Berlin/Wien. Das Steuersystem sei ungerecht, findet die Wienerin. Dabei profitierte sie davon. Ihr Vermögen gibt sie jetzt komplett in fremde Hände.

Die 32-jährige Wienerin Marlene Engelhorn, Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn, hat im Juli ihr 25-Millionen-Vermögen durch die Aktion des „Guten Rats“, nach dem Modell eines Bürgerrats, an 77 österreichische Organisationen verteilt. Zwischen ihrem Debüt im Theater und der Werbung für ihr Buch „Geld“ bereitet sie jetzt den Übergang zum aktiven Erwerbsleben vor.

Frau Engelhorn, Anfang Juli hat der „Gute Rat“ seine Ergebnisse vorgestellt: Wie sind Sie überhaupt zu dieser Idee gekommen?

Marlene Engelhorn: Nach der Nachricht über das Erbe meiner Großmutter (Traudl Engelhorn-Vechiatto, 2022 gestorben, Anm. d. Red.) war mir klar, dass dieses Vermögen ungerecht ist und dass ich es der Gesellschaft zurückgeben will. Wenn der Staat mich leider nicht besteuern will, dann muss ich mich selbst darum kümmern bzw. Expertinnen darum bitten, mir Ideen zu geben. Daher kam die Initiative des „Guten Rats“ mit dem Foresight Institut. Wir wollten einen Bürgerrat gründen, möglichst repräsentativ für die österreichische Gesellschaft, und die Entscheidung sollte bei den Menschen liegen. Ich allein habe gar keine Legitimität, um das zu entscheiden.

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Sie haben sich ausdrücklich aus dem Entscheidungsprozess zurückgezogen, aber haben Sie einen Rahmen vorgegeben, was geht und was nicht geht?

Engelhorn: Das Moderations- und Orga-Team hat den ganzen Prozess gestaltet und begleitet. Ich habe nur fünf Vetos eingerichtet: keine verfassungsfeindlichen, keine demokratiefeindlichen und keine lebensfeindlichen Organisationen, kein profitorientiertes Projekt und keine Gründung oder Unterstützung politischer Parteien.

Wurde Ihr ganzes Vermögen für dieses Projekt zur Verfügung gestellt?

Engelhorn: Ich bleibe vorsichtig mit den Zahlen, aber ich wollte möglichst nah an die 100 Prozent meines Vermögens herankommen. Insgesamt geht es also um etwa 28 Millionen Euro, davon drei für die ganze Organisation und Logistik des Guten Rats und 25 Millionen für den Rat und somit nun für die Organisationen. Ich hatte auch vor dem Projekt Geld zur Rückverteilung versprochen, also kann ich am Ende dieses Prozesses ankündigen, dass ich nicht mehr Millionärin sein werde. Aber seien wir ehrlich: Die Privilegien und das Netzwerk, das ich hatte, die sind nicht weg, und Überreiche wie ich erben nie nur einmal im Leben.

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Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen des „Guten Rats“?

Engelhorn: Ich bin von dem Verfahren schwer beeindruckt. Es ist nicht so einfach, einen repräsentativen Bürgerrat zu bilden, und ich fand es hier gut gelungen. Ich finde, dass es ein sehr sinnvolles Instrument ist, bei dem alle spürten, dass die eigene Stimme zählt. Mehr als die Liste der Organisationen finde ich vor allem interessant, wie diese Gruppe die Projekte ausgewählt hat. Es geht um Klimaschutz, soziale Ungleichheit, Gewaltprävention. Das sind die Themen, die die Leute in Österreich interessieren. Das kann sehr gerne die Regierung inspirieren.

NameMarlene Engelhorn
Nationalitätdeutsch, österreichisch
BerufAktivistin, Publizistin
Studiumseit 2013 Germanistik in Wien(Unterbrechung von 2015 bis 2019)
Schule und AusbildungPrivat-Kindergarten, Privatschule in Wien
FamilieNachfahrin von BASF-Gründer Friedrich Engelhorn (1821–1902)
Vermögen25 Millionen Euro

Sind diese Ergebnisse Ihrer Meinung nach eine politische Botschaft?

