firma auf sie warten muss.
Zugleich sorgen besonders brisante Fälle oft monatelang für Arbeit in den Ausländerbehörden, weil die Botschaften nicht mit den Passersatzpapieren rausrücken. Weil das Heimatland nur mittwochs Charterflüge ankommen lässt, und dann auch nur mit drei Personen an Bord. Weil ein Straftäter einfach abtaucht, wenn er den Abschiebebehörden entwischen will.
Auch Versäumnisse der Ausländerbehörde hatten in Solingen fatale Folgen
So war es auch im Februar in Solingen. Die zuständige Ausländerbehörde hatte den Syrer Issa al-H. nicht in seiner Asylunterkunft angetroffen. Mit dem Fall befasst war nicht nur das Heim in Solingen, sondern auch Behörden in Bielefeld und Paderborn sowie einzelne Polizeidienststellen.
Wer was versäumt hat, arbeitet bald ein Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen auf. Denn der Syrer, der eigentlich abgeschoben werden sollte, schlug Ende August dieses Jahres zu, mit einem Messer tötete er auf dem Stadtfest in Solingen drei Menschen.
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