Wiesbaden. Franziska Brantner und Felix Banaszak bilden die neue Parteispitze der Grünen – und geben ihre Mission vor: „Make Green Great Again“.
Ricarda Lang hält durch bis kurz vor dem Schluss. Gefasst sitzt sie in der ersten Reihe des Grünen-Parteitags, lächelt, während auf der Bühne Klimaaktivistin Luisa Neubauer eine lange, lobende Rede zu Langs Abschied von der Parteispitze hält. Erst als Neubauer zum Schluss kommt und den Grünen rät, „mehr Ricarda“ zu wagen, da kommen doch die Tränen. Lang tupft sie sich aus dem Gesicht, Außenministerin Annalena Baerbock legt den Arm um die 30-Jährige, bevor die scheidende Parteichefin selbst auf die Bühne tritt.
Lang hat der Halle zum Abschied ein paar Lektionen mitgebracht. Eine Analyse der Dinge, an denen sie in ihren knapp drei Jahren als Parteichefin „vielleicht am meisten gescheitert“ sei, und aus denen die Partei jetzt lernen solle.
„Wir Grünen können uns das mit der Mitte der Gesellschaft in die Haare schmieren, solange wir als Elitenprojekt wahrgenommen werden““
Da ist zum einen die Frage nach der klaren Sprache: Sie habe sich zum Teil selbst nur noch die Hälfte von dem geglaubt, was sie gesagt habe, erinnert sich Ricarda Lang an einige Interviews in ihrer Amtszeit. Sie wisse nicht, wie andere ihr da glauben sollten. Gerade beim Klimaschutz müsse klar über die Verteilung der Kosten gesprochen werden. „Wir Grünen können uns das mit der Mitte der Gesellschaft in die Haare schmieren, solange wir als Elitenprojekt wahrgenommen werden“, mahnte Lang ihre Partei.
Grünen-Parteitag: Ein neuer Vorstand für eine „neue Dynamik“?
Zum anderen müssten die Grünen bei aller Kompromissbereitschaft klar sein in ihren Positionen. „Wer bereit sein will, über seinen Schatten zu springen, der muss überhaupt noch wissen, wo sein Schatten liegt“. Sie selbst und vielleicht auch die Partei hätten so viel Zeit damit verbracht zu beweisen, wer sie nicht seien, dass sie sich darüber manchmal selbst verloren hätten.
Lang und ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour – und mit ihnen der gesamte Bundesvorstand der Grünen – waren im September zurückgetreten, nachdem die Partei bei Landtagswahlen miserable Ergebnisse eingefahren hatte, und das nicht zum ersten Mal. Man wolle einen Neustart ermöglichen, sagten die beiden damals, der Partei eine Gelegenheit geben, eine „neue Dynamik“ zu entfachen.
Dieser Neustart hat Namen: Franziska Brantner und Felix Banaszak, die am Samstag wie erwartet als neue Parteivorsitzende gewählt wurden. Beide rückten in ihren Bewerbungsreden vor allem das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt.
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„Das Leben muss wieder besser werden“, sagte Franziska Brantner, „und das heißt auch, es muss gerecht und bezahlbar sein.“ Die Miete müsse bezahlbar sein, der Strom ebenso. Und die Grünen ließen sich auch nicht vorwerfen, eine Partei der Besserverdienenden zu sein – „schon gar nicht von einer pseudosozialistischen Spitzenverdienerin Sahra Wagenknecht“. Von rund 800 Delegierten bekam sie dafür warmen, wenn auch nicht begeisterten Applaus, und – bei einer Gegenkandidatin – 78,15 Prozent der Stimmen.
Mit Brantner steht nun eine Politikerin an der Spitze der Grünen, die die Partei gut kennt und seit Jahren im Hintergrund mitgeprägt hat. Die Bundestagsabgeordnete aus Heidelberg saß für die Grünen schon im Europäischen Parlament. Seit 2021 ist sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, kümmerte sich dort unter anderem die Beschaffung von Rohstoffen und arbeitete an internationalen Handelsabkommen. Den Posten im Ministerium wird sie als Parteivorsitzende aber aufgeben. Ebenso wie Wirtschaftsminister Robert Habeck gehört Brantner dem Realo-Flügel an.
Der linke Flügel der Partei ist künftig mit Felix Banaszak in der Parteispitze vertreten. Dieser Hintergrund war auch der Rede des 35-Jährigen anzumerken, der sich den Delegierten als „Kind des Ruhrgebiets“ vorgestellt hatte. „Ich will mich nicht damit abfinden, dass in einem reichen Land so viele Kinder in Armut groß werden und so viele Rentnerinnen und Rentner ihr Leben in Armut zu Ende bringen“, sagte Banaszak. Und er könne auch nicht akzeptieren, dass über Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in Deutschland nur noch als Problem gesprochen werde.
Gleichzeitig schlug der Wirtschaftspolitiker einen optimistischen Ton an: Die Partei solle eine „Kraft der Zuversicht“ sein, forderte er. Damit und mit Anspielungen auf Rio Reiser („Wir wollen alles und noch viel mehr“) holte Banaszak 92,88 Prozent Zustimmung.
Brantners Mission: „Make Green Great Again“
Neben Brantner und Banaszak wurden Manuela Rottmann und Sven Giegold neu in den Bundesvorstand gewählt, Pegah Edalatian und Heiko Knopf sind erneut Teil des Führungsgremiums der Partei.
Die neue Parteispitze erbt eine schwierige Ausgangssituation. Lang und Nouripour waren zurückgetreten, um ein Signal zu setzen, dass die Grünen nach zahlreichen Wahl-Niederlagen nicht einfach weiter machen würden. Ihr Abgang war auch eine Gelegenheit, aus den immer ähnlichen negativen Schlagzeilen herauszukommen. Von „Budenzauber“ sprechen daher manche in Wiesbaden.
Die Aufgabe, die vor den beiden neuen Parteivorsitzenden und dem gesamten neuen Bundesvorstand liegt, ist groß: In weniger als 100 Tagen bis zur Bundestagswahl müssen sie die Zustimmungswerte der Partei von ihrem derzeit niedrigen Niveau von 10 bis 12 nach oben bringen, wenn die Grünen – wie angekündigt – in die Nähe des Kanzleramts oder wenigstens einer Regierungsbeteiligung kommen wollen.
In Wiesbaden zeigt sich die Partei allerdings optimistisch und gut gelaunt – geradezu, als wäre nicht erst vor wenigen Tagen eine Regierung zerbrochen, der die Grünen angehört hatten. Und in Anlehnung an einen, der gerade erst eine Wahl gewonnen hat, gab Franziska Brantner ein Motto aus: „Make Green Great Again“.
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