Engelhorn: Eindeutig! Hier wurde gezeigt, wie es normalerweise laufen sollte: demokratisch, solidarisch, transparent. Die Verteilung in unserer Gesellschaft könnte ganz anders laufen. Die Ressourcen sind da, wenn die Regierung sich endlich dafür entscheiden würde, die Erbschafts- und Vermögenssteuer wieder einzuführen. Und der Gute Rat als eine Art „Parlament“ hat gezeigt, in welche Richtung die Österreicherinnen und Österreicher sich äußern.

Das österreichische Parlament ist an diesem Wochenende gewählt worden. Wie nehmen Sie die aktuelle politische Stimmung wahr?

Engelhorn: Der aktuelle Wahlkampf ist einfach ein Trauerspiel. Ich finde es ekelhaft, wie die menschenverachtende Migrationsdebatte geführt wird. Es wird mit Ängsten gespielt, um die Gesellschaft zu spalten.

Bei Ihrem Hauptthema, der Erbschaftssteuer, ist nicht viel Bewegung in Sicht.

Engelhorn: Österreich hat die Erbschaftssteuer 2008 abgeschafft und nie wieder eingeführt, es ist einfach Wahnsinn. Es gibt Steuern auf die Löhne, auf Lebensmittel, aber nicht auf das Erben. Wie ungerecht ist das denn! Ich habe selbst recherchiert: Wären meine 25 Millionen nach den momentan diskutierten SPÖ-Modellen besteuert worden, hätte ich das ganze Geld mit den durchschnittlichen jährlichen Renditen nach sieben Jahren sogar wieder „zurück”. Also könnten Vermögende wie ich damit Steuern zahlen und reicher werden, konservativer geht es nicht.

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Warum ist es kein großes Thema im Wahlkampf gewesen?

Engelhorn: Steuern sind immer ein Thema. Die ÖVP und FPÖ sind gegen die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften und das Modell der SPÖ ist, wie gesagt, sehr konservativ. Aber ich frage mich, bei all den Versprechen der Parteien, wie sie das gegenfinanzieren wollen, ohne entweder die 99 Prozent noch mehr zu belasten oder das reichste Prozent endlich in die Pflicht zu nehmen.

Haben Sie bei all Ihrem Engagement nicht an eine politische Karriere gedacht?

Engelhorn: Reiche weiße Leute wie ich sind schon im Parlament überrepräsentiert. Ich glaube, dass wir ganz andere Gruppen in der Politik brauchen. Und ich bin überzeugt, dass wir vorankommen, wenn es dazu auch Unterstützung von privilegierten Menschen gibt. Wenn ich hoffentlich baldigst nicht mehr für soziale Gerechtigkeit in unserem Land kämpfen soll, dann bin ich auch froh, ich bin entbehrlich.

Jetzt sind die 25 Millionen weg. Wie sieht das „Leben danach“ aus?

Engelhorn: Erstmal bin ich noch mit dem ganzen Prozess beschäftigt, und das ganze Geld wurde noch nicht vollständig überwiesen; viele Organisationen lassen sich ihre Summen auf mehrere Jahre aufgeteilt auszahlen. Aber ich persönlich bereite jetzt den Übergang in das Erwerbsleben vor. Voraussichtlich werde ich bei meinem Thema bleiben, also Steuergerechtigkeit. Derweil mache ich bei einem Theaterstück mit, es heißt „Geld ist Klasse” und hatte am 20. September Premiere. Und Anfang Oktober geht es nach Frankreich, um ein bisschen Werbung für die Übersetzung meines Buchs „L‘Argent“ zu machen. Mein Schulfranzösisch aus dem Lycée français soll sich bezahlt machen und Steuergerechtigkeit unterstützen.

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