Berlin. Die Bilanz des EU-Erweiterungsprozesses ist bitter. Berlin und Brüssel müssen Konsequenzen ziehen. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit.

Das ist kein Ruhmesblatt für Europa: Seit 20 Jahren stellt die Europäische Union den sechs Westbalkan-Staaten eine Mitgliedschaft in Aussicht, seit 10 Jahren versucht Deutschland, die Annäherung durch einen „Berlin-Prozess“ zu beschleunigen. Beim Jubiläumsgipfel in Berlin feierte Kanzler Scholz zwar kleine Erfolgsmeldungen. Doch können neue Aktionspläne nicht über die bittere Bilanz hinwegtäuschen: Abgesehen vom Mini-Staat Montenegro, der etwa so viele Einwohner wie Düsseldorf hat, ist für den historisch zerrütteten Westbalkan eine EU-Mitgliedschaft überhaupt nicht in Sicht.

Die Beitrittsverhandlungen stagnieren, der Nationalismus blüht in der Region, die Konflikte nehmen an Schärfe wieder zu, die EU-Skepsis der Bürger wächst. Besorgniserregend ist die Lage vor allem in Serbien, dem größten und wichtigsten Beitrittskandidaten: Präsident Vucic betreibt eine zynische Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland, er macht bei den westlichen Sanktionen nicht mit, fördert eine antiwestliche Stimmung und heizt regionale Konflikte an, etwa im nördlichen Kosovo. Nur etwas mehr als ein Drittel der Serben würden eine EU-Mitgliedschaft begrüßen.

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Christian Kerl, EU-Korrespondent © FMG | FMG

Die EU ist gut beraten, aus solchen Rückschlägen endlich Konsequenzen zu ziehen. Die Idee, dass die Mitgliedsperspektive die eingeladenen Länder unwiderruflich auf den Pfad von korruptionsfreier Rechtsstaatlichkeit, funktionierender Demokratie, westlichen Werten bringen würde, hat sich überholt. So wichtig es ist, den südöstlichen Rand Europas einzubinden und nicht dem Einfluss feindlicher Mächte wie China und Russland zu überlassen – mit dieser Erweiterung droht der EU großer Schaden.

Es wird Zeit, dass beide Seiten mit offenen Karten spielen. Statt weiter am Luftschloss einer zügigen Vollmitgliedschaft zu bauen, müssen realistische Alternativen entwickelt werden: Den Balkanstaaten sollte besser eine privilegierte Partnerschaft in Aussicht gestellt werden mit der Teilnahme am gemeinsamen Markt, aber ohne Stimmrecht und volle politische Teilhabe in der EU. Davon hätten beide Seiten etwas. Das Festhalten an einem Erweiterungsprozess, der auch nach Jahrzehnten ohne Erfolg bleibt, produziert nur Enttäuschung und schadet der Glaubwürdigkeit der EU.