Berlin/Washington. Rechte Kreise in den USA berufen sich auf den berühmten Hitler-Gegner. Dessen Familie richtet jetzt einen flammenden Appell an die US-Wähler.
Donald Trump verkauft zwar in China hergestellte Billig-Bibeln. Aber es ist mit einiger Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat jemals etwas Ausführliches über den deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer gehört hat. Bei Mike Pence, Ex-Vize-Präsident, und Richard Grenell, Ex-US-Botschafter in Deutschland, und vielen Trump-nahen Evangelikalen ist das anders.
Hier ist der Pfarrer und NS-Widerstandskämpfer, der auf Geheiß von Adolf Hitler 1945, wenige Tage vor Kriegsende, im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde, ein Idol, aus dessen Biografie man sich in Kreisen rechts der politischen Mitte in den USA seit Langem bedient. Etwa, um die politische Gewalt zu legitimieren, die Trump-Anhänger am 6. Januar 2021 beim Sturm aufs Kapitol in Washington verübt haben.
Knapp 100 Nachfahren von Bonhoeffers Geschwistern wenden sich nun in einem auch in den USA zirkulierenden offenen Brief, der dieser Redaktion vorliegt, mit klaren Worten gegen die versuchte Vereinnahmung. Darin heißt es unter anderem: „Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird. Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen und von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: Er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund.“
Der komplette Brief der Bonhoeffer-Familie: Nachkommen: Rechtsextreme können sich nicht auf Bonhoeffer berufen
Die Aktion, die von einem in der Sache ähnlich lautenden Appell internationaler Bonhoeffer-Experten flankiert wird, den auch die ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm und Wolfgang Huber unterzeichnet haben, richtet sich konkret gegen den in rechts-religiösen US-Kreisen bekannten Trump-Unterstützer Eric Metaxas. Der Autor hatte bereits vor über zehn Jahren eine populär gewordene Bonhoeffer-Biografie geschrieben.
Dietrich Bonhoeffer zählt zu den weltweit bekanntesten Theologen deutscher Sprache. In den Vereinigten Staaten, die er 1930/1931 sowie 1939 besuchte und wo er insbesondere New Yorks Schwarzen-Mekka Harlem und die Abyssinian Baptist Church schätzen lernte, ist seine Wirkung bis heute enorm.
Metaxas zieht gegen alle geschichtlichen Fakten eine gerade Linie von Bonhoeffers Widerstand gegen das national-sozialistische Unrechtsregime zum Kampf christlicher Nationalisten in den USA, die etwa gegen eine als zu liberal empfundene Abtreibungspolitik aufbegehren. Metaxas stellt häufig US-Präsident Joe Biden auf eine Stufe mit Adolf Hitler. Auf Fotos von Metaxas mit einer Pistole auf der Bibel heißt es: „Jetzt können wir endlich klar erkennen, dass Biden unser Hitler ist. 1933-34. Siehe mein Bonhoeffer-Buch für Details. Die Parallelen sind atemberaubend und werden immer offensichtlicher. Betet für diese Nation. Betet.“ Dazu die Bonhoeffer-Nachkommen: „Wer sich auf Dietrich Bonhoeffer für die Rechtfertigung antidemokratischer, fremdenfeindlicher Bestrebungen beruft, ist falsch informiert oder böswillig.“
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Dass die versuchte Aneignung Bonhoeffers in den Vereinigten Staaten Konjunktur hat, zeigen auch zwei weitere Details. Im 900 Seiten starken Masterplan der konservativen Heritage-Stiftung für eine zweite Trump-Amtszeit – bekannt unter dem Titel „Project 2025“ – wird Bonhoeffer bereits im Vorwort missbräuchlich mit seiner theologischen Ideen der „billigen Gnade“ zitiert, um den Schutz von Asylsuchenden und die Angst um die Umwelt in Verruf zu bringen.
In den kommenden Wochen und Monaten, so der Aufruf der Bonhoeffer-Experten, würden Bonhoeffers Worte und sein Zeugnis benutzt, um die eine Seite gegen die andere auszuspielen, um das „Böse“ zu bekämpfen, um Amerika an die erste Stelle zu setzen und um Gewalt zu rechtfertigen.
Unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl kommt zudem der Film „Bonhoeffer: Pastor, Agent, Attentäter“ in die US-Kinos. Ein Streifen, der Munition bietet im Kulturkampf der religiösen Rechten gegen die Demokraten um Joe Biden und Kamala Harris. Die Methode: Trump-Unterstützer und gewaltbereite Christen setzen politische Gegner mit Nazi-Verbrechern gleich und stellen ihren Kampf gegen die liberalen Eliten in Washington auf eine Stufe mit dem Widerstand gegen Hitlers Schreckensherrschaft.
Die Nachfahren von Bonhoeffers Geschwistern erkennen in dem Vorgehen eine nicht tolerierbare Gleichsetzung, die einem „brandgefährlichen Narrativ“ gleichkomme. So stellen die Filmproduzenten der „Angel Studios“ eine Verbindung von Bonhoeffers Tyrannenkampf zur politischen Gegenwart in den USA her: „Der Film wirft die Frage auf, wie weit Sie gehen würden, um für das Richtige einzutreten“, heißt in einem Werbespot. Dazu wird ein Bild veröffentlicht, in dem Dietrich Bonhoeffer eine Pistole in der Hand hält.
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Über 85 der 100 noch lebenden erwachsenen Nachkommen von Dietrich Bonhoeffers Geschwistern stellen dazu fest: „Dietrich Bonhoeffer hat zeit seines Lebens gegen einen Geist der Enge, der Unfreiheit und der Ausgrenzung gekämpft. Dass die heutigen Feinde der Freiheit Bonhoeffers Leben und Werk instrumentalisieren, um ihre Positionen zu rechtfertigen, ist an Zynismus nicht zu überbieten.“
Überzeugen werde man diese Demagogen nicht, heißt es in dem Aufruf. „Aber insbesondere den amerikanischen Wählern rufen wir zu: Lasst Euch nicht irreführen, schaut Euch die Geschichte genau an, nur gemeinsam und im Geist der Freiheit und Nächstenliebe werden wir unsere Probleme lösen. Genau dafür steht Dietrich Bonhoeffer.”
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