Berlin. Eine neue, mächtige Gruppe Krimineller breitet sich aus. Wer steckt hinter der Organisation, die den Ursprung in den Niederlanden hat?

Ein Mann liegt auf dem Fußboden, gefesselt, nackt. Neben seinem Kopf: eine Spur aus Blut. Eine Frau sitzt auf einem Stuhl, auch sie gefesselt und halbnackt. Es sind Folterszenen, die sogar hart gesottene Ermittler schockieren. Aufgenommen im Keller eines beschaulichen, aber doch opulenten Anwesens im Kölner Bezirk Rodenkirchen.

Mehrere Tage halten die Täter die beiden offenbar dort fest, misshandeln sie. Die Polizei kommt den mutmaßlichen Folterern auf die Spur, ein Spezialeinsatzkommando stürmt das Haus, das erst kurze Zeit zuvor angemietet worden war. Sie nehmen mehrere Geiselnehmer fest.

Wieder Drogenmafia? Erneute Explosion in Köln

weitere Videos

    Ein Ermittler bestätigt unserer Redaktion die Echtheit des Videos. Seit dem Vorfall wächst bei der Polizei eine Sorge: Es sind die möglichen Verbindungen des Falls in die Niederlande. Zu einer Organisation, die ein Nimbus des Brutalo-Kriminellen aufbaut. Denn auch das gehört zum Geschäft der Banden, die Imagepflege. Es geht um die sogenannte „Mocro-Mafia“.

    Die Geiselnahme in Köln, so die Strafverfolger, könnte eine Racheaktion im Drogenmilieu gewesen sein. Als Vergeltung für ausgebliebene Zahlungen für eine Lieferung von Rauschgift mussten der Mann und die Frau offenbar leiden.

    Explosion auf den Kölner Ringen
    Großeinsatz der Polizei Köln: Im September kommt es zu einer Explosion in einer Passage neben dem Nachtclub Club Vanity. © action press | Christoph Hardt

    Es ist nicht der einzige Fall von Gewalt: Im Juni verüben Täter einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in der Kölner Keupstraße. Kurz darauf explodieren erneut kleine Sprengsätze ganz in der Nähe des Tatorts. Im Juli dann ein Angriff auf ein Haus in Engelskirchen, östlich von Köln. In dieser Zeit entdecken Ermittler auch die Folter-Aktion in dem Kölner Keller. Es folgen weitere schwere Sachbeschädigungen und Drohungen in den Wochen danach, darunter ein Anschlag mit explosivem Stoff in Duisburg und Schüsse auf ein Wohnhaus in Solingen.

    „Mocro-Mafia“: Der Begriff geht auf das niederländische Slangwort für Marokkaner zurück

    Unklar ist, wie stark die Gewalt auf das Konto lokaler krimineller Banden in Köln geht. Und wie stark Gruppierungen der „Mocro-Mafia“ Einfluss nehmen. Erweitern die Kriminellen aus dem Nachbarland ihr Gebiet für kriminelle Operationen?

    Was die Ermittler erkennen, sind Verbindungen der Täter in die Niederlande. Deutschlands Nachbar erlebt bereits seit Jahren eine Welle enthemmter Gewalt durch Mitglieder von Drogenbanden. Im Februar dieses Jahres endete dort ein Mammutprozess. Hauptangeklagter: Ridouan T. – der Drogenbaron soll Drahtzieher mehrerer Auftragsmorde sein. T. wurde im marokkanischen Tétouan geboren, kam als Kind mit seinen Eltern in die Niederlande – und stieg auf zum Chef einer Gruppe, die in der Szene als „Angels of Death“ bekannt war. Die Todesengel. Ermittler zählen sie zu Strukturen der „Mocro-Mafia“.

    Der Begriff ist umstritten, er geht auf das niederländische Slangwort für Marokkaner zurück. Zu den „Mocros“, so jedenfalls war das lange, gehören Menschen aus nordafrikanischen Einwandererfamilien. Mittlerweile arbeiten für die Gruppierungen aber längst auch Syrer, Iraker, Eritreer und Niederländer.

    Mehr Kokain, mehr Tote: Deutschland im Drogenbericht

    weitere Videos

      Was sie eint, ist weniger ihre Herkunft als die enthemmte Gewalt. Am Rande des Prozesses gegen Mafia-Boss T. wurde der Bruder des Kronzeugen ermordet, auch dessen Anwalt. Opfer der Mafia wurde auch ein landesweiter bekannter Journalist. Sogar der frühere Ministerpräsident Mark Rutte soll ins Visier der Kriminellen geraten sein, so will es ein anderer Zeuge im Prozess wissen. Bei der Urteilsverkündung sagte der Richter, Haupttäter T. habe Angst und Terror gesät und eine Welt geschaffen, „in der ein Menschenleben nichts wert ist“.

