Paris. John Bolton war Donald Trumps Sicherheitsberater. Im Interview erzählt er, wie der russische Machthaber über den Republikaner denkt.

John Bolton (76) war von April 2018 bis September 2019 Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump. Nach gut einem Jahr in seinen Diensten trat der konservative Politiker und Diplomat aus Baltimore spektakulär von seinem Posten zurück. In dem Buch „The Room Where It Happened“ („Der Raum, in dem alles geschah“) beschrieb er später den amateurhaften, unberechenbaren Umgang seines Vorgesetzten mit internationalen Themen von größter Tragweite. Früher den Neokonservativen zugerechnet, vertritt Bolton heute eine klassisch republikanische Linie im Stil von George W. Bush, für den er von 2005 bis 2006 UN-Botschafter gewesen war.

Sie arbeiteten 2018 und 2019 eng mit US-Präsident Donald Trump zusammen und bestimmten seine außenpolitischen Entscheidungen mit. Das endete nicht gut. Warum?

John Bolton: Als ich den Posten des Nationalen Sicherheitsberaters annahm, glaubte ich, dass sich Trump durch das Gewicht seiner Verantwortung und die Schwere der Entscheidungen disziplinieren würde. So wie jeder andere amerikanische Präsident lernen musste, dass nationale Sicherheit ein durchdachtes Vorgehen erfordert. Mir wurde aber recht schnell klar, dass es Trump ziemlich egal war, etwas zu lernen. Er glaubte, dass es genügte, gute persönliche Beziehungen zu Amtskollegen wie Wladimir Putin zu pflegen. Dann, so bildete er sich ein, wären auch die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gut. Trump dachte nicht in politischen Dimensionen, sondern stellte nur eine Frage: Kommt es Trump zugute? Deshalb habe ich im September 2019 meinen Rücktritt eingereicht.

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Was war der wichtigste Streitpunkt mit Trump?

Bolton: Da gab es viele. Ein Problem war der Umgang mit Nordkorea. Die USA liefen Gefahr, Kim Jong-un bezüglich des Nuklearproblems große Zugeständnisse zu machen. Denn Trump wollte unbedingt einen „Deal“, schließlich hat er ja ein Buch geschrieben: „The Art of the Deal“. Das zweite Problem war Afghanistan und das Abkommen mit den Taliban. Trump initiierte es und begann mit der Umsetzung; Biden setzte dann den Truppenabzug schlecht um.

Die USA erleben eine dramatische Wahlkampagne, mit Schießereien und einem Kandidatenwechsel. Wer profitiert?

Bolton: Ich glaube, das alles hilft eher Donald Trump. Er war in Pennsylvania buchstäblich nur einen Zentimeter davon entfernt, sein Leben zu verlieren. Zwischen Kennedys Ermordung 1963 und dem Anschlag auf Ronald Reagan 1981 hatte es eine Reihe von Angriffen gegeben. Gerald Ford wurde zweimal beschossen, George Wallace wurde angeschossen, Robert F. Kennedy wurde ermordet, Martin Luther King wurde ermordet. Es war eine gefährliche Zeit. Ich denke, die Leute sind jetzt zu Recht besorgt.

Nach dem Attentat schien es einige Tage, als würde Trump ernster, seriöser werden. Bald fiel er aber wieder in die alte, aggressive Rhetorik zurück. Warum?

Bolton: Man könnte denken, dass jemand, der nur knapp mit dem Leben davongekommen ist, sich selber reflektiert. Aber Trump ist nicht so. Ihn interessiert nur eins: Was nützt mir? Trump ist zutiefst überzeugt, dass er davon profitiert, wenn er sich als Opfer inszeniert, als Ziel von finsteren Mächten.

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    Sind die USA im Prinzip bereit für eine weibliche Präsidentin?

    Bolton: Das Geschlecht ist kein entscheidender Faktor. Schon 2016 waren die Leute bereit für eine Frau. Aber sie waren nicht bereit für Hillary Clinton, weil sie die nicht mochten.

    Sind sie bereit für Kamala Harris?

    Bolton: Schwer zu sagen. Diese Wahlkampagne ist beispiellos, weil Biden sehr spät zurückgetreten ist und Harris die Nominierung ohne einen innerparteilichen Wettbewerb erhielt. Was klar ist: Harris weckt nicht dieselbe Feindseligkeit und Abneigung wie Hillary.

    Obwohl es landesweit nicht unbedingt ein Vorteil ist, eine links stehende Kandidatin aus Kalifornien zu sein.

    Bolton: Ja, sie gilt als Vertreterin der „left coast“, wie die Westcoast oft genannt wird. In normalen Zeiten würde wahrscheinlich jeder andere Republikaner gegen Harris mit großem Vorsprung gewinnen. Aber Trump ist Trump. Deshalb ist die Wahl so knapp wie kaum eine davor.

    Was ist in dem Wahlkampf inhaltlich wichtiger, Migration oder Inflation? Betonen die Republikaner derzeit zu Recht das Thema Kaufkraftverlust?

    Bolton: Beide Themen spielen den Republikanern in die Karten. Aber das Thema Inflation trifft die meisten Amerikaner sehr hart. Die Demokraten sagen, die Inflationsrate sinke, aber die Leute sehen nur, dass die Preise langsamer steigen. Dafür geben sie Biden die Schuld. Seine fiskalische Stimulierung mit dem fälschlich benannten „Inflation Reduction Act“ hat die Teuerung angekurbelt.

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    Stimmt der Eindruck, dass Kamala Harris bei diesen zentralen Themen schwach bleibt?

    Bolton: Ja, sie hat diese Themen bisher nicht überzeugend beantwortet. Aber es könnte sein, dass dies keine Wahl zu Sachthemen ist, sondern zu Persönlichkeiten. Deshalb ist das Rennen völlig offen.

    Was ist das Wichtigste, das der nächste US-Präsident oder die Präsidentin tun sollte?

    Bolton: Die Defizite senken. Das ist enorm schwierig, weil die USA gleichzeitig ihr Verteidigungsbudget wieder auf Reagan-Niveau anheben müssen, also von zurzeit 3 Prozent auf 5 bis 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die schlechte Nachricht für Europa ist, dass auch diese Länder ihre Ausgaben verdoppeln müssten.

    Wegen Trump oder weil die Amerikaner generell nicht mehr für die Nato zahlen wollen?

    Bolton: Die Europäer müssen mehr in die Verteidigung investieren und mehr für sich selber schauen. Ich denke, es ist keine leere Drohung Trumps, aus der Nato auszutreten. Er meint es ernst. Ich war 2018 mit ihm auf dem Nato-Gipfel in Brüssel, und er war sehr nah dran, das zu tun.

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    Wie würde Trump mit dem Krieg in der Ukraine umgehen, falls er ins Weiße Haus zurückkehrt?

    Bolton: Auf einer Kundgebung hat er jüngst gesagt, dass die Russen in einem Krieg stets gewinnen – sie hätten ja auch die Nazis und Napoleon besiegt. Damit meinte er wohl, dass die Ukraine unweigerlich verlieren muss. Trump sagte auch, das Land sei zerstört und es würde hundert Jahre dauern, die Ukraine wieder aufzubauen. Ein Treffen mit Präsident Selenskyj lehnte er lange ab, weil dieser den Vorschlag von Trumps Vize JD Vance zur Beendigung des Krieges als zu radikal bezeichnet hatte.

    Gemäß diesem Vorschlag würde die Ukraine viel Territorium ­verlieren.

    Bolton: Ja, mit dem Vance-Plan, der in Wahrheit Trumps Plan ist, würden die Russen alle annektierten Gebiete behalten. Es gäbe eine demilitarisierte Zone, und die Ukraine würde der Nato fernbleiben. Das ist im Wesentlichen auch Putins Position. Ein Wahlsieg Trumps wäre eine sehr schlechte Nachricht für die Ukraine.

    Was führt Putin zurzeit im Schild?

    Bolton: Ich denke, er spielt nur noch auf Zeit. Er wartet ab, wie die US-Wahl ausgeht, und wenn Trump Präsident wird, ist er in einer sehr guten Position.

    Wie würden Sie Trumps Haltung gegenüber Putin umschreiben? Sympathie? Faszination?

    Bolton: Ich bin kein Psychologe, aber Trump bewundert offensichtlich autoritäre Führer wie Xi Jinping, Kim Jong-un und eben Putin. Er denkt, das seien „starke Kerle“, mit denen er sich gut verstehen würde. Bloß sehen diese Männer in Trump ein sehr leichtes Ziel.

    Im Nahen Osten müssen die USA zuschauen, wie die Spannungen kontinuierlich zunehmen. Wo liegt das Problem?