      Nun ist Gewalt im Drogenmilieu nicht ungewöhnlich. Was den Ermittlern bei der Anschlagsserie in Nordrhein-Westfalen jedoch auffällt, ist die Hartnäckigkeit, mit der die Täter vorgehen. Das planmäßige Vorgehen. Und die Brutalität. Ein Beamter erzählt aus abgehörten Gesprächen, aus denen hervorgeht, wie Opfer nicht nur einmal aufgesucht werden, sondern drei oder vier Mal. „Die lass ich jetzt lutschen.“ So soll das im Szene-Slang heißen, jemanden unter „Dauerstress“ setzen, bis er tut, was man von ihm will.

      Immer wieder stellen die Sicherheitsbehörden illegale Kokain-Lieferungen fest: Oftmals sind es Tonnen.
      Immer wieder stellen die Sicherheitsbehörden illegale Kokain-Lieferungen fest: Oftmals sind es Tonnen. © dpa | Marcus Brandt

      Bei der Anschlagsserien in Köln, Duisburg und Solingen wird nach Einschätzung von Strafverfolgern auch deutlich, wie gezielt und professionell die Täter vorgehen. „Die arbeiten so wie wir, die observieren ihre Zielpersonen“, sagt ein Ermittler. Und dann schlagen sie im richtigen Moment zu. Bevor die Polizei zugreifen kann, sind sie über die Grenze geflohen. So soll es auch bei einem Teil der Täter gewesen sein, die das Paar im Keller gefoltert haben. Sie setzten sich Richtung Niederlande ab.

      Was den Behörden bei Tätergruppierungen, die mutmaßlich der „Mocro-Mafia“ zugerechnet werden, noch auffällt, ist vor allem das junge Alter der Tatverdächtigen. Gerade erst nahmen Ermittler einen Drogendealer in Paris fest. Er soll aus Köln stammen, eine führende Figur der organisierten Kriminalität sein. Mit gerade einmal 22 Jahren. Andere Festgenommene sind noch Teenager oder Anfang 20. Das ist selbst für erfahrene Kriminalbeamte neu: mit Anfang 20 eine große kriminelle und international agierende Bande anführen.

      Aufgefallen sind Täter schon vor Jahren, als die Kriminellen Geldautomaten sprengten

      Die Sicherheitsbehörden im Westen Deutschlands sind deshalb nervös, weil etwas eingetreten sein könnte, das sie eigentlich verhindern wollten: Täter aus den Niederlanden erweitern ihr Geschäft nach Deutschland. Aufgefallen ist das schon vor Jahren, als die Kriminellen Geldautomaten sprengten und wieder über die Grenze verschwanden. Nun geht es an ein Kerngeschäft der Organisierten Kriminalität: die Drogen. Und Polizeigewerkschaften befürchten, dass durch eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland der Markt auch für die illegale Ware wachsen wird – weil nicht ausreichend legal produziert wird, um die Nachfrage zu decken. Belege für diesen Zusammenhang gibt es allerdings bisher nicht, denn ein legaler Cannabismarkt ist in Deutschland kaum etabliert.

      Dennoch: Die Sicherheitsbehörden erleben mit Sorgen die Dynamik in der Dunkelwelt der Drogenkartelle. Kokain überschwemmt die europäischen Märkte. Die Mafia-Gruppen umkämpfen mit harten Mitteln ihre Geschäftszweige. Mit illegalem Kokain-Handel ist auch die „Mocro-Mafia“ mächtig geworden.

      Im Windschatten der großen Mafia-Organisationen formieren sich seit einigen Jahren immer mehr einzelne Dealer, die Fachleute am ehesten als kriminelle Kleinunternehmer beschreiben. Sie erwirtschaften sich mit Aufträgen für potente Banden ihr „Startkapital“ – und steigen dann selbst ins Drogengeschäft ein. Zugleich aber schließen sie sich nicht einer Mafia-Organisation an, sondern wechseln – je nach Angebot – die Auftraggeber. Kriminalität als „Dienstleistungsbranche“ – auf der Straße und im Internet.

      Die Täter steigen schnell auf, machen nicht selten enormen Umsatz – ohne jahrelang mühsam und gewaltvoll in der Hierarchie einer Gruppe aufsteigen zu müssen. Doch nicht immer geht das gut. In Solingen stirbt ein Niederländer. Er bastelte an einem Sprengsatz, der offenbar einem Wettbüro galt. Doch die Ladung detonierte zu früh. Der Junge war gerade 17 Jahre alt.