    Bolton: Das eigentliche Problem ist der Iran. Die Europäer wollen nicht sehen, dass die Produktion iranischer Atomwaffen nicht nur Israel bedroht, sondern auch Europa. Der Iran hat zwar keine Interkontinentalraketen, aber vielleicht mehr als tausend Mittelstreckenraketen, die international verboten sind. Und er baut mit terroristischen Stellvertretergruppen wie den Huthis im Jemen, der Hamas oder der Hisbollah im Libanon einen „Ring des Feuers“ auf. Dieser bedroht Israel, aber auch die Golfstaaten. Das ist der Kern des Konfliktes.

    Wie wird es nach der ­Tötung des Hisbollah-Chefs ­Nasrallah weitergehen?

    Bolton: Nasrallahs Tod wird die Ayatollahs in Teheran nur noch nervöser machen. Sie haben Angst, dass sich Benjamin Netanyahu über den Warnruf seiner westlichen Verbündeten hinwegsetzt. Doch Israel hat keine Wahl. Auch wenn die Zukunft im Nahen Osten düster ist, ist es zu begrüßen, dass Israel entschlossen scheint, sich zu verteidigen. Die Hisbollah im Südlibanon bedroht Israel stärker als die Hamas. Sie verfügt laut CIA über 150.000 Raketen. Bevor man über eine Zukunft in Frieden und Sicherheit für Israel nachdenkt, muss sich jemand um die Hisbollah kümmern.

    Würde Kamala Harris die Unterstützung für Israel reduzieren, wenn sie gewinnt?

    Bolton: Harris hat wenig Erfahrung mit der nationalen Sicherheit, was Vorhersagen erschwert. Aber sie wäre Israel gegenüber negativer eingestellt als Biden. Die Tatsache, dass sie Josh Shapiro, den Gouverneur des Swing States Pennsylvania, nicht als ihren Vize auswählte, spricht Bände. Sie befürchtete wohl, Wähler zu verlieren, wenn sie einen Juden auf das Ticket setzt. Das ist ein ziemlich entmutigender Gedanke.

    Wie müsste man sich die Beziehung zwischen Harris und ­Netanyahu vorstellen?

    Bolton: Schwer zu sagen. Wobei Trump Netanyahu auch nicht mag, weil dieser mehr Publicity für sich bekommt. Das kann Trump nicht ausstehen.

    Während Ihrer Zeit in der Trump-Administration hat sich das Verhältnis USA – China verschlechtert, mit Zöllen und Handelskriegen. Wie würde es sich unter Harris entwickeln?

    Bolton: Auch das ist nicht einfach abzusehen, weil Harris wenig Profil in Fragen der nationalen Sicherheit hat. Sie saß im Geheimdienstausschuss des Senats, nahm an den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats teil, wo sie von Bidens Beratern und Leuten umgeben war. Generell würde sich ihre Außenpolitik im ersten Jahr ihrer Präsidentschaft stark an derjenigen Bidens orientieren.

    Auch gegenüber China?

    Bolton: Biden strebte törichterweise einen Klimadeal mit China an, den er natürlich nicht bekam. Die Chinesen haben geistiges Eigentum aus Europa, Japan und den USA gestohlen und sie dann zu niedrigeren Kosten auf unseren Märkten verkauft. Sie missbrauchen das internationale Handelssystem: China gilt in der Welthandelsorganisation (WTO) immer noch als „Entwicklungsland“. Das ist lächerlich, denn zugleich rüstet Peking seine Unternehmen für staatliche Zwecke auf.

    Wie Huawei oder ZTE?

    Bolton: Huawei oder ZTE sind nicht wirklich Telekommunikationsunternehmen, sondern Arme des chinesischen Staates. Ihr Ziel ist es, die Kontrolle über die 5G-Verbindungen zu erhalten und Daten abzusaugen. Im Westen waren wir naiv gegenüber China. Während der Ära von Deng Xiaoping hieß es, China werde von marxistischen zu marktwirtschaftlichen Prinzipien übergehen. Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben zurzeit die autoritärste Regierung seit Mao Zedong.

    Sie sind weder US-Demokrat noch Trump-Republikaner. Wen werden Sie wählen?

    Bolton: Ich lebe in Maryland, wo es erlaubt ist, selber Kandidaten einzutragen. Vielleicht werde ich diesmal aus Protest für Ronald Reagan stimmen.